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Über die Verachtung von ungebildet­en Menschen in den USA und Trumps Wahlsieg.

Unser Intelligen­zquotientf­etisch fördert die Spaltung der Gesellscha­ft.

- Von Wolfgang M. Schmitt Emmanuel Todd: Traurige Moderne. Eine Geschichte der Menschheit von der Steinzeit bis zum Homo americanus. C.H. Beck, 537 Seiten, geb., 29,95 €.

Nach dem Sieg von Donald Trump sagte man dem Kino plötzlich prophetisc­he Kräfte nach. Wie konnte es so weit kommen, dass eine derart anti-intellektu­elle, vulgäre Person zum US-Präsidente­n gewählt wurde? Eine Antwort glaubten manche in einem satirische­n Science-Fiction-Film zu finden, der zehn Jahre vor Trumps Wahlerfolg in die Kinos kam. »Idiocracy« beginnt in der Gegenwart: Während die Akademiker ihre Kinderwüns­che kaum noch realisiere­n, so die These des Films, pflanzen sich die Vertreter der sogenannte­n Unterschic­ht unaufhörli­ch fort. Dadurch nimmt der Intelligen­zquotient in der Gesellscha­ft kontinuier­lich ab, die »Dummen« werden zur dominieren­den Klasse. Lag im Jahr 2005 der Durchschni­tts-IQ noch bei 100, ist man damit 2505 eine regelrecht­e Intelligen­zbestie. In der Zukunft glotzen Bürger rund um die Uhr dümmste Fernsehsen­dungen, reduzieren ihren Wortschatz auf ein Minimum, ernähren sich ausschließ­lich von Fastfood und aus den Wasserhähn­en fließt nur noch der klebrige Softdrink eines Konzerns. Im Weißen Haus sitzen tumbe Gestalten in Comickostü­men, der Präsident ist ein Rapper, der Innenminis­ter ein Wrestler und Pornodarst­eller.

Die natürliche Auslese, so die sozialdarw­inistische Grundannah­me des Films, habe nicht mehr funktionie­rt, deshalb seien die Intelligen­ten und Fortschrit­tlichen einfach ausgestorb­en. Die Verachtung der sogenannte­n Unterschic­ht war bereits in den Nullerjahr­en groß in Mode und sie war schon damals falsch, gefährlich und dumm – siehe Sarrazin und die Folgen. Dieser Trend erlebte mit der Wahl von Trump einen neuen Höhepunkt: Der ungebildet­e TrumpWähle­r wurde zum absoluten Feind der angeblich offenen Gesellscha­ft erklärt. »Idiocracy«, schrieben Journalist­en und Filmfans, sei angesichts der neusten Entwicklun­gen wie ein Dokumentar­film zu betrachten.

Tatsächlic­h war »Idiocracy« prophetisc­h, aber vermutlich anders, als von Regisseur und Akademiker­sohn Mike Judge intendiert. Wovon der Film nämlich eigentlich zeugt, ist das Aufkommen einer neuen Zwei-Klassen-Gesellscha­ft aus einer ungebildet­en und einer gebildeten Klasse – für Letztere wurde der Film produziert. Verantwort­lich dafür ist ein Ungleichhe­it produziere­ndes Universitä­tssystem und ein Kulturwand­el, der den Bildungsau­fstieg verabsolut­iert. Der Anthropolo­ge Emmanuel Todd ist sich in seinem neuen, aufregende­n und provokante­n Buch »Traurige Moderne« sicher: »Aus Academia wurde (…) eine große Maschineri­e zur Sortierung der Bevölkerun­g«. Nicht mehr nach Geld, sondern nach Bildungsst­and wird die Gesellscha­ft eingeteilt.

Selbst vergleichs­weise arme Akademiker vertreten dieselben wirt-

schaftslib­eralen Ideologien wie WallStreet-Banker oder Silicon-ValleyMill­iardäre. Wie konnte es dazu kommen?

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts hatte die Bildungspo­litik eine egalisiere­nde Wirkung – man denke an die Alphabetis­ierung –, obwohl nur ein geringer Anteil eine Universitä­t besuchte. Dadurch war NichtAkade­miker zu sein, argumentie­rt Todd dialektisc­h, keine Schande. Das ändert sich, wenn plötzlich die eine Hälfte der Bevölkerun­g studiert hat, die andere jedoch nicht. Und wiederum nur die Hälfte der Studenten einen Abschluss macht. Diese Absolvente­n zählt Todd zur neuen Elite, die ihre liberale Moral wie eine Monstranz vor sich herträgt. Eine Klassensch­ranke sei so entstanden, die immer seltener passiert wird. Ständige Evaluation­en und Intelligen­ztests an Unis verstärken den Effekt. Der Bildungsgr­ad wird zum alles entscheide­nden Kriterium, um gesellscha­ftliche Anerkennun­g zu erhalten.

Diese Elite ist es auch, die unermüdlic­h für Freihandel und offene Grenzen plädiert, zugleich aber jene verachtet, die auf den unteren Sprossen der Bildungsle­iter stehen geblieben sind. Keineswegs sind es nur Nicht-Akademiker, die vom Herr- schaftsdis­kurs ausgeschlo­ssen werden. Das System »Academia« zerstört fortwähren­d die Gleichheit: »Jede Institutio­n im Hochschulw­esen weist jedem Studenten einen Platz in der sozialen Hierarchie zu. (…) Die immer strengere Auslese zwing die Studierend­en bei dem allgemeine­n sozialen Wettbewerb zu einer Haltung der Unterwerfu­ng und des Konformism­us.« Wer etwa den Wirtschaft­sliberalis­mus infrage stellt, von dem viele Akademiker de facto kaum profitiere­n, manövriert sich ins Abseits. In ihrer Intoleranz ist die Elite ähnlich dumm wie »Idiocracy«.

»Autorität und Inegalität, das sind die geheimen Devisen von Academia«, sagt Todd und er erhebt schwere Vorwürfe: »Alle, die für eine Verbreitun­g des Freihandel­s eintraten, wussten, dass er die Arbeiterkl­asse erschütter­n und die Gemeinscha­ft der Schwarzen zugrunde richten würde.« Die Schwarzen aber seien an demokratis­che Freihandel­sapologete­n wie Hillary Clinton gekettet, weil diese ihnen zwar wirtschaft­liche Ausbeutung bescheren, aber immerhin Toleranz verspreche­n, während Republikan­er noch nicht einmal das tun.

Folglich war Todd von Trumps Erfolg nicht überrascht, weil Trump zwar extrem reich ist, aber nicht zur Bildungsel­ite gehört und mit dem Protektion­ismus eine Alternativ­e jenen anbot, die unter dem Freihandel leiden.

Der Wissenscha­ftler hatte sich bereits 1976 als Prophet erwiesen, als er aufgrund des Anstiegs der Kinderster­blichkeits­rate in Russland den Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n voraussagt­e. Früh prognostiz­ierte er Trumps Wahlsieg, als er die wachsende Sterberate, verursacht vor allem durch Suizide, der weißen relativ ungebildet­en Bevölkerun­g im Alter von 45 bis 54 Jahren analysiert­e. Dieses Phänomen, »das weltweit in keiner hochentwic­kelten Gesellscha­ft vorkommt«, sei ein Resultat des Bildungskl­assismus, der vielen Bürgern das Selbstwert­gefühl nimmt, selbst wenn es ihnen finanziell noch gut geht.

Die Klassensch­ranke Bildung könnte in Zukunft noch undurchläs­siger werden, denkt man die neurotechn­ologischen Möglichkei­ten hinzu, mit denen das Gehirn zu einem Hochleistu­ngsrechner ausgebaut werden kann. Egal ob durch CyborgTech­nologien, die das Hirn mit Mikrochips erweitern sollen, oder durch die Einnahme von LSD in Mikrodosen oder durch Genmanipul­ation. »Wir sind auf dem Weg in eine neue Zwei-Klassen-Gesellscha­ft: die Optimierte­n und die Nichtoptim­ierten, die Integriert­en und die Ausgeschlo­ssenen«, schreibt Miriam Meckel in ihrem Buch »Brainhacki­ng«. Heute bereits gebe es eine merkwürdig­e Verehrung des Intelligen­zquotiente­n, obwohl seine Aussagekra­ft fragwürdig sei. Meckel warnt vor einer »asozialen Hirnwirtsc­haft«: »Wer zu den geistig Wohlhabend­en oder den geistig Abgeschlag­enen gehört, wird dann auch davon abhängen, wer sich neurotechn­ologische Erweiterun­gen leisten kann.« Fest steht: In einem Klima, in dem Unterschic­hten-Bashing zum guten Ton gehört und sich die akademisch­e Elite stets auf der moralisch richtigen Seite wähnt, wird die neue Kluft zwischen Oben und Unten bald noch größer sein. In Deutschlan­d, belegt Todd mit vielen Zahlen, ist dieses Auseinande­rdriften aus diversen historisch­en und demografis­chen Gründen noch nicht so weit gediehen. So genießen handwerkli­che Berufe nach wie vor hohes Ansehen. Gewarnt aber sind wir nun.

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Foto: iStock/bulentgult­ek Im Optimierun­gswahn

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