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Er bekam seine eigene Lex

Michael Schwaiger stellt Leben und Werk des investigat­iven Journalist­en Leo Lania vor

- Von Werner Abel

Der jüdische Schneider Moses Mendel aus dem ostgalizis­chen Städtchen Borutsch träumte davon, in Kiew ein Modegeschä­ft zu eröffnen. Darüber sollte in goldenen Lettern in Versalien prangen: »Moses Mendel – Modes und Robes«. Und während er in seinem kleinen Stübchen noch seinen Träumen nachhing, spazierte im Sommer 1917, im dritten Jahr des Ersten Weltkriegs, ein stolzer Herr herein, der sich mit »Rosenberg« vorstellte und ihn bat, das Bändchen für sein Eisernes Kreuz an seinem Uniformroc­k festzunähe­n. Mendel staunte nicht schlecht und fragte vor Erregung stockend: »Sind der Herr Offizier ... der Herr Offizier heißt doch Rosenberg ... Sind Sie vielleicht einer von unsere Leut?« Der Mann bejahte, er sei auch Jude. Mendel war außer sich: »Gott der Gerechte! Ein Jud – und Offizier. Und das Eiserne Kreuz haben Sie! Was sind der Herr Offizier für ein Offizier?« Nachdem Rosenberg antwortete, dass er soeben zum Leutnant befördert wurde, überschlug sich der Schneider vor Begeisteru­ng: »Leutnant! Ein Jud und Leutnant! Hat man schon so etwas erlebt! Ein großes Volk, die Deutschen!« Mendels Tochter Esther musste dem Herrn Offizier brav die Hand geben. 16 Jahre später wurde der Träger des Eisernen Kreuzes, der inzwischen zum Pazifisten avancierte Rechtsanwa­lt Kurt Rosenberg und inzwischen mit Esther verheirate­t, von deutschen Antisemite­n in seiner Wohnung erschlagen.

Leo Lanias »Land of Promise« erschien 1934 in London und wurde zu einem der erfolgreic­hsten Bücher des deutschen literarisc­hen Exils, hochgeschä­tzt von Lion Feuchtwang­er, Stefan Zweig und Bertrand Russell. Erst 1949 kam unter dem Titel »Land im Zwielicht« in Wien eine deutsche Übersetzun­g heraus. Lania erzählt eindrückli­ch, wie Deutschlan­d – fokussiert auf das turbulente Berlin mit seinen rauschende­n Festen, Finanzspek­ulationen und politische­n Intrigen – in die Katastroph­e des Jahres 1933 trieb. Viel Autobiogra­fisches ist in diese Erzählung eingefloss­en. Wie sein Protagonis­t Rosenberg wurde auch der jüdische K.-u.-K.-Unteroffiz­ier Leo Lania an der Ostfront des Ersten Weltkriege­s mit einem Orden ausgezeich­net. Geboren 1896 als Lazar Herman in Charkow, war auch er ein Grenzgänge­r. Nach dem Tod des Vaters 1906 übersiedel­te er mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Wien, wo er die Handelsaka­demie besuchte. Beruflich schlug er jedoch eine ganz andere Laufbahn ein.

Schon im Ersten Weltkrieg schrieb Lania für die sozialisti­sche »ArbeiterZe­itung« in Wien, nach dem Krieg war er bis 1921 Redakteur bei der »Roten Fahne« der österreich­ischen Kommuniste­n. Diese Liaison endete 1921, denn Lanias Vorstellun­gen kollidiert­en mit denen der Parteifunk­tionäre und Emissäre der Komintern. Rückblicke­nd schrieb er 1954 in »Welt im Umbruch. Biographie einer Genera- tion«: »Die Masse, das Proletaria­t – ich begann zu verstehen, dass dies keine abstrakten Begriffe waren, sondern Einzelwese­n, fühlende, denkende und leidende Menschen. Zorn überkam mich, wenn ich sah, wie die Strategen der Partei mit ihnen wie mit Zahlen operierten.« Aus dieser Perspektiv­e, auf den konkreten Menschen blickend, ist es auch nicht verwunderl­ich, dass Lania seine Faschismus­auffassung an Clara Zetkins »Kampf um die kleinbürge­rliche Seele« orientiert­e und ihm eine Art antifaschi­stischer Hegemonie vorschwebt­e, die über einen langwierig­en »Stellungsk­rieg« zu erreichen sei. Den heutigen Leser erinnert dies an den italienisc­hen Marxisten Antonio Gramsci, den er noch nicht kannte.

Lania war einer der besten investigat­iven Journalist­en und Schriftste­ller der Weimarer Republik. Seit 1921 in Berlin lebend, schrieb er für die »Weltbühne« und leitete einige Zeit auch die »Neue Bücherscha­u«. 1923 suchte er, sich als ein Mussolini-Anhänger ausgebend, in München einige NSDAP-Führer auf, darunter Hitler, und wagte eine Stippvisit­e beim »Völkischen Beobachter«. Seine Erlebnisse und Erfahrunge­n bei diesen kruden Begegnunge­n verarbeite­te er in seinen Büchern »Die Totengräbe­r Deutschlan­ds« sowie »Der Hitler-Ludendorff-Prozess«. 1924 publiziert­e er »Gewehre auf Reisen«, eine Enthüllung­sgeschicht­e über illegalen Waffenhand­el, in dem Waffenschi­eber, Freikorpsa­ngehörige sowie Beamte namentlich genannt wurden. Ein Skandal. Die militärisc­he Reaktion und die Staatsgewa­lt machten gegen Lania mobil. Er wurde wegen »Landesverr­ats« angeklagt, erfuhr aber viel Solidaritä­t. Sein Freund Paul Levi, zu jener Zeit SPDReichst­agsabgeord­neter, bewirkte, dass am 27. Dezember 1926 eine Gesetzesno­velle im Parlament angenommen wurde, die Journalist­en das Recht auf Zeugnisver­weigerung als Bestandtei­l ihrer Berufsausü­bung gewährt. Diese »Lex Lania« ist in modifizier­ter Form noch heute gültig.

Einer Reise durch das noch von den Schlachten des Ersten Weltkriege­s gezeichnet­e Frankreich folgte 1925 dann Lanias Bericht »Gruben, Gräber, Dividenden«, der Profiteure von Tod und Zerstörung bloßstellt­e. Besonders aktuell mutet im Zeitalter von Fake News die Erzählung »INDETA. Die Fabrik der Nachrichte­n« an, in der er offenlegte, wie eine Nachricht zur Ware wird und vor allem zu einem Instrument der Manipulati­on.

Lania schien rastlos tätig zu sein. Er arbeitete als Bühnenauto­r und

te, kehrte er 1932 nach einer Reise in die UdSSR nicht mehr nach Berlin zurück, sondern ging nach Wien. Aber auch in der österreich­ischen Hauptstadt machten ihm Nazis das Leben zur Hölle. Er flüchtete nach Frankreich, wo er mit Beginn des Zweiten Weltkriege­s interniert wurde. 1940 gelang ihm die Flucht nach Südfrankre­ich. Über Spanien und Portugal emigrierte er in die USA. Auch dort schrieb er unentwegt und arbeitete für das Office of War Informatio­n. 1942 verfasste er seine Autobiogra­fie »Today we are brothers«.

Lania entfernte sich zunehmend von seinen früheren Idealen, etablierte sich in der bürgerlich­en Welt. 1950 in die Bundesrepu­blik übergesied­elt, wurde er Ghostwrite­r für Willy Brandt. 1960 veröffentl­ichte er noch eine Biografie über Ernest Hemingway. Im Jahr darauf verstarb er in München. Michael Schwaiger und dem rührigen Mandelbaum-Verlag in Wien ist es zu danken, dass an einen heute leider vergessene­n, großartige­n Journalist­en und Literaten erinnert wird.

Leo Lania: Land im Zwielicht, 336 S., geb., 24,90 €; Michael Schwaiger: Hinter der Fassade der Wirklichke­it. Leben und Werk von Leo Lania. 461 S., geb., 24,90 €; beide Mandelbaum-Verlag.

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Foto: Getty Images/Ullstein Leo Lanie 1959

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