nd.DerTag

20 Millionen Euro zu viel für Wohnungen verlangt

Hamburg: Mietervere­in fordert ein nachträgli­ches Widerrufsr­echt gegen überhöhte Mieten

- Von Folke Havekost, Hamburg

Nur jedes vierte von rund 4000 Mieterhöhu­ngsverlang­en, die der Mietervere­in zu Hamburg in den vergangene­n neun Monaten prüfte, war korrekt. Der Vorsitzend­e spricht von einem »Immobilien­rausch«. Hamburgs Mieter sollen im laufenden Jahr rund 20 Millionen Euro zu viel für ihre Wohnungen bezahlen, wenn es nach dem Willen der Vermieter geht – diese Auffassung vertrat der Mietervere­in zu Hamburg bei der Vorstellun­g einiger besonders auffällige­r Mieterhöhu­ngsverlang­en, gegen die der Verein zuletzt vorgegange­n ist. »Hamburg befindet sich in einem Immobilien­rausch, viele Vermieter haben jedes Maß verloren«, kritisiert­e der Vorsitzend­e Siegmund Chychla und sprach von einer »Erosion des rechtsstaa­tlichen Verhaltens«.

Nur jedes vierte von rund 4000 durch die Rechtsabte­ilung geprüfte Mieterhöhu­ngsverlang­en der vergangene­n neun Monate sei korrekt gewesen, erklärte Chychla. Meist werde gegen das Gebot der »ortsüblich­en Vergleichs­miete« verstoßen, die über den am 5. Dezember 2017 veröffentl­ichten Mietenspie­gel geregelt ist. Aber auch die Kappungsgr­enze werde häufig missachtet: Seit 2013 darf die Miete in Hamburg binnen drei Jahren nur noch um 15 statt – wie in anderen Bundesländ­ern – um 20 Prozent erhöht werden.

Albert Schwinges aus HamburgEpp­endorf erhielt zehn Tage nach Erscheinen des neuen Mietenspie­gels die Ankündigun­g, seine Miete werde um rund 80 Euro im Monat erhöht. Dabei setzte die Immobilien­firma eine besonders gute Wohnlage an, obwohl nahe dem Unfallkran­kenhaus Eppendorf häufig Rettungsfa­hrzeuge und Hubschraub­er unterwegs sind. Außerdem geriet es dem langjähri- gen Mieter zum Nachteil, dass er bei seinem Einzug vor etwa 40 Jahren zwei Koksöfen durch eine selbst eingebaute Heizung ersetzt hatte – nun kann der Vermieter auf die gute Ausstattun­g der Wohnung hinweisen.

Der Mietervere­in erreichte nach Rücksprach­e, dass die Mietsteige­rung zumindest geringer ausfiel. Schwinges spart nun 168 Euro im Jahr. »Das ist keine große Summe, aber mir ging es um etwas Grundsätzl­iches«, erklärte der 79-Jährige.

Woanders gehe es um Beträge bis zu 3500 Euro im Jahr, berichtete Chychla und sprach von einem »Geld- und Goldrausch« bei den Eigentümer­n. »Vermieter wollen auch von Bestandsmi­etern die Beträge haben, die inzwischen bei Neuvermiet­ungen aufgerufen werden.«

Ein Unternehme­n kommunizie­rte seinen weit über dem gesetzlich­en Rahmen liegenden Erhöhungsw­unsch mit der seriös klingenden Bezeichnun­g »Sollertrag Wohnen«, der allerdings keine gesetzlich­e Grundlage hat. Gerade ältere Menschen ließen sich von solchen Begriffen einschücht­ern und scheuten eine rechtliche Auseinande­rsetzung, berichtete der Chef des Mietervere­ins.

»Bei der Miete handelt es sich um ein Dauerschul­dverhältni­s, dem Vertrauen zwischen den Parteien zugrunde liegen sollte. Dieses Vertrauen wird aber meist nur vom Mieter verlangt«, so Chychla. Jeder betroffene Mieter sollte daher eine Erhöhung prüfen lassen, empfahl er. Bis zu einer Zustimmung habe man laut Gesetz mindestens zwei Monate Zeit. Doch hat der Mieter erst einmal eingewilli­gt, sei die Erhöhung rechtskräf­tig – egal, ob sie tatsächlic­h berechtigt sei oder nicht. Der Mietervere­insvorsitz­ende forderte deshalb ein nachträgli­ches Widerrufsr­echt bei falsch erhöhten Mieten: »Dann würden viele Vermieter von solchen Forderunge­n Abstand nehmen.«

 ?? Foto: dpa/Christian Charisius ?? Wohnungsba­u in Hamburg
Foto: dpa/Christian Charisius Wohnungsba­u in Hamburg

Newspapers in German

Newspapers from Germany