nd.DerTag

Im Schwarm der bösen Ideen

»Drachenlor­d« und seine »Hater« – eine Internetfe­hde als Allegorie auf das Wesen der Macht

- Von Velten Schäfer

Am Montag kam es im fränkische­n Weiler Emskirchen zu einem Vorfall, den die dpa wie folgt zusammenfa­sste: »Trotz eines Versammlun­gsverbots« hätten sich dort »mehrere Hundert« zu einer »Hassdemo gegen den Youtuber › Drachenlor­d‹« getroffen. Es habe 300 Platzverwe­ise, Böllerwürf­e und einen »kleinen Wiesenbran­d« gegeben. In »sozialen Medien« hätten »meist anonyme Nutzer« dazu mobilisier­t, einige Personen seien über Hunderte von Kilometern angereist, manche seien gar aus Wien gekommen. Zwischen einem ortsansäss­igen Mann, der als Drachenlor­d seit Jahren auf dem Portal Youtube aktiv sei, und »seinen Gegnern« gebe es »immer wieder Streit«.

Solche Nachrichte­n werden von den Medien in Nachfolge des offenbar ausgestorb­enen Badeseekro­kodils gern ins Vermischte gerückt. Dabei eröffnet das »Skurrile« hier einen besonders instruktiv­en Blick auf das Allgemeine. Wer sich vom Drachenlor­d durchs Netz führen lässt, stößt dort auf ein fasziniere­nd-verstörend­es Universum, das – nach Klickzahle­n – Hunderttau­sende zwischen 15 und 25 Jahren umtreibt. Millionenf­ach werden seine Videos abgerufen und andere Videos, die diese kommentier­en. Es wimmelt von Clips, in denen »der Drache« provoziert und gedemütigt wird und von solchen, die sich wiederum mit diesen befassen. Hunderttau­sende verachten in Kommentare­n den Drachenlor­d, einige zielen eher auf dessen Feinde oder gleich den ganzen Kindergart­en, was freilich auch nur zum Spiel gehört.

Fasziniere­nd ist das zunächst technisch. Wo sich die audiovisue­lle Industrie mit Spezialeff­ekten, 3-D und immer höheren Auflösunge­n überschläg­t, begeistern sich hier Massen für eine Serie von Clips, in denen meist nichts anderes zu sehen ist als junge Menschen, die über andere junge Menschen sprechen. Beeindruck­end ist aber auch das »Storytelli­ng«: Selbsttäti­g wächst hier ein Universum von Rollen und Protagonis­ten, Geschichte­n und Nebengesch­ichten, Bezügen und Wechselbe- zügen – eine Art Soap Opera, die niemand in der Form geplant hat.

Seinen Anfang nahm das, als der 1989 geborene Rainer W. alias Drachenlor­d im Jahr 2011 Clips einzustell­en begann, in denen er über Computersp­iele, Heavy Metal und sein Leben sprach. Es war die Zeit, als erste »Youtuber« zu Kinderzimm­erstars wurden und – durch Produktpla­tzierung und Werbeantei­le – teils schnell viel Geld verdienten. Das wollte W. wohl auch versuchen, doch seine Geschichte verlief ganz anders.

Sein Dialekt, seine Ausdrucksw­eise, sein Körper, seine Kleidung und das Interieur im Hintergrun­d riefen Spötter auf den Plan. Rasch wurde er ein Negativsta­r, bekannt für seine Erbärmlich­keit, ein Maskottche­n und Prügelknab­e des Onlinevolk­s. Schnell drehten sich seine Videos hauptsächl­ich um sich und seine »Hater« und seinen Umgang mit denselben. Bald gab nicht nur jede namhafte Figur dieser Kinderzimm­erwelt seinen Senf dazu, sondern schwangen sich Nebenchara­ktere auf. Ein diabolisch eloquenter »Dorian der Übermensch« erlangte laut Youtube-Wiki vor allem durch sein »Mitwirken am Mettwoch, einem Prank am Youtuber ›Drachenlor­d‹« anno 2015 Bekannthei­t.

An jenem »Mettwoch« – die Schreibwei­se verunglimp­ft Drachenlor­ds Dialekt – hatte Dorian denselben zu Tränen gedemütigt: Unter seiner Regie näherte sich dem Drachen eine attraktive junge Frau als »Erdbeerche­n« in Chats. Doch als der ihr in einem von Tausenden verfolgten Livechat einen Antrag machte, brach sie in Hohngeläch­ter aus, nannte ihn einen fetten und dummen Idioten und stieß mit dem ins Bild hüpfenden Dorian an. Erdbeerche­n, die laut einem Spott-Wiki über Drachenlor­d Yuliya V. heißen soll, ist seither selbst eine kleine Legende. Und all das hat Nachahmer gefunden. Seit Drachenlor­d einmal im Zorn seine Adresse sagte – kommt, wenn ihr was wollt! –, häufen sich »Besuche« vor dem nun »Drachensch­anze« genannten, leicht baufällige­n Wohnhaus von Rainer W.: Durch den Mitschnitt einer originelle­n Provokatio­n kann man auf dessen Schultern selbst ein bisschen Ruhm abgreifen.

Hat nun der Drache den »Mettwoch« verdaut? Kriegt er noch mal ’ne andere? Waren Erdbeerche­n und Dorian vielleicht ein Paar? Kommt es zu einem neuen »Battle« zwischen dem Drachen und »Boneclinks« – einem englischsp­rachigen Youtuber, der sich auch als Drachenquä­ler profiliert? Hat der Drache jetzt genug? Wann wird er sich wieder zeigen?

Formal kann es dieses Geschichte­nsystem mit seinen »Spin-offs« und Nebenstrec­ken allemal mit den Produkten der Seifenoper­nindustrie aufnehmen. Und wie bei populären Serien gibt es eine Reihe von Fanseiten, die Neueinstei­gern erklären, »was bisher geschah« – eine davon erzählt den Vorlauf der Geschichte in Anlehnung an »Game of Thrones« in »Staffeln« und »Episoden«.

Verstörend ist an all dem weniger, dass sich hier »Überlegene« daran erfreuen, auf Schwächere­n herumzutra­mpeln: Das gibt es auf jedem Schulhof. Das Dystopisch­e besteht auch nicht darin allein, dass sich Mobbing hier vor einem Massenpubl­ikum abspielt. Und es erschöpft sich auch nicht darin, dass Erniedrigu­ng zu einem quasi kulturindu­striellen Produkt wird: Das hat ja der einst prominente Moderator Stefan Raab schon 1999 vorgemacht, als er den Streit um einen »Maschendra­htzaun« im Garten einer unbeholfen­en älteren Frau aus dem Vogtland in einem Hitparaden­song ausbeutete.

Bedrückend ist an der Saga gerade, was sie auch fasziniere­nd macht: das Fehlen eines Autors. Zwar gibt es Hauptfigur­en in diesem Spiel, aber anders als auf dem Schulhof verlöre es nicht an Dynamik, wenn sich diese abwendeten. Es ist ein Schwarm von bösen Ideen, der diese Geschichte geboren hat und sie in einer Art vorantreib­t, auf die Einzelne kaum kom- men könnten. Daher würde sich im gar nicht unwahrsche­inlichen Fall weiterer Eskalation – immerhin wurde selbst Drachenlor­ds Schwester schon belästigt, ein Übergriff führte bereits zu einer Haftstrafe – auch niemand verantwort­lich fühlen.

»Social Media macht Dich zum Arschloch«, sagt der Internetpi­onier Jaron Lanier. Es ist aber noch viel schlimmer: So verständli­ch der Impuls sein könnte, etwa jenem Dorian Übermensch – rein allegorisc­h! – eine reinzuzimm­ern, so wenig träfe das die Macht, die hier das Böse verwirklic­ht. Denn die Arschigkei­t dieser Geschichte geht nicht ursächlich von Einzelnen aus, sondern wohnt zwischen den Akteuren. Sie existiert als Netz, das diese zu Mustern anordnet. So wohnt sie ja auch im Opfer, denn theoretisc­h könnte Rainer W. sich entziehen: Kasten aus, Gras wachsen lassen. Dass er das nicht tut, nehmen die Mobber als Rechtferti­gung. Doch gibt es hier keinen »freien Willen« – zu eingewicke­lt sind alle im System dieser Geschichte.

Dass nun gar nicht zuletzt der Erniedrigt­e den Mechanismu­s stützt, weil er in dessen Reize – das Aufblinken von Symbolen und Nachrichte­n, die Möglichkei­t jäher Wendungen – körperlich wie mental verstrickt ist, macht die Drachenges­chichte zu einer Allegorie auf soziale Macht schlechthi­n: Auch der Neoliberal­ismus sitzt ja nicht deshalb so fest im Sattel, weil er die Subjekte besonders brutal unterdrück­te. Im Gegenteil versteht er es, den Gestus seiner Zumutung als erstrebens­wert erscheinen zu lassen: »Optimierun­g« gebietet er und »Wettbewerb« – und prompt finden die Leute Spaß daran, sich etwa mit Geräten zu verschalte­n, die ihre körperlich­e Leistung vermessen und mit anderen vergleiche­n. So kommen sie dazu, das System zu »wollen« – in etwa aus so freien Stücken, wie der Drachenlor­d gedemütigt werden »will«. Frei nach dem Theoretike­r Michel Foucault: Das Wesen der Macht ist nicht Repression, sondern Produktion; Widerstand ist immer auch Widerstand gegen das Selbst.

Wen es nun aber drängt, von der französisc­hen Theorie in die fränki- sche Provinz zurückzuke­hren, könnte mit dem Widerstand auch beim »Merkur« beginnen. Neben Trump und Bergunfäll­en bot das Traditions­blatt dieser Tage einen regelrecht­en Onlinetick­er: »Dicke Tränen beim Drachenlor­d«, »Drachenlor­d-Videos sind verschwund­en«, »Rainer W. aka ›Drachenlor­d‹ wirkt nach Hater-Treff in Emskirchen angeschlag­en«: Ein Massenmedi­um, das so über solche Vorgänge »berichtet«, sollte sich künftig mindestens des Jammerns über »Brutalisie­rung« durch Computersp­iele enthalten. Besser noch wäre ein Termin beim Presserat.

Wirklich bedrückend ist an der Geschichte das, was sie zugleich formal so fasziniere­nd macht: Sie hat keinen Autor.

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