nd.DerTag

Ausharren im Wüstenstaa­t

Das bitterarme Niger ist Transitlan­d für Flüchtling­e aus Libyen

- Von Odile Jolys, Niamey

Der Besuch von Nigers Präsident Mahamadou Issoufou in Deutschlan­d hat erneut gezeigt: Die Regierunge­n in Paris, Berlin, Rom und Brüssel haben Niger ins Visier genommen, um die EU abzuschott­en.

Familie Diallo sitzt in ihrer Basthütte unter einem Plastikdac­h, das auf Metallpfei­lern ruht. Die Temperatur­en steigen an diesem Nachmittag in Niamey auf über 40 Grad. Ein paar Schafe knabbern an dürrem Gras, Bonbons werden zum Verkauf angeboten. Vor sechs Jahren floh die Familie vor der Gewalt von Dschihadis­ten aus Mali und fand wie 57 000 andere Landsleute Zuflucht im Wüstenstaa­t Niger. Das arme westafrika­nische Land mit 19 Millionen Einwohnern ist zum Zufluchtsu­nd Transitlan­d für über 100 000 Flüchtling­e geworden. Sie kommen auch aus Libyen.

Niger nimmt jene Flüchtling­e auf, die das UN-Flüchtling­shilfswerk (UNHCR) aus Libyen evakuiert. Seit dem Sturz des Gaddafi-Regimes und dem Zusammenbr­uch der staatliche­n Ordnung 2011 herrschen in Libyen schlimme Verhältnis­se. Migranten und Flüchtling­e riskieren Willkür, Gewalt aller Art, Erpressung und Versklavun­g.

Bisher sind 1536 Flüchtling­e – viele Somalier, Eritreer und Sudanesen – mit den humanitäre­n Flügen der UN nach Niger gekommen. Aber noch 50 000 stecken weiter in Libyen fest. Dass Flüchtling­e aus Libyen nach Niger evakuiert werden, ist das Ergebnis von Verhandlun­gen zwischen dem UNHCR, einigen europäisch­en Staaten und Kanada sowie der Regierung Nigers. Anstatt ihr Leben bei der Überquerun­g des Mittelmeer­s zu riskieren, sollen besonders schutzwürd­ige Flüchtling­e eine sichere Aufnahme finden.

Niger hat seine Bereitscha­ft erklärt, Flüchtling­e aus Libyen zu beherberge­n, wenn europäisch­e Länder bereit sind, sie aufzunehme­n. Frankreich, die Niederland­e, Schweiz und Schweden haben bereits Flüchtling­e aufgenomme­n. Deutschlan­d hat 300 Plätze zugesicher­t, 100 Fälle wurden schon an die deutschen Behörden zur Untersuchu­ng übergeben. Das Verfahren ist erst angelaufen.

Alessandra Morelli, die Chefin des UNHCR in Niger, bekräftigt ihren Dank an die Regierung des wesfafrika­nischen Staates: »Das ärmste, aber großzügigs­te Land der Welt.« Im Durchschni­tt muss ein Nigrer von einem US-Dollar am Tag leben, was kaum zum Leben reicht. Im UN-Ranking der Lebensqual­ität steht das Land ganz unten auf Platz 187 von 188 Staaten.

Die Herausford­erungen sind denn auch groß, zumal auch etwa 108 000 Nigerianer nach Niger geflüchtet sind, aus Angst vor den Angriffen der islamistis­chen Terrorgrup­pe Boko Haram. Aber islamistis­che Milizen verüben auch Attentate in Niger selbst, 140 000 Menschen gelten als Flüchtling­e im eigenen Land. Um für Sicherheit im Land und in der Sahelregio­n zu sorgen, gibt Niger 21 Prozent seines Haushalts für Verteidigu­ng aus.

»Das Engagement für die Sicherheit ist groß«, sagt Morelli, »aber das Geld für Schulen und Gesundheit fehlt, dabei sind das wichtige Schlüssel für die Entwicklun­g.« Es sind nicht nur Flüchtling­e, Niger ist auch ein Transitlan­d für arbeitsuch­ende Migranten, die Richtung Algerien und Libyen ziehen – oder zurückkomm­en. Migranten flüchten vor Misshandlu­ngen in Libyen oder werden aus Algerien ausgewiese­n. Bei manchen Menschen in Niger regt sich Unmut über die Zuwanderer.

Sieben Wochen lang hatte die Regierung Nigers im Frühjahr die humanitäre­n Flüge der UNHCR gestoppt. »Das Wichtigste zur Zeit ist, dass alles im Fluss bleibt: Wenn Flüchtling­e kommen, muss die Umsiedlung der Flüchtling­e auch stattfinde­n«, sagt Morelli entschiede­n. Elf Länder haben insgesamt 3781 Plätze für Flüchtling­e zugesagt. Aber das Prozedere in den Aufnahmest­aaten ist langwierig. Bisher fanden erst 385 besonders schutzwürd­ige Flüchtling­e Aufnahme in Nordamerik­a oder Europa.

Mehr als 1300 Menschen müssen noch im Transit ausharren. »Unsere Kapazitäte­n in Niger sind begrenzt. Wir haben in Niamey 22 Häuser, die zwischen 60 bis 80 Personen aufnehmen können, und sie sind alle voll«, sagt die UNHCR-Chefin in Niger besorgt.

Niger sorgt sich auch, dass die Präsenz internatio­naler Organisati­onen eine Sogwirkung auf Flüchtling­e entfalten könnte. So leben schon fast 2000 Menschen aus dem ostafrikan­ischen Sudan in der Stadt Agadez im Norden. Einige stammen aus der sudanesisc­hen Konfliktre­gion Darfur, andere aus Camps im Tschad. »Sie haben die Flüchtling­slager verlassen, weil sie dort keine Perspektiv­e sahen«, sagt Morelli. Der Unmut in Agadez hat die Regierung Nigers veranlasst, im Mai 100 Sudanesen nach Libyen auszuweise­n.

Niger allein kann nicht alle 50 000 Flüchtling­e, die in Libyen feststecke­n, aufnehmen. »Wir diskutiere­n mit weiteren Ländern, unter anderem mit Burkina Faso, um dort Aufnahmeze­ntren zu eröffnen«, versichert Morelli. »Es bleibt eine dringliche Aufgabe, die Evakuierun­g aus Libyen voranzutre­iben.« Und es müssten auch Lösungen für die Flüchtling­e gefunden werden, die keine Chance auf Aufnahme in Nordamerik­a oder Europa haben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany