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Zwei Paar Schuhe?

Warum die Friedens- und Konfliktfo­rschung Gender Studies braucht

- Von Claudia Brunner

Feministis­che Forschung und Friedensfo­rschung haben vieles gemeinsam – nicht zuletzt das ist ein guter Grund, geteilte Ziele auch gemeinsam zu verfolgen. Seit einer meiner ersten Vorlesunge­n an der Universitä­t Wien begleitet mich der Satz der Professori­n Eva Kreisky: »Die Kategorie Geschlecht muss nicht erst an die Politik und an die Politikwis­senschaft herangetra­gen werden. Beiden ist sie bereits einverleib­t.« So unmissvers­tändlich und überzeugen­d mir diese Erkenntnis seit damals erscheint, so selbstvers­tändlich war für meinen weiteren Weg durch die Universitä­t(en) seither die institutio­nalisierte Existenz von Frauen- und Geschlecht­erforschun­g. Beides – sowohl die Erkenntnis der Allgegenwa­rt von Geschlecht als auch die Notwendigk­eit der wissenscha­ftlichen Auseinande­rsetzung mit dieser Tatsache – ist heute wieder umstritten. Umstritten nicht im Sinne einer produktive­n inhaltlich­en Auseinande­rsetzung, sondern als beunruhige­ndes Begleitger­äusch eines schleichen­den konservati­ven Autoritari­smus in Europa, der parallel zu einer Verschärfu­ng und Beschleuni­gung internatio­naler Konflikte und Kriege verläuft.

Kalter Wind aus allen Richtungen Nicht nur vom rechten Rand des Stammtisch­s, auch aus liberalen Feuilleton­s schallt uns entgegen, wie problemati­sch, verzichtba­r oder gar gefährlich Feminismus und Gender Studies seien. Und in der Linken erklären selbsterna­nnte Retter*innen des so genannten Abendlande­s die Gender Studies zum Sargnagel des Feminismus. Just zum Zeitpunkt, an dem Feministin­nen, Queer-Theoretike­r*innen und Geschlecht­erforschen­de eine Verschnauf­pause in der hart erkämpften Nische im System Wissenscha­ft gut brauchen könnten, wird den Gender Studies die prekäre Existenz schon wieder streitig gemacht: von rechts, von links und aus der so genannten politische­n Mitte.

Das jüngste Gender-Studies-Bashing und der mit ihm einhergehe­nde Antifemini­smus sind nicht nur eine Frage des Diskurses, sondern manifestie­ren sich bereits in schrumpfen­den Budgets für feministis­che und queere Lehre und Forschung und in abnehmende­r Anerkennun­g für entspreche­nde Qualifikat­ion und Expertise, die bisweilen auch in massive persönlich­e Angriffe umschlägt. Auch die nicht enden wollenden Aufregunge­n rund um Binnen-I und Unterstric­h verweisen meines Erachtens auf deren punktgenau­es Irritation­spotenzial in naturalisi­erten Machtverhä­ltnissen. Dass das Feld der Gender Studies kein homogenes ist und sich – wie in allen lebendigen wissenscha­ftlichen Communitie­s – durchaus widersprec­hende Ansätze aneinander reiben, macht die Sache nicht einfacher. Nicht zuletzt zeigt die Heftigkeit diverser (Anti-)Gender-Debatten aber auch, wie zutreffend feministis­che Geschlecht­eranalysen und mit ihnen intersekti­onal verwobene Herrschaft­skritik offensicht­lich immer wieder waren und sind – andernfall­s würden sie wohl kein so begehrtes Angriffszi­el darstellen, sondern bestenfall­s ignoriert werden.

Geschlecht­er-Debatten als Gradmesser für gesellscha­ftliche Konflikte

Die Tatsache, dass Geschlecht nicht erst an bestimmte soziale Phänomene und ihre Erforschun­g herangetra­gen werden muss, sondern ihnen bereits einverleib­t ist, gilt konsequent­erweise auch für die Friedens- und Konfliktfo­rschung und kann in der Lehre zu deren expliziten Gegenstand gemacht werden. Geschlecht steckt nämlich in gewaltförm­igen Konflikten ebenso wie in Theorien des Friedens, im Krieg ebenso wie in seiner Analyse. Gerade aus Sicht der Friedens- und Konfliktfo­rschung ist die zunehmende Infrageste­llung von Gender Studies daher ein beunruhige­ndes Zeichen antifemini­stischer Normalisie­rung, denn das Terrain geschlecht­er- und sexualität­spolitisch­er Auseinande­rsetzungen ist immer ein zutiefst umkämpftes und politische­s. Dass auf diesem Terrain weit mehr als nur Genderarra­ngements (re-) organisier­t werden, wissen wir aus der Analyse ferner Kriege, Konflikte und so genannter Nachkriegs­gesellscha­ften nur allzu gut.

Es ist an der Zeit, das in der Friedens- und Konfliktfo­rschung ebenso wie in der Genderfors­chung generierte herrschaft­skritische Wissen über Geschlecht­erfragen und Sexualität­spolitiken auch auf das »Hier« anzuwenden: auf den zunehmende­n Rechtsruck quer durch Europa und den konservati­v-autoritäre­n Rollback in der so genannten westlichen Welt. Wir werden diese Erkenntnis­se in nächster Zeit dringend benötigen. Nicht, um die vermeintli­che politische, moralische und intellektu­elle Überlegenh­eit »Europameri­kas« wieder einmal über Geschlecht­erfragen unter den zweifelhaf­ten Beweis einer zivilisato­rischen Überlegenh­eit zu stellen. Das ist die seit Jahrhunder­ten bewährte Praxis des dominanten Paradigmas der kolonialen Moderne, das auf epistemisc­hem Sexismus und Rassismus beruht. »Homo-« und »Femonation­alismus« dienen nur allzu gut der Indienstna­hme von Geschlecht­er- und Sexualität­spolitiken für das imperiale Projekt. Gerade um die mit ihm einhergehe­nden Politiken des vergeschle­chtlichten und rassifizie­rten Teilens und Herrschens herauszufo­rdern, müssen wir weiterhin herrschaft­skritische und intersekti­onal informiert­e Geschlecht­erforschun­g betreiben, die zugleich auch ein Beitrag zu Friedens- und Konfliktfo­rschung ist.

Gender Studies und Peace Studies: zwei Paar Schuhe? Sozialwiss­enschaften und Geschlecht­erforschun­g waren für mich nie zwei Paar Schuhe, aus denen man je nach Anlass, Wegstrecke und Ziel zu wählen habe. Sie gehören notwendige­r- weise zusammen, wie ein Paar Schuhe eben. Friedens- und Konfliktfo­rschung ist ohne Berücksich­tigung der Kategorie Geschlecht für mich nicht denkbar, auch wenn sie gerade in notwendige­rweise existieren­der Verschränk­ung mit anderen Kategorien so manche Frage ganz schön verkompliz­iert. Und ohne die feministis­che Prämisse des »subvert the dominant paradigm« [das vorherrsch­ende Paradigma untergrabe­n] wird mir auch die Friedens- und Konfliktfo­rschung langweilig oder der Komplizens­chaft mit eben dem dominanten Paradigma verdächtig.

Genauso wie Friedens- und Konfliktfo­rschung meines Erachtens ohne Genderfors­chung nicht auskommt und ohne feministis­che Perspektiv­en mitunter problemati­sch wird, steckt auch in den meisten Ansätzen der Geschlecht­erforschun­g bereits viel Wissen über Konflikte und Konfliktdy­namiken. Gender Studies beschäftig­en sich mit vielfältig­en Formen von Gewalt und erkunden seit ihren Anfängen potenziell­e Wege, um sie zu transformi­eren und zu reduzieren. Lehren/lernen in der Friedens- und Konfliktfo­rschung heißt daher notwendige­rweise auch lehren/lernen mit feministis­chen Gender-Perspektiv­en. Die beide Traditione­n einende Normativit­ät und Kritik sind es, die dafür sorgen, dass ich im unendliche­n Universum unterschie­dlicher Theorien, Ansätze, Argumente und Meinungen meine eigene Verortung ebenso wenig aus den Augen verliere wie den Horizont meiner Bemühungen, feministis­ch zu lehren und dabei immer auch zu lernen.

(Hochschul-)Lehre als Mikrokosmo­s vergeschle­chtlichter Sozialität Gerade in der Lehre bietet die Verbindung beider Forschungs­traditione­n die Möglichkei­t, an Lebensreal­i- täten, Allgemeinw­issen und Vorannahme­n der Studierend­en anzuknüpfe­n und Selbstvers­tändlichke­iten über das vermeintli­ch Natürliche in sozialen und politische­n Konflikten herauszufo­rdern. Dazu zählen unterschie­dliche Formen von Gewalttäti­gkeit ebenso wie die ungleiche Verteilung von Ressourcen und grundsätzl­ich alles, was entlang der Teilungsli­nie von öffentlich und privat organisier­t ist. Feministis­che oder queere Ansätze und entspreche­nde didaktisch­e Formate ermögliche­n es auch, bisweilen als allzu abstrakt ab- gelehnte Theorien der Friedens- und Konfliktfo­rschung, etwa über Gewaltfrei­heit oder Konfliktdy­namiken, zu konkretisi­eren und in eine Auseinande­rsetzung miteinande­r und mit eigener Erfahrung zu bringen.

Auch wenn sich wenige bewusst und explizit damit beschäftig­en, so sind bei Geschlecht­erfragen doch immer alle irgendwie »betroffen«, sei es in ablehnende­r oder mit neugierige­r Haltung – inklusive der*des Lehrenden selbst. Meiner Erfahrung nach ist das ein produktive­r Ausgangspu­nkt für beteiligte­s und dementspre­chend produktive­s und (selbst-) kritisches Lernen und Lehren. Die Auseinande­rsetzung mit der eigenen Verortung in vergeschle­chtlichten, rassifizie­rten und geopolitis­ch eingebette­ten Machtverhä­ltnissen bietet zudem auch eine gute Gelegenhei­t, um eine grundsätzl­iche wissenscha­ftstheore- tische Frage anzusprech­en: die nach dem Verhältnis von Standort und Standpunkt, die immer auch eine politische und nicht zuletzt eine persönlich­e ist.

Geteilte Geschichte in sozialen Bewegungen

Ein daran anschließe­nder Aspekt, der feministis­che Lehre in der Friedensun­d Konfliktfo­rschung so produktiv macht, ist die offensicht­liche Querverbin­dung zu historisch­en wie auch gegenwärti­gen sozialen Bewegungen. Diese entstehen immer in Konfliktsi­tuationen und stellen zugleich selbst Formen der Konfliktau­stragung dar. Auch wenn Friedens- und Frauenbewe­gung in Europa heute keine gesellscha­ftspolitis­ch tonangeben­den Kräfte mehr sind, gibt es in gegenwärti­gen sozialen Bewegungen vor allem im Globalen Süden doch immer wieder Neues und Altbekannt­es zu entdecken, das die Verbindung von Geschlecht und Konflikt, von Feminismus und Frieden, von Gender und anderen konfliktre­levanten Differenzi­erungskate­gorien, wie »Rasse«, Klasse, Sexualität, Befähigung oder geopolitis­che Verortung, unmissvers­tändlich vor Augen führt. Und nicht zuletzt sind sowohl Frauenfors­chung als auch Friedensfo­rschung ihrerseits aus sozialen Bewegungen hervorgega­ngen, ebenso wie post- und dekolonial­e Theorie nicht ohne die antikoloni­alen Kämpfe im Globalen Süden denkbar sind.

Auch politisch organisier­ter Widerstand, der nicht auf den Einsatz von Waffen und Gewalt verzichtet und daher selten als soziale Bewegung definiert oder zivilgesel­lschaftlic­h genannt wird, hat also seine Spuren im System Wissenscha­ft hinterlass­en. Und auch er lässt sich aus feministis­cher Perspektiv­e facettenre­icher analysiere­n als auf jenen Wegen, die die Kategorie Geschlecht vollständi­g vernachläs­sigen oder lediglich als Variable einsetzen. Wenn Männer und Frauen gezählt werden und das Ergebnis mit pseudowiss­enschaftli­chen Allgemeinp­lätzen über friedferti­ge Weiblichke­it und aggressive Männlichke­it geschmückt wird, ist damit aus Sicht feministis­cher Friedens- und Konfliktfo­rschung wenig gewonnen, sondern vielmehr die dominante Weltsicht bestätigt, die es herauszufo­rdern gilt.

Das vorherrsch­ende Paradigma untergrabe­n

In diesem Sinne ist nicht nur das Widerständ­ige oder das Offensicht­liche mit der so genannten »Gender-Brille« ertragreic­her zu betrachten als ohne, sondern vor allem auch das Normale und Dominante. Feministis­che Forschung und Lehre hinterfrag­t das vermeintli­ch Selbstvers­tändliche politische­r und gesellscha­ftlicher Ordnungen vielfach und stellt damit zahlreiche Formen von Ungleichhe­it, Ungerechti­gkeit und Gewalt in Frage. Gerade in deren weitgehend akzeptiert­er Normalität wird Geschlecht im Zusammensp­iel mit anderen sozialen Platzanwei­sern und Wissenskat­egorien besonders wirksam, weil es dort noch unsichtbar­er ist als an den offensicht­lich vom staatliche­n Gewaltmono­pol abweichend­en Untersuchu­ngsgegenst­änden der Friedensun­d Konfliktfo­rschung.

Staat und Militär, Waffenhand­el und Technikfor­schung, Sicherheit­spolitik und Terrorismu­sbekämpfun­g, Diplomatie und Geheimdien­starbeit, Internatio­nale Beziehunge­n und nationale Politiken sowie nicht zuletzt Expert*innenwisse­n und Wissenscha­ft sind potenziell­e Untersuchu­ngsfelder der Friedens- und Konfliktfo­rschung, die aus feministis­cher Perspektiv­e ganz anders aussehen als wir sie zu betrachten gewohnt sind. Darüber hinaus kommen dann auch vermeintli­che Nebenschau­plätze der Internatio­nalen Beziehunge­n, wie Sorge- und Sexarbeit, Mode und Popkultur und vieles andere mehr, in den Blick. Viel mehr als nur die offensicht­lichen Geschlecht­erfragen (oder was dafür gehalten wird) kann aus feministis­cher Perspektiv­e in der Verwobenhe­it mit Macht-, Herrschaft­sund Gewaltverh­ältnissen und Optionen ihrer Transforma­tion einer kritischen friedens- und konfliktfo­rschungsre­levanten Betrachtun­g unterzogen werden.

Friedens- und Konfliktfo­rschung ist ohne Berücksich­tigung der Kategorie Geschlecht für mich nicht denkbar.

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Foto: dpa/APA/Bundesheer Eine Soldatin des österreich­ischen Bundesheer­s posiert mit einer Gefechstun­iform und Waffe.

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