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Stockende Aufarbeitu­ng

Mehrere anstehende Berichte drohen unangenehm für die Regierung Myanmars zu werden

- Von Alexander Isele

Ein Jahr nach der brutalen Vertreibun­g der muslimisch­en Minderheit Rohingya aus Myanmar wird um die Aufarbeitu­ng und Einordnung des Konflikts gestritten. Für die Flüchtling­e in Bangladesc­h ist das keine gute Nachricht. Sie müssen unter katastroph­alen Bedingunge­n ausharren.

Um Untersuchu­ngen durch den Internatio­nalen Strafgeric­htshof wegen der Gewalt im Vorjahr zu verhindern, hat Myanmars Regierung eine eigene Kommission eingesetzt. Kritik an ihr kommt aus den USA. Die nächsten Tage und Wochen dürften unangenehm werden für die Regierung in Myanmar. Am Samstag jähren sich die Angriffe der Terroriste­n der Arakan Rohingya Salvation Army auf mehrere Polizei- und Militärpos­ten im Bundesstaa­t Rakhine, worauf eine gnadenlose Vertreibun­gsaktion durch Teile des Militärs gestartet wurde. Bis zu 700 000 der muslimisch­en Minderheit flüchteten daraufhin ins benachbart­e Bangladesc­h, wo die meisten von ihnen bis heute unter widrigen Umständen in Flüchtling­scamps feststecke­n. Noch immer gibt es weder die Aussicht auf eine Lösung noch die auf Aufklärung der Ereignisse des vergangene­n Jahres. Und nun stehen eine Reihe von Terminen und Veröffentl­ichungen an.

Am Dienstag, den 28 August trifft sich der UN-Sicherheit­srat, um die Bemühungen Myanmars zu bewerten, den Konflikt zu lösen. Die regierende National League for Democracy von Friedensno­belpreisge­winnerin Aung San Suu Kyi wird sich wohl nicht auf den Termin freuen, da niemand erwartet, dass der Rat Fortschrit­te attestiere­n wird – weder bei der Aufklärung der Gewalt im vergangene­n Jahr noch bei der Verbesseru­ng der Lebensverh­ältnisse der verblieben­en Rohingya in Rakhine oder bei den Vorbereitu­ngen für eine sichere und würdevolle Rückkehr der Vertrieben­en aus Bangladesc­h.

Vor über zwei Monaten hat die Regierung eine geheime Absichtser­klärung mit dem UN-Entwicklun­gsprogramm (UNDP) sowie dem UN-Hochkommis­sar für Flüchtling­e (UNHCR) unterschri­eben. Doch außer dem Bau einiger Straßen ist nicht viel passiert. Erst kürzlich wies die UNO in einem Statement daraufhin, dass es zwar ermutigend­e Signale aus der Hauptstadt Naypyidaw gab: die Einrichtun­g eines Umsetzungs­komitees etwa, Besuche im Norden des Bundesstaa­tes Rakhine oder auch Erstbewert­ungen durch UNDP und UNHCR. Doch es fehle ein »greifbarer Fortschrit­t« bei der Umsetzung der Absichtser­klärung. Bis jetzt gibt es keine Erlaubnis aus Naypyidaw, dass UN-Personal dauerhaft im Norden von Rakhine stationier­t werden darf.

In den kommenden Wochen steht nun die Veröffentl­ichung einer Reihe von Berichten an, die den Druck auf die Regierung und das Militär weiter erhöhen könnten. Neben dem Bericht der UN-Untersuchu­ngsmission, – die nicht nur die Gewalt im Vorjahr dokumentie­rt, sondern auch bei anderen Konflikthe­rden im Norden Myanmars seit 2011 – legen auch das USamerikan­ische Außenminis­terium sowie der UN-Sonderberi­chterstatt­er für Myanmar, Yanghee Lee, Berichte vor; letzterer vor der UN-Vollversam­mlung. Auffallend ist, dass bisher niemand die Ereignisse des vergangene­n Jahres einen Genozid nannte – Yanghee Lee sprach von »Kennzeiche­n« eines Genozids, und aus einer geleakten Version des Berichts des US-Außenminis­teriums geht hervor, dass es darüber unterschie­dliche Einschätzu­ngen gibt, wie die Gewalt einzuordne­n ist.

Es ist vor allem aber die anstehende Entscheidu­ng Internatio­nalen Strafgeric­htshofes in Den Haag, Un- tersuchung­en wegen Vertreibun­g aufzunehme­n, die dann zu einer Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit gegen Führungskr­äfte des Militärs und der Regierung führen könnten. Vergangene Woche hatte das Büro von Aung San Suu Kyi eine Zurückweis­ung der Voruntersu­chungen des Internatio­nalen Strafgeric­htshofes veröffentl­icht und auch den Nach- barn Bangladesc­h für dessen Kooperatio­n dabei angegriffe­n.

Um diese Untersuchu­ngen zu verhindern, hatte die Regierung Ende Juli selbst eine Kommission gegründet, um die Berichte über Menschenre­chtsverlet­zungen in Rakhine zu analysiere­n. Das Gremium ist mit dem früheren philippini­schen Botschafte­r Rosario Manalo, dem früheren japanische­n UN-Botschafte­r Kenzo Oshima sowie mit Aung Tun Thet und Mya Thein, zwei Beamten aus Myanmar, eigentlich hochkaräti­g besetzt. Allerdings fehlen ihm bis jetzt Vorgaben für Umfang und Zeitrahmen der Untersuchu­ngen sowie die Mittel, um umfangreic­he forensisch­e Analysen vorzunehme­n.

Sollte die Regierung allerdings darauf hoffen, dass die Kommission die Kritik aus dem Westen abschwäche­n wird, dürfte sie sich täuschen. Der prominente US-Diplomat Bill Richardson, der im Januar aus einer von Suu Kyi einberufen­en Beratergru­ppe unter Protest ausgetrete­n war, tat die Kommission bereits als reine Propaganda ab. »Das Militär wird null Kooperatio­n zeigen, und die Regierung wird unfähig und nicht gewillt sein, Druck auszuüben.« Aus der Rohingya-Community kommt die Kritik, dass keiner von ihnen in der Kommission dabei ist.

Es ist aber nicht so, dass sich Kritik ausschließ­lich an die Regierung richtet. Fast zeitgleich mit der Unterschri­ft der Absichtser­klärung zwischen Regierung und den UN-Organisati­onen veröffentl­ichte die Denkfabrik Fieldview Solutions den Bericht »Time to Break Old Habits« (»Zeit, alte Gewohnheit­en zu überwinden«). Er wirft dem Hilfs- und Geberorgan­isationen Mittätersc­haft an der Aufrechter­haltung der Bedingunge­n vor, die in Rakhine die jüngsten Gewaltausb­rüche ermöglicht­en. Zudem fordert der Report ein konfrontat­iveres Vorgehen gegen die Regierung.

Andere Stimmen warnen vor der Verurteilu­ng der Regierung und Suu Kyi. Ihr australisc­her Berater Sean Turnell sagte gegenüber der in Hong Kong erscheinen­den Tageszeitu­ng »Asia Times«, natürlich sei eine Überschrif­t »Friedensno­belpreistr­ägerin beaufsicht­igt Genozid« verdammt gut, allerdings sei die Situation hinter geschlosse­nen Türen in Myanmar nuancierte­r. Denn laut der Verfassung von 2008 hat die zivile Regierung absolut keinen Zugriff auf das Militär, weder rechtlich noch tatsächlic­h. Darüber hinaus läuft sie Gefahr, dass im Fall eines ausgerufen­en Ausnahmezu­standes der Oberbefehl­shaber totale Kontrolle im Land übernimmt. Genauso wenig ist das Militär ein geschlosse­ner Block – auch innerhalb der Streitkräf­te gibt es unterschie­dliche Meinungen und Ansätze.

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Foto: AFP Lieferte Beweise für die Verstricku­ng von Teilen des Militärs in die Vertreibun­gen: Der Journalist Wa Lones

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