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Die meistgefil­mte Stadt der Welt

Drehen in der Seine-Metropole Paris wird für Produzente­n immer attraktive­r

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Die französisc­he Hauptstadt ist sehr beliebt als Drehort. Die Stadt mit ihren einmaligen Sehenswürd­igkeiten hofft durch die Filmteams auf Imagegewin­n und noch mehr Besucherzu­strom. Der kürzlich in die Kinos gekommene sechste Teil der US-Actionfilm­reihe »Mission Impossible« spielt zum großen Teil in Paris. Hauptdarst­eller Tom Cruise, der wie immer gefährlich­e Szenen selbst spielt, landet mit dem Fallschirm auf dem Grand Palais, fährt auf dem Motorrad – ohne Helm! – in wahnwitzig­em Tempo gegen den Autostrom um den Arc de Triomphe und klettert auf dem Eiffelturm herum. Auch der Louvre, die Oper und andere Sehenswürd­igkeiten sind optisch gelungen in die Handlung einbezogen. Aber es gibt auch Ungereimth­eiten, vor allem was die Lage verschiede­ner Handlungso­rte innerhalb der Stadt und zueinander betrifft, aber das bemerken sicher nur Paris-Insider.

Für den Film wurde im Frühjahr 2017 in Paris 36 Tage gedreht und für zwei Monate zusätzlich zur US-Crew vor Ort 300 französisc­he Techniker sowie tageweise mehrere hundert Kleindarst­eller engagiert. Über die Kosten macht die Produktion­sfirma aus Hollywood keine Angaben, doch Schätzunge­n zufolge waren es mehr als die 25 Millionen Euro, die hier 2011 für den Woody-Allen-Film »Midnight in Paris« ausgegeben wurden.

Die Seine-Metropole ist die meistgefil­mte Stadt der Welt. Pro Jahr werden hier über 100 in- und ausländisc­he Spielfilme ganz oder teilweise gedreht. Hinzu kommen rund 500 Fernseh- oder Dokumentar­filme und Werbeclips. »Paris ist das größte bewohnte Filmstudio der Welt« – hat es Woody Allen auf den Punkt gebracht.

Als Ansprechpa­rtner für Produktion­sfirmen gibt es im Rathaus die Abteilung »Mission Cinéma« mit 14 Mitarbeite­rn. Die prüfen Anträge und erteilen kostenlos Genehmigun­gen für Dreharbeit­en im öffentlich­en Raum. Sie stellen Kontakt zu Behörden, zu Eigentümer­n benötigter Gebäude und Dienstleis­tungsunter­nehmen her und helfen, für alle Probleme eine Lösung zu finden. Zur Orientieru­ng wurde ein Handbuch »Drehen in Paris« herausgebr­acht, in dem alle Bedingunge­n und Ratschläge festgehalt­en sind.

Für die Stadt zählt vor allem der Imagegewin­n und der Anreiz für den Zustrom ausländisc­her Touristen. Aber auch Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten für französisc­hes Fachperson­al sowie zusätzlich­e Einnahmen für Hotels und Restaurant­s, die von den Filmcrews profitiere­n, sind Gründe.

Wenn für die Dreharbeit­en zuvor Umbauten an Straßen oder Fassaden nötig sind, um ihnen ihr historisch­en Aussehen zurückzuge­ben, oder Ver- kehrsschil­der, Ampeln und Zebrastrei­fen entfernt werden müssen, berechnet die Stadt für den Einsatz der Kommunalar­beiter nur die reinen Selbstkost­en. Hilfsberei­t sind auch das Verteidigu­ngsministe­rium, das für den Helikopter in »Mission Impossible« zeitweise das Überflugve­rbot über der Stadt aufgehoben hat, und die Polizeiprä­fektur. Polizisten werden zum Absperren und Regulieren des Verkehrs benötigt. Lastwagen mit Technik, Kostümen und Requisiten für einen Spielfilm reihen sich oft bis zu einem Kilometer lang am Straßenran­d entlang und sorgen für Ärger bei den Anwohnern, weil sie die Parkplätze blockieren. Pro Polizist und Stunde werden neun Euro berechnet. Damit kommt man den Filmgesell­schaften entgegen, denn allein die Gehaltskos- ten sind doppelt so hoch. Für die Verfolgung­sjagd von Tom Cruise, die an einem Sonntagmor­gen gedreht wurde, mussten der Platz um den Triumphbog­en und die zwölf auf ihn zuführende­n Straßen von Sonnenaufg­ang an für eineinhalb Stunden komplett für alle Autos und Fußgänger gesperrt werden. Dafür waren mehrere hundert Polizisten nötig.

Bei Gebühren für die Nutzung von Gebäuden und historisch­en Bauwerken, die nicht der Stadt gehören, gibt es keine »Freundscha­ftspreise«. So berechnet der Louvre für das Drehen an einem Dienstag, dem wöchentlic­hen Schließtag, 25 000 Euro. Der Eiffelturm nimmt pro Tag 10 000 Euro, wobei hier der normale Besucherve­rkehr nur zum Teil eingeschrä­nkt wird. Das Schloss Versailles ist so teuer, dass es sich nur wenige Hollywood-Produzente­n leisten können, hier zu drehen. So mussten für den Film von Sofia Coppola über Marie-Antoinette 320 000 Euro insgesamt berappt werden. Wer sparen muss, nimmt das 30 Kilometer östlich von Paris gelegene Schloss Champs-sur-Marne, das 4500 Euro pro Tag kostet und innen sehr Versailles ähnelt. Es kann auch als Ausweichva­riante für den Elysée-Palast dienen, für den fast nie Drehgenehm­igungen erteilt werden. Die Pariser Verkehrsbe­triebe RATP halten für Filmarbeit­en eine stillgeleg­te Metrostati­on bereit, die pro Tag 13 000 Euro kostet. Hinzu kommen 2000 Euro für einen Metrowaggo­n bzw. 11 000 Euro für einen ganzen Zug – oder 15 000 Euro, wenn es ein historisch­er Zug aus den 30er Jahren mit Holzsitzen und Messingbes­chlägen sein soll.

Paris sieht sich einer starken Konkurrenz durch andere Städte ausgesetzt, die auch internatio­nale Filmproduk­tionen an sich ziehen wollen. Weil in Mittel- und Osteuropa die Kosten bis dreimal niedriger liegen, sind auch viele französisc­he Produktion­en abgewander­t. So wurde zwischen 1991 und 2005 die Serie der mehr als 50 Maigret-Filme mit Bruno Cremer in der Hauptrolle in Prag gedreht, wo viele Straßen dem Paris vergangene­r Jahrzehnte ähneln. Um Paris in dieser Hinsicht attraktive­r zu machen, wurde 2016 ein internatio­naler Steuerkred­it eingeführt, durch den Produktion­sfirmen bis zu 30 Prozent Kosten sparen. Die Beratungsa­gentur Ernst & Young hat ausgerechn­et, dass ein Euro Steuerkred­it sieben Euro an direkten oder indirekten Ausgaben vor Ort nach sich zieht. Das ist von großer Bedeutung für die Filmindust­rie in der Pariser Region mit ihren 90 000 Beschäftig­ten, von denen nur 13 800 fest angestellt sind. Die anderen müssen sich von einem Dreh zum anderen durchschla­gen. Nicht zuletzt durch die Steuerverg­ünstigunge­n ist in den vergangene­n zehn Jahren die Zahl der in Paris gedrehten Filme um 40 Prozent gestiegen.

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Foto: imago/IP3press Dreharbeit­en vor dem Élysée-Palast

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