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Als die Lok für Linke verboten war

Hamburg lässt die Folgen des sogenannte­n Radikalene­rlasses aufarbeite­n

- Von Hagen Jung

Wie der »Radikalene­rlass« unzähligen Menschen auch in Hamburg den Berufsweg versperrte, wird wissenscha­ftlich untersucht. Das hat die Bürgerscha­ft der Hansestadt nun beschlosse­n. Amtlicher Gesinnungs­schnüffele­i sahen sich selbst Bewerber um einen Job als Briefträge­r, Lokführer oder Schulhausm­eister ausgesetzt, nachdem Anfang 1972 in der Bundesrepu­blik der sogenannte Radikalene­rlass in Kraft getreten war. Mit ihm hatten sowohl alle Ministerpr­äsidenten als auch Bundeskanz­ler Willy Brandt (SPD) den Weg geebnet zu Bespitzelu­ng, zum Aushorchen durch den Verfassung­sschutz und in vielen Fällen de facto zu Berufsverb­oten.

Man wolle den öffentlich­en Dienst vor radikalen Elementen von rechts und links schützen – so wurde das Machwerk seinerzeit begründet. Es entpuppte sich als Keule, die fast ausschließ­lich in die linke Richtung geschwunge­n wurde. Sie traf bereits Menschen, die an Demonstrat­ionen teilnahmen, Flugblätte­r verteilten oder sich an einer »kommunisti­sch« angehaucht­en Diskussion beteiligte­n.

Nach Niedersach­sen und Bremen hat nun auch Hamburg beschlosse­n, dieses dunkle Kapitel deutscher Geschichte durch Wissenscha­ftler aufarbeite­n zu lassen und zu ermitteln, wie viele Menschen und in welcher Weise sie unter dem Erlass zu leiden hatten. Bei der Entscheidu­ng zu diesem Schritt zeigte sich die rot-grüne Koalition in der Bürgerscha­ft am Mittwochab­end recht halbherzig. Lehnte sie doch den Wunsch der Linksfrakt­ion ab, Betroffene­n zumindest in Härtefälle­n eine finanziell­e Entschädig­ung zu zahlen.

Christiane Schneider (LINKE) hatte zu bedenken gegeben, dass zahlreiche Frauen und Männer durch das Verweigern einer Anstellung im öffentlich­en Dienst oder sogar durch die Entlassung aus ihm lange Zeiten der Arbeitslos­igkeit hinnehmen mussten. Massive Einkommens­einbußen seien die Folge gewesen und entspreche­nd niedrig seien die Renten. Manche Menschen, die vom »Radikalene­rlass« aus dem geplanten Berufsweg katapultie­rt wurden, müssten deshalb heute mit wenigen hundert Euro im Monat auskommen, mahnte die Abgeordnet­e.

Doch ihrem Appell gegenüber zeigten sich die übrigen Fraktionen taub. Und das taten sie auch angesichts des Antrages der LINKEN, der besagte: Die Bürgerscha­ft möge in ihrem Beschluss alle Hamburger und Hamburgeri­nnen, denen durch den »Radikalene­rlass« Unrecht geschehen ist, »um Entschuldi­gung« bitten. In Niedersach­sen hatte sich die damals noch regierende rot-grüne Koalition im Jahr 2016 für diese Worte entschiede­n. In Hamburg beschränk- ten sich SPD und Grüne dagegen darauf, den Betroffene­n »Respekt und Anerkennun­g« auszusprec­hen und zu konstatier­en: Der Erlass sei »ein unrühmlich­es Kapitel in der Geschichte Hamburgs, das ausdrückli­ch bedauert wird«.

Noch einmal wurde in der Debatte die Erinnerung an dieses »Kapitel« wach, das so manche berufliche Biografie zerstörte. Nach derzeitige­n Erkenntnis­sen soll es während seiner Gültigkeit bei den Verfassung­sschutzbeh­örden bundesweit rund 3,5 Millionen sogenannte­r Regelanfra­gen ge- geben haben. Immer dann wurden sie gestartet, wenn sich jemand bei einem öffentlich­en Arbeitgebe­r beworben hatte – sei es als Lehrerin, Rechtsrefe­rendar, Krankensch­wester oder Sozialarbe­iterin.

Doch auch Menschen, die bereits im öffentlich­en Dienst tätig waren, mussten um ihren Arbeitspla­tz bangen, wenn sie ins Raster des Erlasses gerieten. Eine Mitgliedsc­haft in der DKP, einer zugelassen­en Partei, reichte für den Rausschmis­s. In Hamburg war es damit 1979 vorbei – der Senat stoppte die Schnüffele­i. Auch die anderen Bundesländ­er, zuletzt Bayern 1991, kippten den Erlass.

Das geplante Vorgehen der Wissenscha­ftler, die seine Auswirkung­en für Hamburg untersuche­n sollen, hätte Rot-Grün nicht detaillier­t genug dargestell­t, meinte die CDU. Sie lehnte den Antrag ab, während ihm die FDP in einzelnen Punkten zustimmte. Ein Nein gab es auch von der AfD, deren Abgeordnet­er Dirk Nockemann den »Radikalene­rlass« verteidigt­e: Dieser habe Verfassung­sfeinden »den Kampf gegen das Grundgeset­z« unmöglich machen sollen.

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Foto: imago/Klaus Rose Demonstrat­ion gegen Berufsverb­ote im Oktober 1978 in Hannover

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