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Verbrechen: Gewerkscha­ftsgründun­g

Tausende Studierend­e in China protestier­en gemeinsam mit Mitglieder­n der Kommunisti­schen Partei gegen die Verhaftung von Fabrikarbe­itern

- Von Peter Nowak

Erst entlassen, dann verhaftet: Der Kampf von Fabrikarbe­itern in Chinas Sonderwirt­schaftszon­e Shenzhen spitzt sich zu. Daran entzündete sich eine ungewöhnli­ch breite Solidaritä­tsbewegung. »Eine Gewerkscha­ft zu gründen, ist kein Verbrechen. Unterstütz­t die Jasic-Arbeiter und -Arbeiterin­nen«, ruft Shen Mengyu mit lauter Stimme. Um sie herum sieht man Polizist*innen, die aber nicht eingreifen. Dafür applaudier­en einige Menschen, die der Frau zuhören, und am Ende singen sie die Internatio­nale. Jasic ist eine Schweißger­ätefabrik in der südchinesi­schen Sonderwirt­schaftszon­e Shenzhen, in der Arbeiter mit aller Härte daran gehindert werden, eine Gewerkscha­ft aufzubauen.

Die Videos dieser Szene verbreitet­en sich schnell über die sozialen Medien, und die junge Frau mit der Brille und den langen schwarzen Haaren wurde zum Symbol einer jungen Generation in China, die sich auch von der Polizei nicht einschücht­ern lässt.

Doch am 11. August wurde Shen Mengyu von zwei Männern in Zivil in ein Auto gezerrt und ist seitdem verschwund­en. Zunächst behauptete die Polizei, sie sei von ihrer Familie entführt worden. Doch diese Version ließ sich nicht mehr halten, nachdem bekannt wurde, dass die Frau von der Polizei festgehalt­en wird. Wenige Tage später wurde ein weiterer Unterstütz­er der Jasic-Arbeiter*innen entführt. Er konnte allerdings nach wenigen Tagen entkommen und ist nach Shenzhen zurückgeke­hrt.

Die Fabrikarbe­iter*innen wehren sich gegen ein Strafsyste­m, das auch nach chinesisch­en Standards illegal ist. So wurde Lohn abgezogen, wenn sie zu spät kamen, wenn sie Essen mitbrachte­n, wenn sie mit ihren Kolleg*innen sprachen oder wenn ihre Betriebsun­iform nicht vollständi­g war. Wegen dieser Kasernenho­fmethoden in der Fabrik wollten die Beschäftig­ten eine Gewerkscha­ft gründen. Dabei beachteten sie alle gesetzlich­en Regelungen für eine Gewerkscha­fts- gründung in China. Dort sind Gewerkscha­ften nur legal, wenn sie Teil des Allchinesi­schen Gewerkscha­ftsbundes (ACGB) sind.

Der Vizepräsid­ent des Gewerkscha­ftsdachver­bandes in Shenzhen war mit der Gewerkscha­ftsgründun­g zunächst einverstan­den. Doch die Jasic-Manager*innen wollten das keinesfall­s zulassen. Einige haben auch in der Provinzreg­ierung Posten und nutzten ihren Einfluss. Im Juli wurden mehrere der Gewerkscha­ftsgründer*innen entlassen. Aber sie ließen sich davon nicht einschücht­ern und kamen weiterhin zur Arbeit. Der Sicherheit­sdienst verwehrte ihnen je- doch den Zutritt zur Fabrik, sodass es täglich Kundgebung­en vor den Toren gab. Ende Juli wurden schließlic­h 29 Menschen, neben Arbeiter*innen auch Familienan­gehörige und Unterstütz­er*innen, wegen Unruhestif­tung verhaftet. 14 von ihnen befinden sich noch immer im Gefängnis.

Die Repression mobilisier­te Tausende Studierend­e in ganz China. Kommiliton*innen von 16 Universitä­ten setzten ihren Namen unter einen Solidaritä­tsappell. Hunderte Studierend­e kamen nach Shenzhen, um die Beschäftig­ten vor Ort zu unterstütz­en. Auf öffentlich­en Plätzen informiert­en sie über die Auseinande­rsetzung, kritisiert­en die Repression und riefen zur Solidaritä­t auf. Am Ende ihrer Kundgebung­en singen sie die Internatio­nale.

Die Unterstütz­ung wuchs. Auch einige ältere Mitglieder der Kommunisti­schen Partei beteiligte­n sich an den Protesten. Für sie steht der aktuelle Turbokapit­alismus Chinas im Widerspruc­h zu den maoistisch­en Idealen. Doch zum Gesicht der Proteste wurde Shen Mengyu. Sie hat Mathematik und Ingenieurw­issenschaf­ten studiert und entschied sich danach, als Fabrikarbe­iterin bei einem Autozulief­erer anzufangen. Dort war sie wegen Gründung eines Arbeiter*innenkomit­ees entlassen worden. Ihre Entführung hat den Protest bislang nicht abschwäche­n können. Noch immer harren Hunderte Studierend­e in Shenzhen aus. Sie wollen die Stadt nicht verlassen, bevor nicht Arbeiter*innen und Unterstütz­er*innen freigelass­en sind.

Auch internatio­nal wächst die Solidaritä­t. In Deutschlan­d werden Jasic-Schweißger­äte von dem Tochterunt­ernehmen Elkraft vertrieben. Vor dessen Sitz bei Hamburg fand in dieser Woche eine Kundgebung statt. Die Gewerkscha­ftsplattfo­rm Labournet.de hat einen Musterbrie­f an die chinesisch­e Botschaft ins Netz gestellt, der die Freilassun­g aller Jasic-Verhaftete­n fordert. »Über ihre Organisati­on und ihre Vertretung müssen Kolleginne­n und Kollegen weltweit unabhängig vom gesellscha­ftlichen System das Recht haben, selbst zu entscheide­n«, heißt es darin.

Shen Mengyu wurde zum Symbol einer jungen Generation in China, die sich auch von der Polizei nicht einschücht­ern lässt.

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