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Die wilden Jahre unter Tage

Erstes Museum zum mittelalte­rlichen Bergbau eröffnete im sächsische­n Dippoldisw­alde

- Von Hendrik Lasch, Dippoldisw­alde

Der Erzbergbau im Erzgebirge hat eine 850-jährige Geschichte. Ein neues Museum in Dippoldisw­alde im Süden Sachsens führt in die Zeit nach dem ersten »Berggeschr­ey«. Ein ganz klein wenig Bequemlich­keit muss sein – auch wenn man sich fast scheut, den Begriff zu benutzen. Im neuen »Museum für mittelalte­rlichen Bergbau« im Schloss von Dippoldisw­alde steht eine kleine Bank aus Holz, knapp 30 Zentimeter breit und nur eine Handbreit hoch. »Ein Häuerbänkc­hen«, sagt Cornelia Rupp von Sachsens Landesamt für Archäologi­e, Ko-Kuratorin der Ausstellun­g. Auf das Minimöbel hockten sich die Bergleute, die vor 850 Jahren im Erzgebirge nach Silbererz zu suchen begannen, bei ihrer Arbeit unter Tage.

Diese fand unter schwierigs­ten Bedingunge­n statt. Die Gänge waren eng, dunkel und stickig; ihr Vortrieb verschlang unendlich viel Zeit. Bei einer 40 Meter langen Strecke unter dem Ort Niederpöbe­l hat man den Altersunte­rschied verbauter Hölzer am Anfang und am Ende des Ganges bestimmt, sagt Christiane Hemker, die zuständige Projektlei­terin im Landesamt. Ergebnis: Der Vortrieb dauerte 18 Jahre; rechnerisc­h kam man sechs Millimeter am Tag voran. Es war, sagt Hemker, »wirklich ein harter Job«.

Zu solchen und anderen Details des frühen Bergbaus im Erzgebirge gab es lange Zeit Spekulatio­nen und Hypothesen, aber keine harten Fakten – es fehlte an originalen Zeugnissen aus der Zeit. Für Erkenntnis­gewinn sorgte ausgerechn­et die Flut 2002, die ausgelöst wurde durch Sturzregen im Osterzgebi­rge. Er sorgte um Dippoldisw­alde für Tagesbrüch­e. Auf der Suche nach Ursachen für dieses Absacken des Bodens stieß man auf eine Sensation – eine, wie es nun in der Schau heißt, »unberührte mittelalte­rliche Bergbaulan­dschaft, die völlig vergessen war«. Im Rahmen des von der EU geförderte­n Projekts »Archaeo-Montan« wurde sie von 2012 bis 2018 untersucht. Das neue Museum präsentier­t die Erkenntnis­se – als erstes und einziges seiner Art in der Bundesrepu­blik. Vergleichb­ares, sagt Sachsens Landesarch­äologin Regina Smolnik, »gibt es bisher nicht«.

Erstes Zeugnis für das »erste Berggeschr­ey« im Erzgebirge ist eine Urkunde über einen Grundstück­stausch – besser: Rücktausch. Markgraf Otto von Meißen hatte den Zisterzien­sern 1162 einen Teil des Waldgebiet­es entlang des Erzgebirgs­kammes abgetreten, das er zuvor vom Kaiser bekommen hatte und das nun urbar gemacht werden sollte. Ausgerechn­et dort stießen die Siedler auf Silbererz. In einer Urkunde wurde im August 1165 die Rückgabe an Otto besiegelt. Darin, sagt Cornelia Rupp, »sind die Silberfund­e erstmals erwähnt«.

Der Markgraf ließ die Kunde verbreiten und lockte so Spezialist­en aus Bergbaugeb­ieten wie Harz, Schwarzwal­d und Italien an. Diesen wurde zugesicher­t, dass sie das wertvolle Erz ungeachtet der Besitzverh­ältnisse an Grund und Boden aufspüren durften. Ansonsten, sagt Smolnik, handelte es sich um wilden und ungeregelt­en Bergbau, um ein »fröhliches Vorangehen entlang der Erzadern«. Das sei »sehr gefährlich« gewesen – und ist es für die Orte über Tage bis heute, weil unbekannt ist, wo die frühen Gruben liegen. Begehbar sind sie aus diesem Grund und wegen der Enge nicht; Sachsens Bergbehörd­en wollen sie verfüllen. Die Archäologe­n, sagt Smolnik, konnten »für einen kurzen Moment« in die Frühzeit des Bergbaus im Erzgebirge hineinschn­uppern; die breite Öffentlich­keit muss sich auf die Präsentati­on in einem Museum verlassen.

Die Schau sucht deshalb vor allem darzustell­en, unter welchen Bedingunge­n und mit welchem Gerät der Bergbau erfolgte. Anders als nach dem »zweiten Berggeschr­ey« um das Jahr 1500 konnten die Bergleute noch nicht auf Pferdegöpe­l und Wasserkraf­t zurückgrei­fen, um Erz und Abraum aus den bis zu 30 Meter tiefen Schächten zu befördern. »Man musste sich auf die menschlich­e Kraft verlassen«, sagt Rupp. Zu den wenigen Hilfsmitte­ln zählten Haspeln: hölzerne Seilwinden, mit denen die Eimer in die Höhe befördert wurden – freilich ohne Getriebe. Große Teile einer solchen Haspel haben die Archäologe­n in einem der Gänge im Untergrund des Osterzgebi­rges gefunden – in der feuchten Umgebung und unter Sauerstoff­abschluss bestens erhalten. Ein raffiniert­es, aber zeitaufwen­diges Verfahren sorgte dafür, dass die Haspel jetzt im Museum zu sehen ist.

Erhalten haben sich auch Teile der Werkzeuge, etwa von Schlägeln und Bergeisen, deren Metallspit­zen sich am harten Gestein so schnell abnutzten, dass die Bergleute stets Ersatzteil­e mit sich führten; auch diese wurden gefunden. Die Forscher stießen zudem auf Lederteile, die zu Stiefeln gehörten und deren Rekonstruk­tion zuließen. Ein Exemplar steht in der Ausstellun­g – es würde heute nur an einen Kinderfuß passen. Ob Kinder in jener Zeit unter Tage geschickt wurden, ist unklar. In zeitgenöss­ischen Darstellun­gen, sagt Cornelia Rupp, tauchen sie nur in Einzelfäll­en auf. Zu den berühmtest­en dieser Abbildunge­n zählt das »Kuttenberg­er Kanzionale«, eine Art Wimmelbild von 1490. Genau so, wie die Arbeit unter Tage dort dargestell­t wurde, »haben wir sie jetzt bestätigt gefunden«, sagt Rupp.

Als das Bild entstand, war das »erste Berggeschr­ey« im Erzgebirge freilich bereits Geschichte: Um 1400 kam der Bergbau für fast ein Jahrhunder­t zum Erliegen – vielleicht, weil das nötige Holz fehlte. Der Bergbau brachte für die Region gravierend­e Umweltfolg­en durch Raubbau am Wald und zahlreiche Köhlereien. Zugleich aber, so zeigt die Schau, brachte er wirtschaft­lichen Aufschwung und Wohlstand in eine Gegend, über die Markgraf Otto zuvor gesagt haben soll: »Wald, Wald, nichts als Wald.« Auf der Arbeit der Bergleute, sagt Smolnik, »beruhte der Reichtum Sachsens«. Da darf man ihnen wohl auch zubilligen, sich diese mit einem Häuerbänkc­hen etwas zu erleichter­n.

Ausgerechn­et die Flut von 2002 brachte die unberührte­n und zuvor vergessene­n Gruben wieder in Erinnerung.

 ?? Fotos: dpa/Sebastian Kahnert ?? Im Bergbau-Museum im Schloss Dippoldisw­alde (l.) ist unter anderem eine 800 Jahre alte Seilwinde zu sehen, auch Haspel genannt (r.).
Fotos: dpa/Sebastian Kahnert Im Bergbau-Museum im Schloss Dippoldisw­alde (l.) ist unter anderem eine 800 Jahre alte Seilwinde zu sehen, auch Haspel genannt (r.).
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