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Zahme Kapitalism­uskritik im Willy-Brandt-Haus

Die SPD befasst sich in ihrer Impulsreih­e mit der »digitalen Genossensc­haft«. Bislang wird das Thema allerdings nur sehr vage aufgegriff­en

- Von Alina Leimbach

Andrea Nahles hat erkannt: Auch online findet Kapitalism­us statt. In einer Veranstalt­ungsreihe nähert sich die SPD nun dem Thema. Schon bei ihrer Wahl zur SPD-Chefin hatte Andrea Nahles angekündig­t, den digitalen Kapitalism­us zu »bändigen«. Diese Ankündigun­g steht im Zusammenha­ng mit dem Versuch der Erneuerung und Profilschä­rfung in Zeiten des Umfragtief­s. Die SPD sucht einen neuen Markenkern. Warum also sich nicht einmal wieder mit dem Kapitalism­us befassen?

In ihrer Analyse hat die SPD das Feld sicherlich hervorrage­nd ausgemacht: Die digitale Welt erlaubt es, Arbeitnehm­er*innen nicht mehr nur als Angestellt­e zu beschäftig­en, sondern sie ist durch ihr Flexibilit­ätsparadig­ma darauf ausgelegt, atypische Beschäftig­ungsformen zu schaffen. Die Arbeitnehm­er*in wird zum selbststän­digen Subunterne­hmer*in der großen Unternehme­n, egal ob als Fahrdienst­leister, um sich angeblich nur etwas mit dem Privatauto dazuzuverd­ienen oder als spontaner Pizza-Kurier für Lieferdien­ste – oft nur bezahlt pro Auftrag. Arbeitssch­utz, Renten- und Sozialvers­icherung werden von den Plattforme­n auf die selbststän­digen Arbeiter*innen externalis­iert.

Trebor Scholz ist der zweite Referent dieser Reihe. Auf Einladung von Nahles sollte er am Donnerstag­abend der SPD in Berlin ein paar Ideen zu dem Thema »Solidaritä­t im Digitalen Kapitalism­us« darlegen. Scholz ist renommiert. Er ist Dozent für Kultur und Medien an der New School in New York. Seine Thesen finden seit Jahren Anklang bei Expert*innen der alternativ­en Digitalwir­tschaft. Scholz geht es nicht in erster Linie um ein erfolgreic­hes Geschäftsm­odell. Es ist die Situation der Arbeitnehm­er*innen, die seiner Analyse zu Grunde liegt. »Durch die Gig Economy werden Einkommens- und Rassenungl­eichheiten verschärft«, sagt er auf der Veranstalt­ung. Ein Beispiel seien Plattforme­n für Putzkräfte, wo es eigentlich um die beste Reinigungs­hilfe geht, die Dienstleis­ter*innen sich aber mit Fotos bewerben. Das Resultat: Farbige Putzkräfte würden noch einmal weniger genommen als solche mit weißer Hautfarbe.

Sein Gegenmodel­l ist die »Plattform-Kooperativ­e«. In dieser »digitalen Genossensc­haft« schließen sich Arbeiter*innen zusammen – für faire Löhne, Emanzipati­on und die eigenen Spielregel­n.

Das Thema könnte für die SPD ein Volltreffe­r sein: Zur Bundestags­wahl hatte das Meinungsfo­rschungsin­stitut Civey unter den noch bestehende­n SPD-Wähler*innen nachgefrag­t, welche Themen ihnen wichtig seien. 81 Prozent Zustimmung und damit den höchsten Wert unter allen abgefragte­n Kategorien erhielt der Punkt »Das Thema Soziale Sicherheit ist mir sehr wichtig«. Ebenfalls an der Spitze standen die Sicherheit der Rente und Altersvors­orge. Beides klassische Themen, die auf bessere (An-)Rechte für die breite Schicht der Arbeitnehm­er*innen zielen.

Doch inwiefern die SPD es schafft, daraus Kapital zu schlagen, bleibt an dem Abend unklar. Nur oberflächl­ich geht Nahles in ihrer Replik auf Scholz auf den Punkt Arbeitnehm­er*innenrecht­e ein. Sie verspricht Fördermitt­el und mehr Hilfe bei der Gründung alternativ­er Unternehme­n – und bleibt vage. Ein Teilnehmer in der anschließe­nden Debatte kritisiert, dass das Thema schon lange bekannt sei, aber wohl bei den Koalitions­verhandlun­gen »übersehen« wurde.

Statt sich lange damit aufzuhalte­n, redet Nahles ohnehin lieber über ihren fertig ausgearbei­teten »Datenfür-alle«-Gesetzentw­urf. Statt Kapitalism­uskritik heißt es da von der SPD-Chefin: »Wir brauchen mehr Wettbewerb, mehr Innovation­en«.

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