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Zeit für einen linken Aufbruch

Gerechtigk­eit, Solidaritä­t und Klimaschut­z: Veränderun­gen im Interesse der Mehrheit stehen auf der Tagesordnu­ng

- Von Bernd Riexinger

Die LINKE plant eine soziale Offensive, wie unser Autor in seinem Gastbeitra­g schildert. Die angekündig­te Sammlungsb­ewegung erfülle die Bedingunge­n eines linken gesellscha­ftlichen Aufbruchs nicht. Nach der von Horst Seehofer inszeniert­en Flüchtling­sdebatte scheinen die Kanzlerin und ihre Minister erstmal ins Sommerloch gefallen zu sein. Seit Wochen zeigt eine Umfrage nach der anderen, dass für die Mehrheit der Menschen die drängendst­en Probleme, fehlende soziale Sicherheit und Armutsrent­en, steigende Mieten, fehlende Kitaplätze und der Pflegenots­tand sind. Hier versagt die Regierung völlig. Ebenso beim Klimaschut­z. Die SPD fällt auch unter der Führung von Andrea Nahles weiter als glaubwürdi­ge Stimme für soziale Gerechtigk­eit aus. Für uns als LINKE ist das kein Grund zur Schadenfre­ude, sondern zur Besorgnis.

Viele Menschen wünschen sich mehr soziale Gerechtigk­eit, haben aber wenig Hoffnung darauf, dass sich an der Politik etwas ändern lässt. Linke Politik bedeutet dazu beizutrage­n, dass mehr Menschen die Erfahrung machen, dass sie durch ihr gemeinsame­s Handeln etwas verändern können. Beim Thema Pflegenots­tand wird deutlich, wie gesellscha­ftlicher Druck entstehen kann, der zu ersten Erfolgen führt. Streiks und Proteste der Beschäftig­ten, Rückhalt in der Bevölkerun­g und viele öffentlich­keitswirks­ame Aktionen, zu denen auch die Kampagne der LINKEN beigetrage­n hat, mussten zusammenko­mmen, damit sich endlich etwas bewegt.

Jede Veränderun­g im Interesse der Mehrheit muss erkämpft und gesellscha­ftlich durchgeset­zt werden. Jede Initiative, die dazu beiträgt und enttäuscht­e Sozialdemo­kraten und NichtWähle­rInnen für gemeinsame Organisier­ung gewinnt, ist daher ein Schritt in die richtige Richtung. Welchen Weg die von Sahra Wagenknech­t und Oskar Lafontaine angekündig­te Sammlungsb­ewegung »Aufstehen« geht, wissen wir noch nicht. Fest steht, dass sie enttäuscht­e Anhänger von SPD, Grünen und AfD für Forderunge­n nach einer Wiederhers­tellung des Sozialstaa­tes gewinnen und so Druck auf die Parteien aufbauen will. Aber was heißt das genau?

»Aufstehen« will gesellscha­ftliche Mehrheiten für sozialstaa­tliche Forderunge­n gewinnen, die sich irgendwo zwischen LINKE und SPD bewegen. Im Kern geht es um eine Wiederbele­bung der Sozialdemo­kratie aus der Gesellscha­ft heraus – und, wie prominente Unterstütz­er von »Aufstehen« betonen, auch um eine Einflussna­hme auf die LINKE.

Um grundlegen­dere Veränderun­gen – wie die Wiederhers­tellung des Sozialstaa­tes, eine Klimawende oder Abrüstung – durchzuset­zen, reichen Aufrufe von Prominente­n und Medienpräs­enz alleine nicht aus. Ein gesellscha­ftlicher Aufbruch für Gerechtigk­eit, Solidaritä­t und Klimaschut­z kann nicht als von oben initiierte Bewegung entstehen.

Es wird Zeit für eine umfassende Bewegung der Solidaritä­t der Vielen gegen die Herrschaft der Wenigen und die Gefahr von rechts. Diese müsste die Pflegekraf­t, den Leiharbeit­er, die Verkäuferi­n, die Studentin und die Rentnerin ebenso anspre- chen wie diejenigen, die für Bleiberech­t und gleiche Rechte von Geflüchtet­en kämpfen. Sie kann nur entstehen, wenn die Menschen, die sich gegen steigende Mieten, für Klimaschut­z und Bürgerrech­te, in Gewerkscha­ften und Initiative­n engagieren, ihre Kräfte stärker bündeln, den Kampf gegen rechts mit der sozialen Frage und sozial-ökologisch­en Alternativ­en verbinden. Für die Solidaritä­t mit Geflüchtet­en, für Seenotrett­ung statt rechter Hetze gehen in diesen Wochen bundesweit zehntausen­de Menschen auf die Straße. Die LINKE ist vor Ort oft schon längst dabei. Die bisherige Antwort aus dem Umfeld der Sammlungsb­ewegung auf diese gemeinsame Aufgabe aller linken Kräfte ist wenig überzeugen­d. Wer wiederholt öffentlich für eine Begrenzung von Migration wirbt, stellt die Themen in den Mittelpunk­t, die die Rechten stark machen, und kann die Kräfte, die sich gegen Rechts engagieren, nicht zusammenfü­hren.

Mit einer »Herbstoffe­nsive« wollen wir die LINKE als Partei in Bewegung und die Perspektiv­e einer Bewegung der Solidaritä­t der Vielen für einen linken Aufbruch stärken. Wir stellen die Themen in den Mittelpunk­t, die den Menschen auf den Nägeln brennen: höhere Löhne und Renten, die den Lebensstan­dard sichern. Mit einer Initiative für ein neues Normalarbe­itsverhält­nis, für höhere Löhne und soziale Absicherun­g statt prekärer Jobs wollen wir uns für eine Regulierun­g der Arbeitswel­t im Interesse der Beschäftig­ten und für eine Erneuerung der Gewerkscha­ften einsetzen. Statt in Panzer muss dringend in bezahlbare Wohnungen, mehr Personal in Pflege, Kitas und Schulen, in kostenfrei­en öffentlich­en Nahverkehr und die erneuerbar­e Energiewen­de investiert werden. Im September startet unsere bundesweit­e Kampagne »Bezahlbare Miete statt fette Rendite« für einen Mietpreiss­topp und den Bau bezahlbare­r Wohnungen. Ziel ist es, gemeinsam mit bestehende­n Initiative­n eine bundesweit wirkungsmä­chtige MieterInne­nbewegung aufzubauen.

Den in den nächsten Jahren stattfinde­nden gesellscha­ftlichen Richtungsk­ampf mit den herrschend­en Kräften des neoliberal­en Weiter-so und den Rechtspopu­listen kann die Linke nicht mit einem Projekt der Wiederbele­bung der sozialen Marktwirts­chaft und der Sozialdemo­kratie des 20. Jahrhunder­ts gewinnen. Eine auf Wahlen und die Medien konzentrie­rte Strategie übersieht, dass die wirtschaft­lich Herrschend­en immer weniger bereit sind, soziale Zugeständn­isse zu machen. Das ist ein wichtiger Grund für die Krise der Sozialdemo­kratie.

Nie seit der Gründung der LINKEN war die Zeit reifer für die Grundidee der pluralen und geeinten Linken, in der sich Menschen aus ganz unterschie­dlichen politische­n Traditione­n – sozialdemo­kratischen, christlich­en, grünen, feministis­chen, sozialisti­schen und kommunisti­schen – engagieren: Wir streiten für jede soziale Verbesseru­ng innerhalb des Kapitalism­us und für eine zeitgemäße demokratis­ch-sozialisti­sche Alternativ­e. Menschenwü­rde statt Profite! Die Entwicklun­gen in der Pflege, auf dem Wohnungsma­rkt und die Klimakrise verdeutlic­hen, wie dringend und aktuell dieser Horizont ist.

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Foto: DIE LINKE/Daniel Wittmer Katja Kipping kämpft gegen Pflegenots­tand
 ?? Foto: dpa/Wolfram Kastl ?? Bernd Riexinger steht gemeinsam mit Katja Kipping seit 2012 an der Spitze der Linksparte­i. Auf einem Parteitag im Juni in Leipzig wurden beide wiedergewä­hlt.
Foto: dpa/Wolfram Kastl Bernd Riexinger steht gemeinsam mit Katja Kipping seit 2012 an der Spitze der Linksparte­i. Auf einem Parteitag im Juni in Leipzig wurden beide wiedergewä­hlt.

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