Über die Verachtung von ungebildeten Menschen in den USA und Trumps Wahlsieg.
Unser Intelligenzquotientfetisch fördert die Spaltung der Gesellschaft.
Nach dem Sieg von Donald Trump sagte man dem Kino plötzlich prophetische Kräfte nach. Wie konnte es so weit kommen, dass eine derart anti-intellektuelle, vulgäre Person zum US-Präsidenten gewählt wurde? Eine Antwort glaubten manche in einem satirischen Science-Fiction-Film zu finden, der zehn Jahre vor Trumps Wahlerfolg in die Kinos kam. »Idiocracy« beginnt in der Gegenwart: Während die Akademiker ihre Kinderwünsche kaum noch realisieren, so die These des Films, pflanzen sich die Vertreter der sogenannten Unterschicht unaufhörlich fort. Dadurch nimmt der Intelligenzquotient in der Gesellschaft kontinuierlich ab, die »Dummen« werden zur dominierenden Klasse. Lag im Jahr 2005 der Durchschnitts-IQ noch bei 100, ist man damit 2505 eine regelrechte Intelligenzbestie. In der Zukunft glotzen Bürger rund um die Uhr dümmste Fernsehsendungen, reduzieren ihren Wortschatz auf ein Minimum, ernähren sich ausschließlich von Fastfood und aus den Wasserhähnen fließt nur noch der klebrige Softdrink eines Konzerns. Im Weißen Haus sitzen tumbe Gestalten in Comickostümen, der Präsident ist ein Rapper, der Innenminister ein Wrestler und Pornodarsteller.
Die natürliche Auslese, so die sozialdarwinistische Grundannahme des Films, habe nicht mehr funktioniert, deshalb seien die Intelligenten und Fortschrittlichen einfach ausgestorben. Die Verachtung der sogenannten Unterschicht war bereits in den Nullerjahren groß in Mode und sie war schon damals falsch, gefährlich und dumm – siehe Sarrazin und die Folgen. Dieser Trend erlebte mit der Wahl von Trump einen neuen Höhepunkt: Der ungebildete TrumpWähler wurde zum absoluten Feind der angeblich offenen Gesellschaft erklärt. »Idiocracy«, schrieben Journalisten und Filmfans, sei angesichts der neusten Entwicklungen wie ein Dokumentarfilm zu betrachten.
Tatsächlich war »Idiocracy« prophetisch, aber vermutlich anders, als von Regisseur und Akademikersohn Mike Judge intendiert. Wovon der Film nämlich eigentlich zeugt, ist das Aufkommen einer neuen Zwei-Klassen-Gesellschaft aus einer ungebildeten und einer gebildeten Klasse – für Letztere wurde der Film produziert. Verantwortlich dafür ist ein Ungleichheit produzierendes Universitätssystem und ein Kulturwandel, der den Bildungsaufstieg verabsolutiert. Der Anthropologe Emmanuel Todd ist sich in seinem neuen, aufregenden und provokanten Buch »Traurige Moderne« sicher: »Aus Academia wurde (…) eine große Maschinerie zur Sortierung der Bevölkerung«. Nicht mehr nach Geld, sondern nach Bildungsstand wird die Gesellschaft eingeteilt.
Selbst vergleichsweise arme Akademiker vertreten dieselben wirt-
schaftsliberalen Ideologien wie WallStreet-Banker oder Silicon-ValleyMilliardäre. Wie konnte es dazu kommen?
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatte die Bildungspolitik eine egalisierende Wirkung – man denke an die Alphabetisierung –, obwohl nur ein geringer Anteil eine Universität besuchte. Dadurch war NichtAkademiker zu sein, argumentiert Todd dialektisch, keine Schande. Das ändert sich, wenn plötzlich die eine Hälfte der Bevölkerung studiert hat, die andere jedoch nicht. Und wiederum nur die Hälfte der Studenten einen Abschluss macht. Diese Absolventen zählt Todd zur neuen Elite, die ihre liberale Moral wie eine Monstranz vor sich herträgt. Eine Klassenschranke sei so entstanden, die immer seltener passiert wird. Ständige Evaluationen und Intelligenztests an Unis verstärken den Effekt. Der Bildungsgrad wird zum alles entscheidenden Kriterium, um gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten.
Diese Elite ist es auch, die unermüdlich für Freihandel und offene Grenzen plädiert, zugleich aber jene verachtet, die auf den unteren Sprossen der Bildungsleiter stehen geblieben sind. Keineswegs sind es nur Nicht-Akademiker, die vom Herr- schaftsdiskurs ausgeschlossen werden. Das System »Academia« zerstört fortwährend die Gleichheit: »Jede Institution im Hochschulwesen weist jedem Studenten einen Platz in der sozialen Hierarchie zu. (…) Die immer strengere Auslese zwing die Studierenden bei dem allgemeinen sozialen Wettbewerb zu einer Haltung der Unterwerfung und des Konformismus.« Wer etwa den Wirtschaftsliberalismus infrage stellt, von dem viele Akademiker de facto kaum profitieren, manövriert sich ins Abseits. In ihrer Intoleranz ist die Elite ähnlich dumm wie »Idiocracy«.
»Autorität und Inegalität, das sind die geheimen Devisen von Academia«, sagt Todd und er erhebt schwere Vorwürfe: »Alle, die für eine Verbreitung des Freihandels eintraten, wussten, dass er die Arbeiterklasse erschüttern und die Gemeinschaft der Schwarzen zugrunde richten würde.« Die Schwarzen aber seien an demokratische Freihandelsapologeten wie Hillary Clinton gekettet, weil diese ihnen zwar wirtschaftliche Ausbeutung bescheren, aber immerhin Toleranz versprechen, während Republikaner noch nicht einmal das tun.
Folglich war Todd von Trumps Erfolg nicht überrascht, weil Trump zwar extrem reich ist, aber nicht zur Bildungselite gehört und mit dem Protektionismus eine Alternative jenen anbot, die unter dem Freihandel leiden.
Der Wissenschaftler hatte sich bereits 1976 als Prophet erwiesen, als er aufgrund des Anstiegs der Kindersterblichkeitsrate in Russland den Zusammenbruch der Sowjetunion voraussagte. Früh prognostizierte er Trumps Wahlsieg, als er die wachsende Sterberate, verursacht vor allem durch Suizide, der weißen relativ ungebildeten Bevölkerung im Alter von 45 bis 54 Jahren analysierte. Dieses Phänomen, »das weltweit in keiner hochentwickelten Gesellschaft vorkommt«, sei ein Resultat des Bildungsklassismus, der vielen Bürgern das Selbstwertgefühl nimmt, selbst wenn es ihnen finanziell noch gut geht.
Die Klassenschranke Bildung könnte in Zukunft noch undurchlässiger werden, denkt man die neurotechnologischen Möglichkeiten hinzu, mit denen das Gehirn zu einem Hochleistungsrechner ausgebaut werden kann. Egal ob durch CyborgTechnologien, die das Hirn mit Mikrochips erweitern sollen, oder durch die Einnahme von LSD in Mikrodosen oder durch Genmanipulation. »Wir sind auf dem Weg in eine neue Zwei-Klassen-Gesellschaft: die Optimierten und die Nichtoptimierten, die Integrierten und die Ausgeschlossenen«, schreibt Miriam Meckel in ihrem Buch »Brainhacking«. Heute bereits gebe es eine merkwürdige Verehrung des Intelligenzquotienten, obwohl seine Aussagekraft fragwürdig sei. Meckel warnt vor einer »asozialen Hirnwirtschaft«: »Wer zu den geistig Wohlhabenden oder den geistig Abgeschlagenen gehört, wird dann auch davon abhängen, wer sich neurotechnologische Erweiterungen leisten kann.« Fest steht: In einem Klima, in dem Unterschichten-Bashing zum guten Ton gehört und sich die akademische Elite stets auf der moralisch richtigen Seite wähnt, wird die neue Kluft zwischen Oben und Unten bald noch größer sein. In Deutschland, belegt Todd mit vielen Zahlen, ist dieses Auseinanderdriften aus diversen historischen und demografischen Gründen noch nicht so weit gediehen. So genießen handwerkliche Berufe nach wie vor hohes Ansehen. Gewarnt aber sind wir nun.