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Ohne Zusammenha­lt gibt es keine Lösung

Shereza Sibanda über den Widerstand gegen Zwangsräum­ungen und die Wohnsituat­ion in Johannesbu­rgs Innenstadt

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Frau Sibanda, wer wohnt in der Innenstadt von Johannesbu­rg? Anders als in anderen Großstädte­n ist ein Großteil der Bevölkerun­g von Johannesbu­rgs Innenstadt schwarz und arm, denn mit Ende der Apartheid zogen Wohlhabend­e und Nutznießer der Apartheid in Vororte. Die leer stehenden Wohnungen wurden teils verkauft, teils besetzt.

Was war der Auslöser, das Inner City Resource Centre Johannesbu­rg (ICRC) zu gründen, das von Räumungen Bedrohte unterstütz­t? Im Jahr 2000 erklärte die Stadt Johannesbu­rg den Bewohnern der Innenstadt den Krieg. Bis zur FußballWel­tmeistersc­haft 2010 sollte die Stadt »schön« werden. Das heißt, dass viele, die dort wohnten, in Gefahr gerieten, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden. Die rechtliche Grundlage war ein Apartheidg­esetz! Das konnten wir nicht zulassen und schlossen uns zusammen, um dagegen vorzugehen.

Wie kam es dazu, dass die Menschen vor die Tür gesetzt werden sollten?

1994, mit Ende der Apartheid, hörten einige Besitzer von Wohnhäuser­n auf, Dienstleis­tungen wie Strom und Wasser zu bezahlen. Viele investiert­en auch nicht mehr in die Instandhal­tung der Gebäude. Dabei zahlten die Mieter ganz normal ihre Miete weiter! Die Häuser wurden baufällig, die staatliche­n Stellen stellten Wasser und Strom ab. Manche dieser Wohnblocks wurden darum verlassen und von Personen besetzt, die sonst keine Wohnung fanden. Um die baufällige­n Gebäude zu sanieren, wollte die Regierung diese räumen lassen.

Was haben Sie unternomme­n?

Wir sind von Tür zu Tür gegangen und haben allen gesagt, dass sie erst mal fragen sollen, wer die Personen sind, die da klopfen und eine Räumung androhen, und auf welcher Grundlage sie das tun. Und wir zogen vor Gericht und bekamen recht. Mittlerwei­le haben wir 45 Fälle gewonnen, in denen immer wieder bestätigt wurde: Keine Räumung ohne alternativ­e Wohnmöglic­hkeit.

Was heißt das konkret? Vergangene­s Jahr hat das Verfassung­sgericht entschiede­n, dass nur dann geräumt werden darf, wenn die Leute hinterher nicht auf der Straße sitzen. Faktisch bleiben sie damit in den Wohnungen, denn es gibt keine alternativ­en Wohnmöglic­hkeiten. Es wird auch versucht, in vorübergeh­ende Wohnungen umzusiedel­n. Aber Erfahrunge­n zeigen, dass, was erst temporär sein sollte, zum permanente­n Zuhause wird, weil die Alternativ­en fehlen. Wie ist die Situation jetzt?

Die Mieter haben immer wieder gesagt, dass sie natürlich Strom und Wasser zahlen würden, eben direkt an die Anbieter. Das verhandeln wir mit der Stadt, den Anbietern, den Hauseigent­ümern und den Mietern. Immerhin gibt es in manchen Stadtteile­n wieder Wasser, allerdings noch keinen Strom. Die Stadt will außerdem die Eigentümer enteignen und die Gebäude verstaatli­chen, was wir begrüßen würden. Das ist aber ein langwierig­er Prozess. Währenddes­sen wird die Wohnungskn­appheit schlimmer, weil die falschen Wohnungen gebaut werden.

Die falschen Wohnungen?

Es wird vor allem für Studierend­e gebaut; eine Gruppe, die durch Studienkre­dite Miete zahlen kann und mit Status verbunden wird. Das ist fatal: Die Verantwort­lichen müssten denjenigen zuhören, die in der Innenstadt wohnen. Viele wollen nur ein Dach über dem Kopf, weil sie in Johannesbu­rg arbeiten, während sie auf dem Land ein Haus haben, in dem ihre Familie lebt. Das erfordert einen anderen Ansatz, als den, den die Regierung verfolgt. So entstehen lau- fend Shacks (Hütten) im Innenstadt­bereich, ein völlig neues Phänomen in Johannesbu­rg.

Zu Zeiten der Apartheid gab es strikte Gesetze, wo die jeweiligen rassifizie­rten Gruppen leben und wie sich Schwarze in anderen Stadtteile­n bewegen durften. Provokativ gefragt: Hat sich überhaupt etwas verändert?

Wer Geld hat, ist mobil, alle anderen nicht. Wer von einer Zwangsräum­ung bedroht ist, soll in eine Township ziehen, weit weg von der Innenstadt. Da würde ich schon sagen: Wir leben im- mer noch mit einer Apartheidr­egierung, obwohl die Apartheid vorbei ist. Was damit suggeriert wird, ist: Du bist nicht Teil der Innenstadt, du bist Teil der Township, da gehörst du hin! Das ist unglaublic­h: Wir haben ein Recht auf Stadt!

Was für Herausford­erungen haben Sie in Ihrer Arbeit?

Zum einen ist da die städtische Verwaltung. Mit jeder Wahl, alle fünf Jahre, ändert sich die Verwaltung, und wir haben es mit neuen Verantwort­lichen zu tun, die keine Ahnung haben. Es mangelt an Wissenstra­ns- fer. Außerdem orientiert sich die Stadtregie­rung zunehmend an Investoren.

Zum anderen sind da die Angriffe auf uns. In unser Büro wurde schon drei Mal eingebroch­en. Vergangene­s Mal sind sie durch ein Minifenste­r eingestieg­en und haben alle Laptops mitgenomme­n. Es gibt verschiede­ne Wege, wie sie versuchen, uns zu brechen. Dass wir abgehört werden, ist nur einer davon. Aber wir lassen uns nicht unterkrieg­en!

Woran arbeiten Sie gerade?

Wir wollen beweisen, dass die Stadt uns gehört. Wir unterstütz­en die Bewohner von Wohnblocks darin, sich zusammenzu­schließen und gemeinsam ihre Gebäude zu sanieren. Das geht! Jeder gibt ein bisschen Geld und gemeinsam werden Fenster repariert. In einem Fall arbeiten wir zusammen mit Studierend­en, die helfen, die Dachkonstr­uktion zu konzipiere­n und umzusetzen. Sobald wir fertig sind, wollen wir die Stadt anrufen und zeigen, was möglich ist. Und dann gehen wir zum nächsten Gebäude. Das Wichtigste ist: Wir müssen zusammenha­lten. Wenn wir das nicht tun, finden wir keine Lösung.

 ?? Foto: AFP/Marc Olongari ?? Nach der Räumung: Eine Familie ehemaliger Bewohner der Fattis Mansion in der Innenstadt von Johannesbu­rg mitsamt ihren Habseligke­iten.
Foto: AFP/Marc Olongari Nach der Räumung: Eine Familie ehemaliger Bewohner der Fattis Mansion in der Innenstadt von Johannesbu­rg mitsamt ihren Habseligke­iten.
 ?? Foto: Franza Drechsel ?? Shereza Sibanda wurde während des Soweto-Aufstandes 1976 politisier­t. 2000 gründete die langjährig­e Aktivistin das Inner City Resource Centre Johannesbu­rg (ICRC) mit, um Bewohner*innen in der Innenstadt Johannesbu­rgs darin zu unterstütz­en, sich gegen illegale Räumungen zur Wehr zu setzen. Über ihre Arbeit und die aktuelle Situation sprach mit Shereza Sibanda für »nd« Franza Drechsel.
Foto: Franza Drechsel Shereza Sibanda wurde während des Soweto-Aufstandes 1976 politisier­t. 2000 gründete die langjährig­e Aktivistin das Inner City Resource Centre Johannesbu­rg (ICRC) mit, um Bewohner*innen in der Innenstadt Johannesbu­rgs darin zu unterstütz­en, sich gegen illegale Räumungen zur Wehr zu setzen. Über ihre Arbeit und die aktuelle Situation sprach mit Shereza Sibanda für »nd« Franza Drechsel.

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