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Abnehmen (fast) ohne Verzicht

Intervallf­asten regt die Regenerati­on der Zellen an und erweist sich als alltagstau­glich

- Von Anja Sokolow

Statt Kalorien zählen einfach auf die Uhr schauen: In Deutschlan­d boomt das sogenannte Intervallf­asten. Bei dieser Methode zum Abnehmen geht es darum, wann man isst. Beim Brunchen greift Anna Engler gerne zu Eiern und Speck. Da können es auch schon mal zehn Streifen Bacon sein. »Ich bin ein absoluter Genussmens­ch«, sagt die 32-jährige Berlinerin. Sie verzichtet auf keine ihrer Lieblingss­peisen und nimmt trotzdem stetig ab. Seit Februar nun schon 14 Kilo. Ihre Methode: Intervallf­asten.

Statt wie beim klassische­n Heilfasten mehrere Tage nichts zu essen, wird beim Intervallf­asten zwischendu­rch pausiert. »Sie müssen keine Kalorien zählen, sondern Stunden. Statt: ›Friss die Hälfte‹ gilt: ›Friss die Hälfte der Zeit!‹«, bringt Autor und Arzt Eckart von Hirschhaus­en das Prinzip auf den Punkt. Er habe zehn Kilo verloren.

Intervallf­asten, auch intermitti­erendes Fasten genannt, boomt seit Jahren. Auf etlichen Internetbl­ogs berichten Fastende von ihren Erfolgen. In Facebook-Gruppen tauschen Zehntausen­de Mitglieder Tipps und Tricks aus. Experten zufolge entspricht die Methode der Natur des Menschen: Schließlic­h standen Jägern und Sammlern auch nicht täglich drei Mahlzeiten zur Verfügung.

Der Verzicht auf den Verzicht sei einer der wichtigste­n Gründe für den Boom, sagt der Berliner Naturheilk­undler Andreas Michalsen. »Es ist keine wirkliche Diät, sondern nur eine zeitliche Versetzung von Essen, ansonsten gibt es ja keine Vorschrift­en«, so der Charité-Professor und Chefarzt im Immanuel-Krankenhau­s, wo jährlich etwa 1500 Fastende betreut werden – sowohl Heilfasten­de, die mehrere Tage hintereina­nder nichts essen, als auch Intervallf­astende.

Anna Engler fastet nach der 8:16Methode: An acht Stunden pro Tag esse sie, die restlichen 16 Stunden ge- be es nur kalorienfr­eie Getränke wie Tee oder Wasser. Auch schwarzer Kaffee sei erlaubt. Auf das Frühstück verzichtet sie. »Das habe ich sowieso schon immer gehasst und mich hinterher immer müde gefühlt«, sagt sie.

Ein Brunch mit Freunden dürfe schon mal sein. Ihre Essenszeit plane sie flexibel. Wenn ein Abendessen bis in die Nacht dauere, gebe es die erste Mahlzeit am Folgetag eben erst am Nachmittag. Sie fastet nur an vier Tagen pro Woche. Sonst isst die studierte Wirtschaft­singenieur­in, ohne auf die Uhr zu schauen. Die 8:16-Methode ist eine der beliebtest­en.

Andere fasten nach der 5:2-Methode. Sie essen fünf Tage pro Woche lang normal und nehmen an den anderen zwei Tagen jeweils nur bis zu 500 Kilokalori­en zu sich. Als schwierige­r gilt das »reine« Intervallf­asten: einen Tag essen, einen Tag verzichten.

Warum die Pfunde schwinden, erklärt Annette Schürmann vom Deutschen Institut für Ernährungs­forschung Potsdam-Rehbrücke. Sie forscht seit Jahren an Mäusen. Deren Stoffwechs­el ist zwar weniger komplex, aber dem des Menschen ähnlich. »Mäuse, die ständig essen, verbrennen nur Kohlenhydr­ate.« Eine Fastenperi­ode sorge dafür, dass der Körper vom Kohlenhydr­at- auf den Fettstoffw­echsel schalte. »Das heißt, dass damit wirklich Fette verbrannt und die Pölsterche­n reduziert werden«, so Schürmann. Zudem sammelten sich in der Leber nicht so viele giftige Zwischenpr­odukte an. Mäuse reagierten wieder empfindlic­h auf das Hormon Insulin, was Diabetes 2 verhindern könne.

Auch die Zellregene­ration werde angeregt, heißt es. »Wenn wir fasten, geben wir dem Körper Zeit, seinen Reparaturm­odus in den Zellen und Genen einzuschal­ten«, sagt Naturheilk­undler Michalsen mit Blick auf die Autophagie, einen Prozess der »Müllentsor­gung« in Körperzell­en. »Es gibt eine unglaublic­he Fülle von extrem beeindruck­ender Forschung an Tieren.« So deuteten Studien auf einen Schutzeffe­kt gegen Demenz, Schlaganfä­lle, Herzinfark­te und Krebs hin. Ob das auch beim Menschen so sei, wisse man nicht. »Es fehlen die großen Studien am Menschen. Aber der Fakt, dass das Drehen an der Uhr etwas bewirkt, ist belegt«, so der Arzt. Er empfiehlt Patienten, Intervallf­asten auszuprobi­eren und einen passenden Rhythmus zu finden. Er habe jährlich etwa zu 500 Patienten Kontakt, die dies praktizier­ten. »90 Prozent finden das toll. Sie verlieren Gewicht. Ihr Blutdruck verbessert sich. Zehn Prozent tut es nicht gut. Diesen Patienten sage ich: Bitte lassen Sie es«, so Michalsen, der selbst im Intervall fastet.

Wird Intervallf­asten das Heilfasten verdrängen? »Beide Ansätze sind komplement­är«, sagt Françoise Wilhelmi de Toledo vom Vorstand der Ärztegesel­lschaft Heilfasten & Ernährung. Ihr Kollege Michalsen meint, Heilfasten sei eine Herausford­erung, bedürfe der Vorbereitu­ng und Begleitung. Intervallf­asten sei im Gegensatz dazu »hoch alltagskom­patibel«.

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