nd.DerTag

Erbschaft der Gewalt

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Als »Erbschaft der Gewalt« bezeichne ich jene mentale Last, die in Deutschlan­d Millionen von Menschen seit dem Ersten Weltkrieg zu tragen hatten, die nicht abzuschütt­eln war in der Zwischenkr­iegszeit und noch weit schwerer und drückender wurde während der Hitler-Diktatur sowie im Zweiten Weltkrieg. Die Rede ist dabei von einer Gewalt, die zuerst gegen andere entfesselt wurde, schließlic­h aber zurückfiel auf ihre Verursache­r. Erst nach 1945 verlor sie allmählich an Gewicht, und am Ende waren drei Generation­en sowie zwei schmerzhaf­te Niederlage­n nebst Staatsumst­ürzen nötig gewesen, um ihre Macht zu brechen. Allerdings, wer kann schon wissen, wie und wie oft ein derartiges Gewalterbe weitergege­ben wird an Künftige und wann es endgültig überwunden ist?

Ausgangspu­nkt in meiner Familie, so will es mir scheinen, war das unzureiche­nd bearbeitet­e Kriegstrau­ma meine Großvaters, Jahrgang 1894, der es trotz vieler innerfamil­iären Kämpfe um die historisch­e Wahrheit nicht vermochte, seine zwei Söhne – der Jüngere von beiden Jahrgang 1924, mein Vater – davon abzuhalten, Hitlers Gefolgsleu­te zu werden und fanatisier­t in dessen Krieg zu ziehen. Doch was in meiner Familie geschah, war weit verbreitet im Land, und die zerstöreri­sche sowie selbstzers­törerische politische Unvernunft verebbte erst in jener von außen auferlegte­n bundesrepu­blikanisch­en Demokratie, zu der es keine Alternativ­e gab – und hoffentlic­h auch in Zukunft nicht gibt!

Wenn ich von Trauma rede, dann übrigens nie in entschuldi­gender Absicht. Viel zu oft wird dieser Begriff inzwischen nämlich gebraucht, um Schuld zu zerreden und sich selbst sowie der eigenen Nation mit dem Ziel der Relativier­ung eine Opferrolle anzumaßen. Trauma heißt heute fast immer reduzierte Verantwort­ungsfähigk­eit. Für mich hingegen ist das Trauma vor allem eine Kategorie, um Täterschaf­t zu definieren ...

Aus dem Buch von Kurt Oesterle »Die Erbschaft der Gewalt. Über nahe und ferne Folgen des Kriegs« (Klöpfer & Meyer, 205 S., geb., 20 €).

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