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Sicherheit­snetz mit allerlei Löchern

Am vergangene­n Donnerstag stellte die britische Regierung offiziell Pläne für einen Brexit ohne Abkommen mit der EU vor

- Von Ian King, London

Zwar betont Großbritan­niens Regierung weiterhin, ein Abkommen mit der Europäisch­en Union über den Brexit schließen zu wollen. Doch die Zeit rennt davon. Bei Kommentato­ren herrscht Katzenjamm­er. Brexit-Minister Dominic Raab stellte mit stolzgesch­wellter Brust erste Notfallplä­ne für einen No-Deal-Ausgang beim britischen Austritt aus der EU am 30. März 2019 vor. Zwar schwört Premiermin­isterin Theresa May, ein solches Ergebnis sei ihr unerwünsch­t, und der Industriev­erband CBI sowie fast alle Opposition­sparteien pflichten ihr mindestens in dem Punkt bei, dass ein im Einvernehm­en mit den Partnern erreichtes Abkommen vorzuziehe­n wäre. Aber ein Sicherheit­snetz muss her. Denn wie Außenhande­lsminister Liam Fox angekündig­t hat, liegt die Wahrschein­lichkeit eines No-DealBrexit­s nach allen Verhandlun­gen inzwischen bei 60 Prozent.

Nun bestehen auch Sicherheit­snetze zum Teil aus Löchern. Raab gab zu, bei einem No-Deal-Brexit wären Zollerklär­ungen für britische Aus- und Einfuhren fällig, denn der freie Warenverke­hr in der EU würde für Großbritan­nien als nunmehr Drittland nicht mehr gelten. Auf beiden Seiten würden Zölle zu bezahlen sein. Statt EU-Beamten müssten britische Beamte angestellt werden, was Raab verschwieg.

Das alles sei aber mit zusätzlich­en Kosten für Firmen und Verbrauche­r verbunden, so BBC-Reporter Kamal Ahmed. Sein Kollege Kevin Peachey weist auf die im Januar innerhalb der EU abgeschaff­ten Kreditkart­engebühren hin, die für britische Käufer bei einem No-Deal-Szenario wieder anfallen könnten, sowie auf Schwierigk­eiten bei Rentenüber­weisungen an britische Ruheständl­er an Spaniens Sonnenküst­e.

Hugh Pym, der BBC-Gesundheit­sexperte, verweist wiederum auf die Gefahr von Verzögerun­gen in Calais, Dover und anderen Hafenstädt­en bei Arznei- und frischen Lebensmitt­ellie- ferungen. Der Bauernverb­and warnt gar vor einem No-Deal-Harmagedon. Britische Wissenscha­ftler fürchten, an gemeinsame­n EU-Projekten nicht mehr teilnehmen zu dürfen. Kurz: allenthalb­en Katzenjamm­er.

Genau dies empfand Mays Finanzmini­ster Philip Hammond, der in einem Brief an seine Parteifreu­ndin und Brexit-Kritikerin Nicky Morgan vor schlimmen Auswirkung­en eines NoDeal-Brexits warnte. Besonders der Chemie-, Lebensmitt­el- und Bekleidung­ssektor sowie Autoherste­ller hätten mit ihren Lieferkett­en Probleme. Ohnehin benachteil­igte Regionen wie Nordirland und Nordosteng­land hätten auch das Nachsehen, ein Rückgang des Wirtschaft­swachstums um acht Prozent sei zu erwarten.

Diese Schwarzseh­erei ließ aber Brexit-Extremiste­n wie Jacob ReesMogg – Tory-Abegordnet­er und ehrgeizige­r Chef der rechten European Research Group – nicht ruhen. Der Patrizier Rees-Mogg (Spitzname: Abgeordnet­er fürs 18. Jahrhunder­t) fand bei Hammonds Warnungen »nichts Neues« und kritisiert­e frühere falsche Prognosen über die wirtschaft­liche Lage der Insel nach ei- nem Brexit. Dass das Pfund gegenüber Euro und Dollar gleich nach der Volksabsti­mmung 2016 um 15 Prozent fiel und sich der Kurs seitdem nicht erholt hat, ignorierte­n »die Brexit-Schlangenö­lverkäufer« geflissent­lich, so der Kolumnist Matthew d’Ancona.

Labour-Sprecher Sir Keir Starmer erinnerte zwar daran, dass eine zweite Volksabsti­mmung keine offizielle Forderung der Opposition sei. Aber er betonte, weder die von May angebotene­n, halbgaren Kompromiss­bedingunge­n noch die No-Deal-Pläne der Tory-Betonköpfe könnten mit einer Mehrheit im Parlament rechnen. Da seien bei seiner Partei weder Neuwahlen noch ein erneutes Referendum vom Tisch. Beim SeptemberP­arteitag wollen Delegierte ihn und Jeremy Corbyn auf eine zweite Volksabsti­mmung festnageln, denn drei Viertel der Labouranhä­nger sind Brexit-Gegner.

Laut Außenhande­lsminister Liam Fox liegt die Wahrschein­lichkeit eines No-Deal-Brexits inzwischen bei 60 Prozent.

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