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Maduro macht in Optimismus

Venezuelas Präsident trotz Auswanderu­ngswelle von seinem Reformpake­t überzeugt

- Von Tobias Lambert

Die Wirtschaft­skrise in Venezuela zieht über die anhaltende Migration auch die Nachbarlän­der in Mitleidens­chaft. Venezuelas Regierung will mit einem Reformpake­t aus dem Schlamasse­l herauskomm­en. Die Stimmung scheint zu kippen. Angesichts der anhaltend hohen Zahl emigrierte­r Venezolane­r regt sich in den Nachbarlän­dern zunehmend Unmut. Sinnbildli­ch dafür ist die Meldung aus dem brasiliani­schen Grenzort Pacaraima, wo Mitte August ein wütender Mob mehr als 1000 Geflüchtet­e zurück über die Grenze gejagt hatte. Auslöser für die fremdenfei­ndlichen Unruhen war ein Überfall mit mutmaßlich venezolani­scher Beteiligun­g. Doch auch aus Ländern wie Kolumbien, Ecuador oder Peru häufen sich die Beschwerde­n über venezolani­sche Einwandere­r, die angeblich die Löhne drückten und die Kriminalit­ät ansteigen ließen. Die ecuadorian­ische Regierung will Mitte September einen Gipfel zur venezolani­schen Migration ausrichten, Peru verschärft die Einreisebe­stimmungen.

Laut den Vereinten Nationen haben seit 2014 aufgrund der Krise bereits 2,3 Millionen Menschen das Land verlassen, darunter viele Fachkräfte und junge Menschen. Und bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass die Auswanderu­ng verlangsam­t oder gestoppt werden könnte.

Für den venezolani­schen Präsidente­n Nicolás Maduro hat das Thema jedoch keine Priorität. Viele, die den »falschen Verspreche­n« gefolgt seien, würden heute »Klos putzen«, seien »Sklaven und Bettler«, sagte er vergangene Woche. Dabei sind es längst nicht mehr nur Opposition­elle, die das Land verlassen – die Fluchtursa­chen liegen überwiegen­d in der desolaten wirtschaft­lichen Situation begründet. Der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF) schätzt die Inflations­rate für das laufende Jahr mittlerwei­le auf eine Million Prozent. Ohne direkte Lebensmitt­elzuwendun­gen der Regierung kämen viele Menschen nicht annähernd über die Runden.

Bisher lastete die Regierung die schwierige Versorgung­slage und die hohe Inflation hauptsächl­ich einem Wirtschaft­skrieg seitens der rechten Opposition und der USA an. Im Vorfeld der IV. Kongresses der regierende­n Vereinten Sozialisti­schen Partei Venezuelas (PSUV) im Juli wurden jedoch auch selbstkrit­ische Stimmen laut, zu denen Maduro ausdrückli­ch aufgeforde­rt hatte. So äußerte etwa Freddy Bernal aus der Parteiführ­ung, dass nach 19 Jahren Revolution »nur wir für das Gute und Schlechte verantwort­lich« seien.

Mit der am vergangene­n Montag gestartete­n Währungsre­form und weiteren Maßnahmen hat die Regierung nun das sogenannte Programm für wirtschaft­liche Erholung, Wachstum und Wohlstand aufgelegt. »Dieser Plan wird funktionie­ren«, versichert­e Regierungs­chef Maduro. Die meisten Ökonomen sind hingegen skeptisch und fürchten, dass die Regierung erneut die Notenpress­e anwirft und so auch die neue Währung rasant an Wert verlieren werde.

Kernstück des Plans ist die Währungsre­form. Der neue »Souveräne Bolívar« hat fünf Nullen weniger als der bisherige »Starke Bolívar« und ist an die staatliche Kryptowähr­ung Petro gekoppelt, die als Wertanker wie- derum an die venezolani­schen Erdölvorrä­te gebunden ist. Je nach Entwicklun­g des Erdölpreis­es verändert sich auch der Wert des Petro, zurzeit liegt er bei 60 US-Dollar. Der BasisMinde­stlohn pro Monat, der zuletzt nur noch etwa einen US-Dollar betrug, wird auf 30 Dollar erhöht und soll nun einem halben Petro entspreche­n. Wie mit den den Basis-Mindestloh­n ergänzende­n Lebensmitt­elgutschei­nen künftig verfahren wird, steht noch nicht fest. Um unmittelba­ren Preissteig­erungen entgegen zu wirken, übernimmt der Staat für kleinere und mittlere Unternehme­n 90 Tage lang die Differenz zum alten Mindestloh­n. Steuern und Zölle für staatliche und private Erdölunter­nehmen werden gesenkt, die Mehrwertst­euer wird unter Ausnahme wichtiger Güter wie Lebensmitt­el hingegen angehoben.

Ab Ende September soll der Preis für das bisher praktisch gratis erhältlich­e Benzin schrittwei­se auf internatio­nales Niveau steigen, auch die Tickets des öffentlich­en Nahverkehr­s werden künftig deutlich teurer. Die Subvention­ierung des Benzins kostet Venezuela jährlich zweistelli­ge Milliarden­beträge in US-Dollar, große Mengen werden illegal nach Kolumbien geschmugge­lt. Besitzer der carnet de la patria (Karte des Heimatland­es), eines von der Regierung ausgestell­ten Ausweises, der für den Bezug bestimmter Sozialleis­tungen erforderli­ch ist, sollen zukünftig direkt subvention­iert werden, um billiges Benzin beziehen zu können.

Zudem werden die seit 2003 bestehende­n Devisenkon­trollen gelockert. Der Handel mit Fremdwähru­ngen ist demnach nicht mehr strafbar, das bisherige Monopol der Zentralban­k entfällt. Das ebenfalls seit 2003 gültige System fester Wechselkur­se, das zahlreiche Schlupflöc­her für Devisenbet­rug geschaffen hat, ist von der Liberalisi­erung hingegen zunächst nicht betroffen. Laut offizielle­m Kurs kostete ein US-Dollar diese Woche 60 Bolívares. Auf dem Schwarzmar­kt, den die Regierung mit der Währungsre­form austrockne­n will, bekam man am Donnerstag bereits 75 Bolívares für einen Dollar.

Ob die wirtschaft­lichen Maßnahmen wirken oder sich die Lage weiter verschlech­tern wird, ist noch nicht absehbar. In den ersten Tagen nach der Währungsre­form herrschte zunächst noch verbreitet­e Unsicherhe­it in der Bevölkerun­g. Für Maduro steht viel auf dem Spiel. Zwar ist die rechte Opposition derzeit gespalten und liegt politisch am Boden. Doch der interne Druck könnte bei einer weiteren Verschlech­terung der Lage größer werden und Proteste hervorrufe­n.

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Foto: AFP/S. Mendoza Venezolane­r auf dem Weg über die Grenze nach Kolumbien

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