Kolonialrecht gegen »imageschädigende Berichterstattung«
In Myanmar stehen zwei Reporter vor Gericht, die zu einem Massaker an Rohingya-Männern recherchierten
Die Journalisten Wa Lone und Kyaw Soe Oo müssen sich vor Gericht wegen Diebstahls von Staatsgeheimnissen verantworten. Ihnen drohen bis zu 14 Jahren Haft.
Berlin. Es ist ein Prozess gegen zwei Reporter aus Myanmar, aber doch auch mehr: ein Kampf um die Deutungshoheit darüber, wie die Vertreibungen des vergangenen Jahres einzuordnen sind. In Yangon stehen die beiden Reuters-Journalisten Wa Lone und Kyaw Soe Oo vor Gericht, die mit ihrer Berichterstattung maßgeblich dazu beigetragen haben, die Beteiligung des Militärs an den Gewalttaten gegen die muslimische Minderheit im Bundesstaat Rakhine nachzuweisen. Und die wegen Diebstahls von Staatsgeheimnissen angeklagt sind.
Am 12. Dezember vergangenen Jahres wurden die beiden Reporter verhaftet. Vor Gericht erzählt Wa Lone die Geschichte so: Am späten Nachmittag erhielt er einen Anruf vom Obergefreiten des achten Bataillons der myanmarischen Sicherheitskräfte, Naing Ling, der ihn drängte, sich sofort zu treffen.
Der damals 31-jährige Wa Lones zögerte, seit Monaten recherchierte er über das achte Bataillon im Zusammenhang mit der Hinrichtung von zehn Rohingya-Männern während einer Operation im Westen Rakhines. Nach Absprache mit dem Reuters-Büroleiter begab er sich zusammen mit seinem Kollegen Kyaw Soe Oo zu einem Straßenbiergarten außerhalb einer Anlage des Bataillons in Yangon.
Dort hätten Naing Ling und ein weiterer Polizist mit den beiden Reportern über die Situation in Rakhine gesprochen; hätten erzählt, wie sie am 25. August von Rhohingya-Terroristen angegriffen worden seien. Zum Abschluss des Gesprächs habe der Obergefreite Wa Lone eine Zeitung überreicht, in der einige Dokumente eingewickelt waren. Beim Verlassen des Biergartens sind Wa Lone und Kyaw Soe Oo dann von Männern in ziviler Kleidung umringt und verhaftet worden: Dies seien geheime Dokumente, sollen sie gesagt haben.
Naing Ling erzählt die Ereignisse des 12. Dezembers vor Gericht anders. Nicht er habe angerufen, sondern Wa Lone habe ihn kontaktiert und auf ein Treffen gedrängt. Auch sei er allein beim Treffen mit den beiden Reportern gewesen, und Dokumente habe er nicht übergeben.
Wa Lone hat sich in Myanmar als Reporter einen guten Ruf erarbeitet, als einer, der als erster in Krisenregionen reist und dort über die bewaffneten Konflikte schreibt. So schrieb er auch über die Angriffe der Arakan Rohingya Salvation Army auf Polizei- und Militärposten in Rakhine. Aber er ging eben auch Hinweisen nach, dass Teile des Militärs für die Vertreibungen verantwortlich waren. Im Februar – da waren die beiden Reporter schon lange in Haft – veröffentlichte Reuters einen Artikel, den er zusammen mit Kyaw Soe Oo geschrieben hatte und der die Sicherheitskräfte beschuldigte, am 2. September ein Massaker an zehn Ro- hingya-Männern im Dorf Inn Din begangen zu haben.
In den vergangenen Monaten hat Amnesty International mehrere Berichte vorgelegt, in denen dem Militär schwerste Verbrechen vorgeworfen werden. Und auch Reuters legte im Juni nach, in einem Bericht zeichneten sie minutiös nach, wie zwei Eliteeinheiten der Armee die Angriffe auf die muslimische Minderheit ausführ- ten und wie eng die Verbindungen des Obersten Befehlshabers General Min Aung Hlaing zu den Elitetruppen sind.
Bis heute wird von den Behörden Myanmars zurückgewiesen, dass Polizisten in die Angriffe involviert waren. Noch im August letzten Jahres sagte Aung Hla Tun auf einer Konferenz, dass es die Verantwortung von Journalisten dieser Tage sei, »das Image unseres Landes aufrechtzuerhalten, das von unethischen Berichten internationaler Medien beschmutzt worden ist«.
Wa Lone, dessen Kind geboren wurde, als er bereits in Haft war, und Kyaw Soe Oe, dessen Frau und vierjährige Tochter die Verhandlungen besuchen, drohen bis zu 14 Jahren Haft – basierend auf einem Gesetz, das noch aus britischer Kolonialzeit stammt. Ein wenig Hoffnung bleibt, ein Polizist hatte ausgesagt, dass die beiden Männer in einen Falle gelockt wurden. Kurz darauf wurde dessen Familie aus dem Polizeiwohnheim geworfen, er selbst zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Am kommenden Montag werden die Urteile gegen Wa Lone und Kyaw Soe Oo erwartet.