Steilvorlage für Antifeministen
Warum die #Metoo-Bewegung die Missbrauchsvorwürfe gegen die Hollywood-Schauspielerin Asia Argento verkraften wird, erklärt Caren Miesenberger
Die italienische Schauspielerin Asia Argento war eine der Ersten, die im Herbst vergangenen Jahres den Filmproduzenten Harvey Weinstein öffentlich der Vergewaltigung bezichtigte. Jetzt wird sie selbst der sexualisierten Gewalt beschuldigt: 2013 soll sie laut »New York Times« mit dem damals 17-jährigen Schauspieler Jimmy Bennett Sex gehabt haben. Sie war zu dem Zeitpunkt 37 Jahre alt. In Kalifornien ist Sex mit Minderjährigen ein Verbrechen. Nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe leidet die Glaubwürdigkeit der Aktivistin, deren Engagement das von Tarana Burke initiierte Hashtag #MeToo weltweit zu einem kollektiven Kanal der Artikulation sexualisierter Übergriffe machte. Gegen eine außergerichtliche Zahlung von 380 000 US-Dollar, die Argentos mittlerweile verstorbener Partner Anthony Bourdain quasi zeitgleich zu ihrem öffentlichen Einsatz für die #MeToo-Bewegung leistete, hat Bennett geschwiegen. Zuletzt stritt die 43-Jährige die Vorwürfe ab und bezeichnete Bennett als Aggressor.
Weder Argento noch Bennett oder ihre juristischen Vertretungen wollen sich zu den gegenseitigen Vorwürfen äußern. Aber der Fall zeigt: Machtverhältnisse sind komplex – und nur, weil eine Person von sexualisierter Gewalt betroffen ist, bedeutet dies nicht, dass sie nicht auch Täterin sein kann. Oder, wie die Kulturwissenschaftlerin Mithu Sanyal einst vorschlug und was innerhalb feministischer Kreise stark diskutiert wurde, es sich um »Erlebende« sexualisierte Gewalt handelt. Denn diese ist strukturell so verbreitet, dass fast jede siebte Frau in Deutschland vergewaltigt oder genötigt wurde, wie das Bundesminis- terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2004 in der aktuellsten repräsentativen Umfrage für Deutschland feststellte.
Gerade für Männer ist das Sprechen über eigene Erfahrungen als Betroffener oft mit noch mehr Scham und Stigmata belastet, raubt es ihnen doch einen Teil ihrer Männlichkeit, die sich auch aus sexueller Autonomie und Dominanz Caren Miesenberger ist Journalistin. Sie schreibt überwiegend zu Genderthemen in Deutschland und Brasilien. speist. Jede betroffene Person verdient Gerechtigkeit, jede missbrauchende Person muss für seine Tat zur Rechenschaft gezogen werden. Aber für die Machtverhältnisse, die die kollektive Bewegung #MeToo kritisiert, ist nur nachrangig relevant, ob eine in ihr aktive Einzelperson selbst übergriffig war oder nicht – selbst wenn sie prominent ist. Es wirkt, als würden Antifemistinnen den bislang ungeklärten Fehltritt Argentos als Steilvorlage nutzen, die #MeToo-Bewegung und ihr Anliegen zu diskreditieren Das Motto dabei: »Seht, ihr Frauen seid auch nicht besser.«
Aber der Fehltritt einer Einzelperson delegitimiert nicht eine gan- ze Bewegung. So tweetet die Initiatorin von #MeToo, Tarana Burke: »Sexualisierte Gewalt geht um Macht und Privilegien. Dies ändert sich nicht, wenn der Täter deine Lieblingsschauspielerin, Aktivistin oder Professorin egal welchen Geschlechts ist.«
In Deutschland waren laut der aktuellsten polizeilichen Kriminalstatistik 2017 rund 95 Prozent der zur Anzeige gebrachten Vergewaltiger männlich und nur fünf Prozent weiblich. Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung sind 93 Prozent weiblich und sieben Prozent männlich. Das Schwierige an den polizeilichen Zahlen: Sie erfassen nur die Fälle, die zur Anzeige gebracht wurden. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. Was es braucht, ist nicht die Spaltung von Betroffenen, sondern eine Kultur, die es ermöglicht, über Betroffenheit zu sprechen und Heilung zu bekommen. Und eine, in der Konsens bei sexuellen Handlungen Normalität ist, so dass Übergriffe irgendwann die Ausnahme werden und nicht die Regel bleiben.
Dieser Prozess darf nicht durch die Diffamierung einer ins Kreuzfeuer geratenen Einzelperson, die sich vielleicht einmal fehlerhaft verhalten hat, überschattet werden. Feministin zu sein ist kein bezahlter Job, in dem eine gewählte Vertreterin qua Berufung zur moralischen Instanz für absolute Fehlerfreiheit zu jedem Zeitpunkt ihres Lebens wird. Der Feminismus ist vielmehr eine plurale Bewegung, die herrschende Machtverhältnisse verändern will. Feminist*innen sind in erster Linie Menschen – und diese machen Fehler. #MeToo verkraftet interne Fehltritte und wird dadurch nicht unwichtiger.