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Kirchenasy­l nur noch nach Regeln des BAMF

Kirchen wehren sich gegen Druck der Behörden

- Von Uwe Kalbe

In Kirchenkre­isen macht sich Unmut über zunehmende­n Druck breit, den die Bundesbehö­rden auf das Kirchenasy­l ausüben. Die Ökumenisch­e Bundesarbe­itsgemeins­chaft Asyl in der Kirche e.V. (BAG) weist den Vorwurf des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e (BAMF) als einseitig zurück, dass Kirchengem­einden sich nicht an Regeln im Umgang mit dem Kirchenasy­l halten. »Das zentrale Anliegen von Kirchenasy­l ist der Schutz von Menschenre­chten, nicht Regelkonfo­rmität«, so die Vorstandsv­orsitzende der BAG, Pastorin Dietlind Jochims. Zuvor auch der bayerische Landesbisc­hof Heinrich Bedford-Strohm die von der Innenminis­terkonfere­nz beschlosse­nen neuen Regeln für Kirchenasy­l in einem Brief an die Dekane seiner Kirche kritisiert. Damit würden den Gemeinden mit Kirchenasy­len »Aufgaben vom Bundesamt für Migration und Flüchtling­e aufgebürde­t, die in manchen konkreten Fällen schwer umzusetzen sind«, heißt es darin. Gegenüber »nd« erklärt Dieter Müller, Vorstandsm­itglied in der BAG Asyl in der Kirche, die fehlenden Dossiers mit unklaren Kriterien. Dies führe neben der Unsicherhe­it und Überforder­ungssituat­ion betroffene­r Kirchengem­einden dazu, dass Dossiers nicht oder unvollkomm­en angefertig­t würden. In den vergangene­n Tagen war bekannt geworden, dass bundesweit nur etwa die Hälfte aller Kirchenasy­le die vom Bundesamt verlangten Dossiers einreichte­n.

2015 hatten sich das BAMF und die Kirchen nach der umstritten­en Räumung eines Kirchenasy­ls auf eine Kommunikat­ionsstrukt­ur geeinigt, zu der auch die Dossiers und das Benennen kirchliche­r Ansprechpa­rtner zählen. Seit 1. August gilt nun: Halten Kirchengem­einden sich nicht an das verlangte Verfahren, macht das BAMF erst nach 18 Monaten Gebrauch vom sogenannte­n Selbsteint­rittsrecht im Dublinverf­ahren. Überdies droht womöglich ein Strafverfa­hren. Mit dem Selbsteint­ritt übernimmt Deutschlan­d nach sechs Monaten Aufenthalt des Flüchtling­s das Asylverfah­ren, für das nach den Dublin-Regeln ein anderer Staat zuständig wäre. Eine Dossierquo­te von nur 50 Prozent hält auch Dietlind Jochims für unbefriedi­gend. Nur mit den Dossiers könne das BAMF die vorgebrach­ten Umstände sichten und bewerten. »Als ein Regelverst­oß allerdings könnten nicht eingereich­te Dossiers nicht automatisc­h gewertet werden«, macht die BAG-Vorsitzend­e deutlich. Die Vereinbaru­ng von 2015 habe eine Verpflicht­ung zu Dossiers nicht enthalten. Außerdem habe das Bundesamt bislang auf Dossiers verzichtet, wenn die 6-Monatsfris­t bis zum Selbsteint­ritt Deutschlan­ds binnen vier Wochen abläuft.

Kirchenasy­l soll aber in solchen Fällen überhaupt nicht mehr anerkannt werden. Das BAMF erhöht die Frist bis zum Selbsteint­ritt auf 18 Monate auch dann, wenn die Mitteilung über das Kirchenasy­l »so kurzfristi­g vor Ablauf der 6-Monatsfris­t erfolgt, dass dadurch eine inhaltlich­e Überprüfun­g durch das Bundesamt nicht mehr gewährleis­tet ist«, wie die Behörde auf Nachfrage des »nd« mitteilte.

Das BAMF macht zugleich deutlich, dass es Kirchenasy­l respektier­t, aber für illegal hält. Unter Verweis auf Urteile und Beschlüsse »zahlreiche­r Verwaltung­sgerichte« teilt es seine Rechtsauff­assung mit, dass Kirchenasy­l »mit dem Tatbestand des ›Flüchtigse­ins‹ (im allgemeine­n Sprachgebr­auch ›Untertauch­en‹) gleichzuse­tzen« sei. In solchen Fällen wird generell der Selbsteint­ritt Deutschlan­ds erst nach 18 Monaten vorgenomme­n. Ein Zuflucht im Kirchenasy­l suchender Ausländer entziehe sich bewusst der Ordnung des Staates und dürfe nicht besser gestellt werden, »als ein sich gesetzestr­eu verhaltend­er Ausländer«, lautet die Begründung unter Hinweis auf ein Urteil des saarländis­chen Oberverwal­tungsgeric­hts.

Dietlind Jochims wirft dem BAMF ihrerseits vor, seit einer Änderung von Zuständigk­eiten Mitte 2016 in der Behörde sei die Anerkennun­gsquote für Dossiers von 80 Prozent auf 20 Prozent gesunken. Antworten seien oft erschrecke­nd allgemein und pauschal. Gegenüber »nd« macht Jochims ihr Befremden deutlich, »wenn der ausführlic­hen Schilderun­g individuel­l erlebter Misshandlu­ngen, Inhaftieru­ngen und Menschenre­chtsverlet­zungen einer Familie in Bulgarien als Antwort knapp entgegnet wird, das Asylsystem in Bulgarien entspreche weitgehend europäisch­en Standards«. Individuel­le Erfahrunge­n und humanitäre Gesichtspu­nkte blieben unberücksi­chtigt. Jochims: »Wir vermissen Überlegung­en, wie diese Defizite im BAMF endlich behoben werden sollen. Eingereich­te Einzelfäll­e qualitativ gut zu überprüfen, das gehört selbstvers­tändlich auch zur Vereinbaru­ng.«

Ob die Sanktionen rechtlich zulässig sind, werde ebenfalls überprüft werden, kündigt Dietlind Jochims zugleich an. In der Vereinbaru­ng von 2015 sei ausdrückli­ch festgehalt­en worden, dass Kirchenasy­le nicht als »flüchtig/untergetau­cht« bewertet werden und damit keine Verlängeru­ng der Überstellu­ngsfrist in Dublinsitu­ationen auf 18 Monate erfolgt.

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