Opa im All
Eine Woche war Sigmund Jähn im Weltraum. Als erster Deutscher führte er dort im August 1978 zahlreiche Experimente sowie arbeitspsychologische Untersuchungen durch und arbeitete mit der neuartigen Multispektral-Kamera aus dem Zeiss-Kombinat in Jena. In de
Vor dem Start: Sigmund Jähn (unten) und Waleri Bykowski
Es ist Gelegenheit, daran zu erinnern: Ja, die DDR ist untergegangen – aber immerhin als Weltraumnation. Viele kluge und engagierte Menschen haben den bemannten Ausflug in die Erdumlaufbahn ermöglicht. Für sie alle steht der Fliegerkosmonaut Sigmund Jähn – mit seiner ganz eigenen freundlichen, klugen, bescheidenen und erdverbundenen Art.
Es mag sein, dass es inzwischen einige gibt, die nicht viel, möglicherweise auch gar nichts mit dem Namen verbinden. So ist das, wenn Zeit ins Land geht – und es ist mehr als nur viel Zeit ins Land gegangen, seitdem Sigmund Jähn, damals 41 Jahre alt, am 26. August 1978 um 15.51 Uhr mitteleuropäischer Zeit mit einer sowjetischen Sojus-Trägerrakete ins Weltall geschossen wurde. »Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR«, titelte voller Stolz das »Neue Deutschland«. In roten Lettern. Noch in der Nacht wurde eine Extraausgabe mit den Fotos des bis dahin unbekannten NVA-Oberstleutnants und seines sowjetischen Kommandanten Oberst Waleri Bykowski verteilt.
Jubiläen bieten Anlass, um Fotos nach Details abzusuchen. Schaut man sich jene und dazu die TV-Über- tragungen vom Jähn-Flug an, so kommt einem die enge, laute, stinkende Salut-6-Raumstation vor, als sei sie vor allem ein Souvenir-Shop oder ein fliegendes Museum gewesen. Nicht aus technischer Sicht. Alles war High-Tech – nach praktischrussischer Bauart. Aber an den »Wänden« klebten Bilder der angeblich größten Revolutionäre: Wladimir Lenin, Leonid Breschnew und Erich Honecker. Ein mit Gold geprägtes DDR-Staatswappen war mit an Bord, dazu Medaillen mit den Köpfen von Karl Marx, Friedrich Engels, Wladimir Iljitsch Lenin, Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck. Goethes »Faust« und das »Kommunistische Manifests« hatte man als Minibücher ebenso eingepackt wie Halstücher der Thälmann-Pioniere und Ersttagsbriefe der Deutschen Post.
In den vergangenen vier Jahrzehnten sind viele – echte und erfundene – Geheimnisse, die sich um den Flug rankten, gelüftet worden. Eine Frage jedoch wartet auf Antwort. Mit an Bord war der Liebling aller Kinder aus dem DDR-Fernsehen. Das Sandmännchen. Bei einer Pressekonferenz mit den Kosmonauten kam am 29. August 1978 zur Sprache, dass das Sandmännchen offenbar schon lange »etwas laufen« hatte mit Mascha, dem Star des sowjetischen Kinderfernsehens. Nun, so teilte Jähn mit, »haben sie beschlossen, zu heiraten«. Man werde die beiden als »Paar« zur Erde zurückbringen. Jähns Kosmonautenkollege Wladimir Kowaljonok berichtete sogar vom Vollzug der Eheschließung. Warum also versteckt der Sandmann, der jeden Abend so freundlich in verschiedenen Fernsehkanälen Traumsand verstreut, seit vier Jahrzehnten seine russische Ehefrau?! Da er sich schon zu sozialistischen Zeiten nicht zu Mascha bekannte, kann man die fehlende Nähe wohl kaum dem aktuell frostigen Verhältnis zwischen Deutschland und Russland anlasten.
Zugegeben, in den Kosmos zu fliegen war seit der 1961er Pioniertat des Russen Juri Gagarin schon zur Gewohnheit geworden. Vor Jähn hatten 142 andere – 71 US- und 69 Sowjetbürger, ein Pole und Mann aus der damaligen CSSR – all ihren Mut zusammengenommen, um die irdische Schwerkraft zu verlassen. Jähns außerirdischer Einsatz an Bord zweier Sojus-Kapseln und der Raumstation Salut 6 dauerte vom 26. August bis zum 3. September 1978. Exakt 124 Mal umkreiste er die Erde. Das sind 5 235 262 Kilometer. Doch nicht das machte den Flug so spektakulär und Jähn so populär. Der erste Deutsche im All war und ist kein Mann »von der Stange«. Wie sehr die fast zügellose Jubel-Maschine manchem DDRBürger damals auch auf die Nerven gegangen sein mag – auf »unseren Sigg« ließ kaum eine oder einer etwas kommen. Abgesehen von Springers »Welt«, die mit Bemerkungen über den »Genossen Kolumbus aus Sachsen«, der nichts weiter als »ein Mitesser in der Russenrakete« sei, disqualifizierte. Etwas milder ging die Hamburger »Zeit« mit dem Kosmonauten um. Der, so hieß es, spräche immerhin »kein Sächsisch, dass es einen schüttelt«. Jähn ist auch geachtet im erweiterten Deutschland, in Europa – als Kosmonaut, als Flieger, als Militär, der es bis zum NVA-General gebracht hat, als Vorbild, Namenspatron, als Doktor, Lehrer, Ratgeber. Als Mensch. Und manch kosmischem Nachfolger als Freund. Alexander Gerst, genannt »Astro Alex«, der derzeit die Erde in der Internationalen Raumstation umrundet, hatte den Veteranen Jähn als »guten Freund« eingeladen, als er Anfang Juni von Baikonur abhob.
Bis zu seinem 1978er Starttermin waren Sigmund Jähn wie das Double Eberhard Köllner in der ihnen zugedachten Funktion bekannt. Bereits Ende Mai 1978 wurde ein Handvoll DDR-Journalisten eingeweiht. Eng von Zensur eingeschnürt, sollten sie den großen Moment »in Vorbereitung auf den 30. Jahrestag der DDR« vorab beschreiben. »Die Namen der Kandidaten durften in den Texten nicht auftauchen. Für Sigmund Jähn stand da immer nur ein A, für Eberhard Köllner ein B. Auch den wahren Grund für mein Erscheinen durfte ich den Gesprächspartnern nicht nennen«, erinnert sich der ADN-Kollege Gerhard Kowalski, der selbst die Startreportage vorempfinden und bei der Pressestelle des Ministeriums für Nationale Verteidigung hinterlegen musste. Von dort kam auch die Weisung, dass Jähn medial nicht Opa sein durfte, obwohl sein erster Enkel kurz vor dem Start geboren worden war. Held und Opa? Das geht gar nicht, dachte man in »DDR-Führungsgreisen«.
Dass die Sowjetunion im Sternenstädtchen bei Moskau trainierte Spezialisten aus anderen am Interkosmos-Programm sozialistischen Staaten zum Mitfliegen und Mitforschen einlud, war auch für Normalbürger klar. Nur wunderte sich mancher in der Peperonie-DDR (die kleinste, die roteste, die schärfste Frucht des Sozialismus) darüber, dass zuerst ein Tscheche – Vladimír Remek – und dann ein Pole – Mirosław Hermaszewski – abheben und mit den Dauerfliegern Wladimir Kowaljonok und Alexander Iwantschenkow in der Station arbeiten konnten. Die Jahreszahl 1978 mag eine Erklärung für die Rangfolge der Starts geben. In der CSSR wollte man – zehn Jahre nachdem Bruderstaaten den »Prager Frühling« erstickt hatten – positive Schlagzeilen organisieren. In Polen suchte man mediale Ablenkung wegen der mit großer Repression verfolgten Gründung Freier Gewerkschaften. Die Parteiführung der SED wähnte sich damals noch auf der Straße der Sieger und frönte der eigenen Überheblichkeit, stets ein bisschen besser zu sein als die anderen Brüder, die im Geiste des Roten Oktober die Welt umkrempeln wollten.
Die DDR-TV-Nachrichtensendung »Aktuelle Kamera« ließ kaum andere Themen zu, täglich gab es wissenschaftlich Hintergründiges im »Kosmos-Studio«. Wir im ND feierten nicht minder das »historische Ereignis im Leben unseres Volkes«. Der Kosmosflug, so hoffte man im SED-Zentralkomitee, werde »dem Stolz der Bürger auf ihr sozialistisches Vaterland, die Deutsche Demokratische Republik, neue Impulse verleihen«. Vielleicht war davon ja auch tatsächlich ein wenig spürbar. Motto: Mögen die im Westen den besseren Kaffee und auch Bananen haben – wir haben »unseren Sigg«!
Dessen Leistungen waren vergleichsweise unverfänglich, um die »unverbrüchliche Freundschaft« und das »fruchtbare allseitige Zusammenwirken« mit der Sowjetunion zu betonen. Werktätige aus Betrieben, Kombinaten, aus Instituten, Schulen, Schächten oder von Erntefeldern fühlten sich – oder wurden – animiert, neue Leistung im sozialistischen Wettbewerb zu versprechen.
Sogenannte Einzelpersönlichkeiten öffneten sich den Medien. Thomaskantor Hans-Joachim Rotisch beispielsweise betonte, er sei wie alle seine Chorknaben sehr interessiert an technischen Fragen. Er verfolgte in Leipzig trotz intensiver Proben für die neue Saison gespannt die Arbeit der Kosmonauten. Robert-Jean Longuet, ein Urenkel von Karl Marx, teilte von Paris aus die Freude der DDR-Bürger. Die Schlagersänger Peter Wieland und Dagmar Frederic grüßten die »Himmelsbrüder« mit ihren Liedern. Erich Hahn, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Rates für philosophische Forschung, fand eindrucksvoll viele weltanschauliche Positionen bestätigt, »die wir Marxisten hier auf dem zur Zeit in Düsseldorf stattfindenden Weltkongreß für Philosophie verfechten«.
Hermann Kant, ein in der DDR vielgelesener Autor, hatte als Delegationsmitglied Jähns Start »zu den Sternen« beobachtet und beschrieb
Der erste Deutsche im Weltall war ein Sozialist. Vor 40 Jahren flog der DDR-Bürger Sigmund Jähn in der Trägerrakete Sojus 31 zur sowjetischen Raumstation und blieb sieben Tage im Weltraum. Heute erinnern Namen von Straßen und Schulen an den Kosmonauten.
Nach der Ankopplung ihres Raumschiffes an die Station ließ sich die Umstiegsluke nicht öffnen. Erst als Bykowski sie mit den Füßen traktierte, war der Weg frei.