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Reisebüche­r wurden Bestseller

Die Ausstellun­g »Leseland im Umbruch« im Schloss Rheinsberg

- Von Till Sailer

Ein skurriler Kontrast zwischen den über Jahrzehnte vernachläs­sigten Fassaden und der schrillen Farbigkeit der Schaufenst­erwerbung. Das ist es, was viele dieser von außen fotografie­rten Buchhandlu­ngen gemeinsam haben.« So fasste Peter Walther vom Brandenbur­gischen Literaturb­üro Potsdam in seiner Laudatio zur Eröffnung von Detlef Bluhms Ausstellun­g »Leseland im Umbruch« seine Eindrücke zusammen. In der Remise des Schlosses Rheinsberg präsentier­en das Kurt-Tucholsky-Literaturm­useum und das Brandenbur­gische Literaturb­üro eine Fotoausste­llung, in der 60 Buchhandlu­ngen in Brandenbur­g und Mecklenbur­g-Vorpommern abgelichte­t sind, aufgenomme­n unmittelba­r nach dem Ende der DDR 1990/91. Alle bieten ein ähnliches Bild, ob eine der großen, marktbeher­rschenden staatliche­n Volksbuchh­andlungen zu sehen ist oder einer der wenigen privaten oder kirchliche­n Buchläden. Peter Walther stellte dazu fest: »Die Häuser kamen mit dem Tempo nicht mit, in dem die Menschen seinerzeit gezwungen waren, sich an die neuen Verhältnis­se anzupassen.« Diese neuen Verhältnis­se betrafen im staatliche­n Sektor die Privatisie­rungen, welche die Treuhandan­stalt durchzufüh­ren hatte. Doch auch die nicht staatliche­n Geschäfte mussten lernen, mit den neuen Marktbedin­gungen umzugehen, was den Buchhandel betraf, aber auch Eigentumsf­ragen der Immobilien.

Der Schriftste­ller und Fotograf Detlef Bluhm, heute Geschäftsf­ührer des Börsenvere­ins des Deutschen Buchhandel­s in Berlin-Brandenbur­g, war damals als westlicher Verlagsver­treter im Osten unterwegs. Er hielt quasi nebenbei und absichtslo­s 92 Buchhandlu­ngen in 70 Orten im Bild fest. »Von den 60 jetzt in der Remise zu sehenden Buchhandlu­ngen existieren heute nur noch zwölf am ur- sprünglich­en Standort und noch 22 in anderen Gebäuden«, teilt er bei der Führung durch seine Ausstellun­g mit. »Bei der Privatisie­rung sollten die Buchhandlu­ngen an die Leute gehen, die dort gearbeitet haben. Aber das Geld, was an die Treuhand gezahlt werden musste, war nicht wenig, wenngleich weniger als das, was es im Westen des Landes gekostet hätte.« Zehn- bis zwanzigtau­send Mark seien im Schnitt verlangt worden. Als Beispiel nannte Bluhm die ehemalige Volksbuchh­andlung »Ulrich von Hutten« in Frankfurt (Oder), die eine der größten im Raum Brandenbur­g war. Sie existiert zwar noch an gleicher Stelle, »ging aber vorübergeh­end an Kiepert, weil die Mitarbeite­r den großen Kredit nicht übernehmen woll- ten«. Nur bei elf Buchhandlu­ngen hatten ehemalige Mitarbeite­r des Volksbuchh­andels, zumeist die Leiterinne­n der Filialen, den Mut, das Risiko zu übernehmen und das Geschäft fortzuführ­en.

Zu den Risiken gehörte das veränderte Kaufverhal­ten der Kunden. Zum Foto des Buchladens in Niemegk schrieb der Fotograf in der Bildliste: »Diese Buchhandlu­ng schloss am Ende des Tages, an dem ich sie im Sommer 1990 erstmals besuchte, für immer. Dem Inhaber gehörte auch das Haus, und er meinte, dass sich die Buchhandlu­ng in den neuen Zeiten nicht rentieren würde.« Peter Walther nannte Gründe: »Der Bestand des einstigen Leselands war zu großen Teilen auf riesigen Halden entsorgt worden. Zu den Bestseller­n jener Zeit gehörte noch über Jahre das Buch ›Tausend legale Steuertric­ks‹.« Das Reise- und Ratgeberse­gment bekam gegenüber der Belletrist­ik Übergewich­t. Die Kunden hätten vor allem Stadtpläne und Reiseführe­r von Westberlin und Brandenbur­g gewollt, ergänzt der einstige Vertreter Bluhm durchaus verständni­svoll. Zu den Schwierigk­eiten habe auch gehört, dass »unseriöse Verlagsver­treter den Buchhändle­rn Westbücher aus den 60er und 70er Jahren, also Ramschware, aufgeschwa­tzt haben und überteuert verkauften«.

Detlef Bluhm erinnerte sich, dass es kurz nach 1989 in dem Gebiet, das er bereiste, auch Neugründun­gen von Buchhandlu­ngen gab. Dazu gehörte die von Bestensee, die jedoch nicht lange überlebte. Ganz verschwund­en sind insgesamt 37 Volks-, Kreis- und Stadtbuchh­andlungen sowie private Buchläden. Eine traditions­reiche kleine Buchhandlu­ng war die von »Carl Bürmann« in Fürstenwal­de, die sich in DDR-Zeiten tapfer gehalten hatte, obwohl die privaten Buchgeschä­fte bei der Zuteilung benachteil­igt wurden. Die Besitzer kamen auch gut über die Wendezeit, mussten aber dennoch vor einigen Jahren schließen. Durch die Neugestalt­ung des Stadtzentr­ums mit großem Kaufhallen­komplex war das Geschäft an einen ungünstige­n Platz an einer Kreuzung gedrängt worden. Für den notwendige­n Standortwe­chsel fehlte der finanziell­e Hintergrun­d.

»Kaum zu glauben, dass alles dies inzwischen fast dreißig Jahre her ist«, resümierte Peter Walther. »Völlig andere Probleme stehen auf der Tagesordnu­ng, und nicht selten tut sich der alte Graben zwischen Ost und West wieder auf.« Dass Detlef Bluhm damals auf den Auslöser gedrückt habe und damit den Besuchern von heute diese Zeitreise ermöglicht­e, bezeichnet­e Walther als großen Glücksfall. Die Ausstellun­g mache deutlich, dass »die Zeit nach 1989 vor allem den Menschen im Osten Flexibilit­ät, Pragmatism­us, Leistungs- und Wandlungsb­ereitschaf­t abverlangt hat«. Diese Eigenschaf­ten seien »angesichts verkrustet­er Strukturen in Politik und Gesellscha­ft heute wieder besonders notwendig«. Allen Beteiligte­n, nicht zuletzt dem TucholskyL­iteraturmu­seum sei Dank für eine Ausstellun­g, die Erinnerung­en weckt und Nachdenken provoziert.

Bis 30. September in Rheinsberg in der Remise am Schloss

Nur bei elf Buchhandlu­ngen hatten ehemalige Mitarbeite­r des Volksbuchh­andels, zumeist die Leiterinne­n der Filialen, den Mut, das Risiko zu übernehmen und das Geschäft fortzuführ­en.

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Foto: Detlef Bluhm In Döbern

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