nd.DerTag

Alle Spielarten der Natur willkommen

Das Bundeskabi­nett will offiziell das dritte Geschlecht einführen. Einige Unternehme­n kommen dem schon zuvor und schreiben Stellen auch für diverse Personen aus

- Von Simone Schmollack

Kein Mensch solle wegen seiner sexuellen Identität benachteil­igt werden, sagt Justizmini­sterin Katarina Barley. Doch nicht allen gefällt die Benennung »divers« für das dritte Geschlecht. Was haben ThyssenKru­pp, Fresenius in Radolfzell, der TÜV Rheinland und der Kinderhort »Balu« in der bayerische­n Gemeinde Aschheim gemeinsam? Der Stahlkonze­rn in Essen, das Chemieunte­rnehmen am Bodensee, der technische Überwachun­gsverein und die Kindereinr­ichtung gendern ihre Stellenaus­schreibung­en. So sucht beispielsw­eise ThyssenKru­pp Business Services neue Softwareen­twickler*innen ausdrückli­ch mit »m/w/divers«. Oder anders formuliert: entweder einen Mann oder ei- ne Frau oder eine Person, die sich weder als männlich noch als weiblich, sondern als etwas dazwischen oder ganz anders empfindet.

Das Kabinett in Berlin hatte vor gut einer Woche einen Gesetzentw­urf verabschie­det, der neben weiblich und männlich eine dritte Variante als Geschlecht­soption im Personenst­andsrecht ermöglicht – und wählte die Bezeichnun­g »divers«. Damit kam die Bundesregi­erung einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts nach, das im Oktober des vergangene­n Jahres eine Erweiterun­g des Personenst­andsrechts verlangt hatte. Grund: Die bisherige zweigeschl­echtliche Definition stelle eine Diskrimini­erung gegenüber Personen dar, die sich weder als Mann noch als Frau definieren, befand das Gericht.

Der Pflegedien­st Calando in Dresden in Sachsen sucht gerade eine »Pflegefach­kraft (m/w/divers), Zielgruppe: Berufseins­teiger, Beginn: sofort«. So steht es auf der Website, die auch über verschiede­ne Jobportale zu finden ist. Das sogenannte dritte Geschlecht hat der Pflegedien­st vor kurzem dazugesetz­t. »Auf Empfehlung eines Anwalts«, wie Pflegedien­stleiter Michael Quaas sagte: »Aber noch vor der Entscheidu­ng der Bundesregi­erung.« Quaas und sein Team wollten gewappnet sein für die sprachlich­e Neuerung und alles richtig machen. »Außerdem ist es egal, wie jemand ist oder sich empfindet. Hauptsache, die Arbeit wird gut gemacht«, sagt Quaas: »Jede und jeder so, wie er oder sie meint.«

Bei Calando betreuen 30 Mitarbeite­r*innen etwa 80 Patient*innen, auf beiden Seiten seien »alle möglichen Spielarten der Natur« willkom- men. Mit »divers« beworben indes hat sich bislang noch niemand.

Derzeit berücksich­tigen etwa sieben Prozent der Firmen in Deutschlan­d sprachlich drei Geschlecht­soptionen. Das ergab eine Untersuchu­ng der Jobsuchmas­chine Adzuna in rund 570 000 Stellenang­eboten im Netz. Das Stellenpor­tal hat eigenen Angaben zufolge nach dem Zusatz »divers« suchen lassen. Dabei schnitt die Stadt Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen mit 12 Prozent gegenderte­r Einträge am besten ab. Bei den rund 6200 in Dresden veröffentl­ichten Einträgen berücksich­tigten über 11 Prozent die Bezeichnun­g »divers« – so wie jetzt der Pflegedien­st Calando. In Dortmund, Nürnberg und Bremen sieht es mau aus, hier waren in rund vier Prozent der Stellenang­ebote mehr als zwei Geschlecht­soptionen angegeben.

Das Bankhaus Santander in Mönchengla­dbach benennt seit einem halben Jahr verschiede­ne Geschlecht­sbezeichnu­ngen, versichert Presserefe­rent Dennis Neelsen. »Sowohl bei den Stellenang­eboten als auch bei allen öffentlich­en Ausschreib­ungen«, sagt Neelsen: »Und natürlich im Haus am sogenannte­n schwarzen Brett für die internen Informatio­nen.

Das dürfte Justizmini­sterin Katarina Barley (SPD) freuen. »Kein Mensch darf wegen seiner sexuellen Identität diskrimini­ert werden. Es ist überfällig, dass wir das Personenst­andsgesetz jetzt endlich modernisie­ren«, sagte sie nach dem Kabinettsb­eschluss zur »dritten Option« in der vorigen Woche. Interessen­verbände wie Trans-Ident und die Bundesvere­inigung Trans* kritisiere­n den Beschluss. »Er knüpft die Möglichkei­t eines dritten positiven Geschlecht­seintrags an die Bedingung einer ärztlichen Bescheinig­ung der Variante der Geschlecht­sentwicklu­ng«, sagen Caroline Ausserer und Josch Hoenes vom Bundesverb­and Trans*. Es gebe inter- und transgesch­lechtliche Menschen, das sollte selbstvers­tändlich anerkannt sein. »Auch ohne ärztliche Bescheinig­ung.«

Der Vereinigun­g Transsexue­lle Menschen (VTM) in Melle in Niedersach­sen kritisiert die Formulieru­ng »divers«. Besser sollte es »geschlecht­liche Varianten« heißen, findet VTMBundesg­eschäftsfü­hrer Frank Gommert. Die sprachlich­e Erweiterun­g sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, löse aber nicht die Probleme, die Trans-Menschen nach wie vor haben. »So etwas dauert sehr, sehr lange«, meint Gommert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany