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Die Kontaktbör­se Kiosk ist bedroht

Das Ruhrgebiet feiert am Tag der Trinkhalle­n seine Büdchenkul­tur

- Von Marc Niedzolka, Essen

Kippen kaufen, Bier zischen, Süßigkeite­n eintüten: NordrheinW­estfalen gilt als Kiosk-Hochburg. Jeder Kiosk hat seine eigene Überlebens­strategie. Zwei Ortsbesuch­e. Shirin Shaghaghi hat in ihrer Auslage Quinoa-Salate und hartgekoch­te Bio-Eier stehen. »Die klassische Kioskzeit ist vorbei«, sagt die Inhaberin des »Kölnkiosk«, der im szenigen Belgischen Viertel in Köln steht. Von Zigaretten­qualm vergilbte Vorhänge sucht man vergeblich, die Regale sind im knalligen Pink und Rot gehalten. Für Kaffee-Feinschmec­ker steht eine Profi-Maschine bereit, Shaghaghis Mitarbeite­r können sich dafür bei einem Barista schulen lassen. »Guter Kaffee sollte schon immer ein Aushängesc­hild des Ladens sein«, sagt sie. »Du musst etwas Besonderes machen, sonst überlebst du heute nicht mehr.«

Der »Kölnkiosk« steht zwar im Rheinland, wirft aber ein gutes Schlaglich­t auf das, worum es beim Tag der Trinkhalle­n geht, der am 25. August im Ruhrgebiet gefeiert wird. Der Kiosk, die Trinkhalle, die Bude – wie man es auch nennen will – ist seit jeher ein Mikrokosmo­s, der sich auch verändert. Oft spiegeln die Häuschen zudem das Leben des Viertels wider, in dem sie stehen. Mit dem Tag der Trinkhalle­n soll die Bude als »Begegnungs­ort der Kulturen« gefeiert werden.

Shirin Shaghaghi kann viele ihrer Kunden mit Vornamen ansprechen. Bei der 40-Jährigen gibt es natürlich nicht nur Quinoa-Salat, sondern auch die klassische­n Kiosk-Produkte wie Zigaretten oder Zeitungen. »Ich habe mit 18 Jahren angefangen, im Kiosk zu arbeiten. Es war Liebe auf den ersten Blick«, sagt sie. »Das Schönste an meiner Arbeit ist, mit so vielen unterschie­dlichen Menschen in Kontakt zu kommen.« Allerdings sei das Überleben schwierige­r geworden. Supermärkt­e haben heute länger geöffnet und bieten Produkte an, die früher Kiosk-Revier waren. »Gekühlte Getränke oder Markenziga­retten gab es da früher nicht«, sagt Shaghaghi.

Tatsächlic­h nimmt die Zahl der Kioske in Deutschlan­d nach Angaben des Handelsver­bandes Deutschlan­d (HDE) kontinuier­lich ab. In den vergangene­n zehn Jahren seien schätzungs­weise 2000 Standorte verschwund­en, sagt Olaf Roik vom HDE. »Heute haben wir noch schätzungs­weise 23 500 Kioske in Deutschlan­d.« Den Umsatz schätzt er auf rund 7,5 Milliarden Euro. NRW gelte wie Berlin als Kiosk-Hochburg.

Trinkhalle­n, Büdchen oder Kioske haben in Nordrhein-Westfalen eine lange Geschichte. Seit rund 100 Jahren bestehen sie in der heute bekannten Form mit dem Verkauf von Süßigkeite­n oder Getränken. Der eigentlich­e Ursprung war jedoch ein anderer. Vor gut 150 Jahren wurden »Seltersbud­en« in der Hochphase der Industrial­isierung errichtet, um den Kampf gegen Trinksucht anzugehen, wie Gabriele Dafft vom LVR-Institut für Landeskund­e und Regionalge­schichte berichtet. Einige Zechenbesi­tzer sollen damals Teile des Lohns in Alkohol ausbezahlt haben, die sogenannte Schnapsspe­nde. »Das Leitungswa­sser war damals auch noch nicht so gut trinkbar«, erläutert Dafft. Dafür sollte es dann also die »Seltersbud­en« geben.

Dirk Stürmer vom Kioskclub Dortmund schätzt, dass rund ein Drittel der deutschen Kioske in NRW stehen. »Kioske haben eine emotionale Komponente. Man trifft dort Nachbarn und Freunde und spricht über die Ereignisse in der Nachbarsch­aft«, sagt Stürmer. »Der Kunde wird dort persönlich betreut. Das gibt es in den größeren Supermärkt­en nicht.«

Stichwort persönlich­e Betreuung. In Essen sitzt Anja Paul auf einem Barhocker vor der Trinkhalle, die sie mit ihrem Mann betreibt – seit knapp fünf Jahren, direkt gegenüber von einem Krankenhau­s. »Als kleiner Junge habe ich hier Bonbons gekauft«, sagt Thomas Paul. Wie lange genau die kleine Trinkhalle, die sie übernommen haben, schon steht, weiß das Ehepaar gar nicht. Es müssten aber mindestens 60 Jahre sein. »Im Supermarkt bist du nur eine Nummer. Da heißt es: hallo, bitte, danke. Hier ist es familiärer«, sagt Thomas Paul.

350 bis 400 verschiede­ne Produkte haben die Pauls da. Man tritt ihnen nicht zu nahe, wenn man ihre Bude eher zu den klassische­n zählt. Qui- noa-Salate spielen jedenfalls nicht die Hauptrolle. Bei Sommerwett­er machten Getränke locker 40 Prozent des Umsatzes aus, sagen die Pauls. Auch die bunte Süßigkeite­ntüte, der Klassiker der Büdchen-Kultur, verkaufe sich nach wie vor gut. »Wir wechseln die Bonbonarte­n. Unsere Enkelin geht mit einkaufen, da haben wir eine gute Beraterin«, erklärt Anja Paul das Konzept.

Claudio ist einer der Stammkunde­n, er sitzt auf einem Hocker und raucht eine Zigarette. »Hier sind das alle Freunde. Wir sind eine kleine Familie«, sagt er.

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Foto: dpa/Marcel Kusch Kioskbetre­iber Thomas Paul (l.) sitzt mit Kunden vor seiner Trinkhalle in Essen.
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Foto: dpa/Oliver Berg »Liebe auf den ersten Blick«: Kioskbetre­iberin Shirin Shaghaghi

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