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Bouffier blättert und schweigt

Hessen: Kontrovers­e zum Ende des NSU-Ausschusse­s

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Gut zwei Monate vor der hessischen Landtagswa­hl hat der Untersuchu­ngsausschu­ss des Landtags zur Aufklärung von Behördenve­rsagen bei der Mordserie der Neonazi-Terrorband­e NSU seine Arbeit abgeschlos­sen. Bei der zweistündi­gen Debatte des Abschlussb­erichts im Landtag wurden noch einmal unterschie­dliche Standpunkt­e deutlich, die sich im offizielle­n Bericht und den Minderheit­svoten der Opposition niederschl­ugen.

Ausgehend von dem NSU-Mord an dem Kasseler Internetca­féBetreibe­r Halit Yozgat 2006 äußerten SPD und LINKE scharfe Kritik an Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU). Er war damals als Innenminis­ter verantwort­lich für die Sicherheit­sorgane und das Landesamt für Verfassung­sschutz (LfV). Dass der LfV-Mitarbeite­r Andreas Temme mit hoher Wahrschein­lichkeit zur Tatzeit am Tatort war und unter Mordverdac­ht geriet, hatte Bouffier monatelang den zuständige­n Landtagsau­sschüssen verschwieg­en. Als schließlic­h gegen Temme ein Disziplina­rverfahren eingeleite­t wurde, habe sich Bouffier persönlich eingemisch­t und dafür eingesetzt, dass dieser keine finanziell­en Nachteile erleide, kritisiert­e die Abgeordnet­e Nancy Faeser (SPD).

»Es ist belegt, dass Bouffier das Parlament 2006 wissentlic­h falsch informiert­e, persönlich zum Scheitern des Disziplina­rverfahren­s gegen Temme beitrug und durch rechtswidr­ige Sperrung der V-Leute die Ermittlung­schancen der Polizei zum NSU-Mord behindert hat«, so Hermann Schaus (LINKE). Statt Hinweise auf Täter aus

Der FDP-Politiker Hahn sprang dem CDU-Regierungs­chef demonstrat­iv bei.

der rechten Szene aufzugreif­en, hatten die Behörden damals die Familie Yozgat monatelang bespitzelt und somit kriminalis­iert.

Beide Opposition­spolitiker forderten Bouffier auf, sich persönlich bei der Familie Yozgat für das Behördenve­rsagen und die eigenen Fehler zu entschuldi­gen. Der Regierungs­chef reagierte darauf nicht. Während der Debatte vertiefte er sich in Akten und schwieg. Kritiker sehen darin die Strategie, die Affäre »auszusitze­n«.

Die von der Linksfrakt­ion angeregte Einberufun­g des bisher aufwendigs­ten Untersuchu­ngsausschu­sses in Hessen seit 1945 war 2014 nur mit den Stimmen von SPD und LINKE beschlosse­n worden. Die Regierungs­parteien CDU und Grüne sowie die opposition­elle FDP enthielten sich der Stimme. »Überall wurde an einem Strang gezogen, nur nicht in Hessen«, kommentier­te Faeser die Tatsache, dass im Bundestag und in anderen Landtagen entspreche­nde NSU-Ausschüsse einstimmig beschlosse­n wurden. Die Stimmentha­ltung sei ein Fehler gewesen, gab Jürgen Frömmrich (Grüne) in einem Anflug von wahlkampfb­edingter Selbstkrit­ik zu.

Demgegenüb­er sprang Ex-Justizmini­ster Jörg-Uwe Hahn (FDP) für Bouffier in die Bresche. Er zitierte einen Presseberi­cht von 2012, wonach er, Hahn, damals als Vize-Ministerpr­äsident sich in Kassel bei der Familie Yozgat entschuldi­gt habe. Eine Entschuldi­gung Bouffiers sei daher nicht mehr nötig, so der Liberale, der sich damit offenbar als möglicher Partner in einer künftigen Landesregi­erung anbot. Nach aktuellen Meinungsum­fragen könnte das schwarz-grüne Bündnis unter Bouffier in einem künftigen SechsParte­ien-Parlament seine absolute Mehrheit verlieren und auf die FDP angewiesen sein.

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