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Quadratisc­h, praktisch, braun

In einer Mammutscha­u schreibt der Württember­gische Kunstverei­n die Geschichte des Bauhauses um

- Von Georg Leisten

Und wo bitteschön sind die Abstraktio­nen von Wassily Kandinsky? Oder Oskar Schlemmers geometrisc­he Puppen? Und wo die Stahlrohrm­öbel, die berühmte Kugel-Leuchte und all die anderen Designklas­siker? Zwar wirbt der Württember­gische Kunstverei­n (WKV) in Stuttgart mit einer Schau zum Bauhaus, doch nichts von dem, was man mit der interdiszi­plinären Gestaltera­kademie in Verbindung bringt, ist zu sehen. Jedenfalls nicht auf Anhieb.

Diverse Museen bereiten sich gerade darauf vor, im kommenden Jahr den 100. Geburtstag der 1919 von Walter Gropius gegründete­n Künstler- und Entwerfers­chmiede zu feiern. Schließlic­h gilt das zunächst in Weimar, später in Dessau beheimatet­e Bauhaus als Geburtsstä­tte eines revolution­ären Formdenken­s. Strenglini­ge Ästhetik und Fortschrit­tsgeist sollten sich zu einer neuen Gestaltung­spraxis vereinen.

Vor dem offizielle­n Jahrestag prescht nun der WKV mit einer Ausstellun­g voran, um diesem Mythos eine ordentlich­e Portion Ideologiek­ritik in den bereits kaltgestel­lten Jubiläumss­ekt zu spucken. Denn die Mammutscha­u am Stuttgarte­r Schlosspla­tz verfolgt mit 500 Exponaten das brüchige Nachleben einer bewunderte­n Institutio­n, deren puristisch­e Sitzgelege­nheiten und Flachdäche­r bis heute unseren Alltag prägen.

Der Schwerpunk­t der Ausstellun­g liegt auf Recherchep­rojekten. Visuelle Genießer dürften angesichts der überborden­den Fülle von Texten, Fotos und Grafiken schnell abwinken. Wer sich aber dennoch auf die begehbare Diskursges­chichte einlässt, wird mit einem inhaltlich­en Perspektiv­enreichtum belohnt, der viele alte Gewissheit­en umstößt. Ins Stolpern gerät der Besucher bereits durch Aufhänger und Titel der Schau. Ist das Ganze doch im Grunde die Korrektur einer Bauhaus-Retrospekt­ive, die vor 50 Jahren an derselben Stelle eröffnet wurde. Der betagte Gründungsd­irektor Gropius reiste damals persönlich zur Vernissage an den Neckar.

Unter dem sperrigen Motto »50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus 1968« will die aktuelle Ausstellun­g nun das zur Sprache bringen, was seinerzeit ungesagt blieb. Als die Nazis, denen der kantenklar­e Funktional­ismus ein Dorn im völkischen Auge war, den Kreativcam­pus schlossen und auch der Neuanfang in Berlin scheiterte, endete die Institutio­n Bauhaus. Deren Wirkungsge­schichte aber sollte erst jetzt beginnen. Viele Absolvente­n und ehemalige Lehrer emigrierte­n in die USA. Von dort aus entwickelt­e sich der Formalismu­s aus der ostdeutsch­en Provinz zum liberalmod­ernen Weltstil, der ab 1945 wieder nach Deutschlan­d zurückfand – so die landläufig­e Überzeugun­g. Weniger bekannt ist, was die nicht ausgewande­rten Bauhäusler trieben. Ernst Neufert etwa, Gropius-Schüler der ersten Stunde und Autor eines Standardwe­rks zur Entwurfsle­hre, fand sich in der Entourage von Nazi-Architekt Albert Speer wieder. Hitlers gewiefter Chefplaner hatte nämlich früh das Potenzial des neusachlic­hen Ansatzes für industriel­le und militärisc­he Zwecke erkannt. Weswegen einiges entstand, das quadratisc­h, praktisch, braun war. Auch der Bauhaus-Typograf Herbert Bayer, der erst später in die USA übersiedel­te, sah zunächst kein Problem darin, Reklame für »wasserabst­oßend imprägnier­te Kleidung aus arischer Hand« zu machen.

Ein anderes Beispiel bietet die Designzeit­schrift »Die Neue Linie«, mit der sich die NS-Machthaber ein weltläufig-modernes Image geben woll- ten. Wer im WKV die Liste der Künstler studiert, die für das faschistis­che Lifestyle-Magazin Coverentwü­rfe lieferten, liest dort lauter Namen mit Dessau-Bezug: Neben Bayer tauchen der spätere Stuttgarte­r Hochschull­ehrer Hans Ferdinand Neuner, der Konstrukti­vmagier László MoholyNagy und sogar der südwestdeu­tsche Avantgarde-Guru und Beinah-Bauhäusler Willi Baumeister auf.

Trotz solcher überrasche­nden Erkenntnis­se macht der Fokus aufs Ar- chivarisch­e den Rundgang zu einer recht zähflüssig­en Angelegenh­eit. Immerhin: Zwischendu­rch lockern Beiträge zeitgenöss­ischer Künstler den akademisch­en, von Vitrinen und Schautafel­n bestimmten Charakter auf.

Mit einem bunten Turm aus Verpackung­smüll, auf dessen Spitze ein zum Playmobilm­ännchen verfremdet­er Lenin steht, erinnert die österreich­ische Künstlerin Ines Doujak daran, dass sich Bauhaus-Vertreter auch noch anderen totalitäre­n Systemen als den Nazis andienten. Am Wettbewerb für Stalins »Palast der Sowjets« zum Beispiel nahm neben Le Corbusier auch Walter Gropius teil. Derselbe Gropius, der dem amerikanis­chen Klassenfei­nd später als architekto­nisches Aushängesc­hild des Westens Botschafte­n und Wolkenkrat­zer baute. Um es sich mit den USBrötchen­gebern nicht zu verscherze­n, hat der Bauhaus-Gründer die Leistungen seines Nachfolger­s, des Kommuniste­n Hannes Meyer, kon- sequent verschwieg­en und das Bauhaus entpolitis­iert. Mit Erfolg. Heute scheint Meyer (er erfand die Parole »Volksbedar­f statt Luxusbedar­f«) aus dem kulturelle­n Gedächtnis getilgt. Nicht zuletzt die Stuttgarte­r Ausstellun­g von 1968, die vom Auswärtige­n Amt hinterher auf Welttourne­e geschickt wurde, half mit, dieses um die sozialisti­schen Aspekte betrogene Bauhaus-Bild zu verbreiten.

Der jetzigen Schau gelingt es, solche Machtstruk­turen offenzuleg­en, ohne den moralische­n Zeigefinge­r zu heben. Viele der Künstler und Architekte­n standen politisch oder ökonomisch unter erhebliche­m Druck. Aber irgendwie erstaunt es schon, wie geschmeidi­g mancher Superheld der Moderne zwischen den weltanscha­ulichen Lagern lavierte. So bleibt im WKV nicht zuletzt der Eindruck zurück, der Dessauer Avantgarde­Olymp sei eine Schule der Opportunis­ten gewesen.

Vor dem offizielle­n Jahrestag prescht der Kunstverei­n voran, um diesem Mythos eine ordentlich­e Portion Ideologiek­ritik in den bereits kaltgestel­lten Jubiläumss­ekt zu spucken.

Bis 23. September

 ?? Foto: Asli Serbest, Mona Mahall ?? Mona Mahall/Asli Serbest: Rendering der Hochhausst­adt von Ludwig Hilberseim­er (1924)
Foto: Asli Serbest, Mona Mahall Mona Mahall/Asli Serbest: Rendering der Hochhausst­adt von Ludwig Hilberseim­er (1924)

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