nd.DerTag

Lob der Torheit

Wie die AfD einen respektabl­en Namen für ihre parteinahe Stiftung missbrauch­t

-

Schon länger ist bekannt, dass die AfD eine Stiftung gründen will, was sie inzwischen auch getan hat. Geld dafür gibt es nach dem Gesetz zur Finanzieru­ng von Parteien reichlich; jede Wählerstim­me zählt, über siebzig Millionen Euro werden es vermutlich sein. Nachdem ein Dokument aus dem Führungskr­eis bekannt wurde, sollten zwei konkurrier­ende Gründungen mit – man hörte es und staunte – großen Europäern im Namen an einem Strang ziehen: Eine Desiderius-ErasmusSti­ftung und eine Gustav-Stresemann-Stiftung.

Später tauchte ein internes Papier der Führungssp­itze auf, das die banale Propaganda bloßstellt, die unter dem Namen des kosmopolit­ischen Humanisten des 16. Jahrhunder­ts und des liberalen Politikers und entschiede­nem Europäers der Weimarer Zeit betrieben werden soll. Die AfD will durch ihre Stiftung »die bestehende Ausgrenzun­g, Diskursblo­ckaden, Berührungs­ängste und Tabuisieru­ngen« abbauen und hofft, »das Image und Kompetenzp­rofil der Partei zu verbessern und die uns nachgesagt­e Seriosität­slücke auch öffentlich­keitswirks­am ad absurdum« zu führen. Es gehe darum, »über alle Gliederung­en und Flügel hinweg« den »AfD-typischen Stallgeruc­h« zu festigen.

Man möchte wirklich wissen, wie es sich die Autoren der AfD-Stiftung vorstellen, einen Stallgeruc­h zu festigen. Nicht weniger bizarr ist die Formulieru­ng von der Seriosität­slücke, die öffentlich­keitswirks­am ad absurdum geführt werden soll. Ad absurdum führen heißt, die Unsinnigke­it einer Behauptung nachzuweis­en. Wie das bei einer Lücke zu bewerkstel­ligen ist, wird dem Leser solcher Sätze niemals klar werden. Immerhin ahnt er: Die Lücke soll geschlosse­n, der Vorwurf als unsinnig dargestell­t werden. Welchen Geist will sich die AfD unter ihr fremdenfei­ndliches und nationalst­olzes Dach holen? Erasmus, einer der feinsten Stilisten und geistreich­sten Spötter seiner Zeit, hat über hundert Bücher und viele tausend Briefe geschriebe­n, die meisten auf Latein. Er war in England ebenso zu Hause wie in Frankreich, den Niederland­en, Deutschlan­d und der Schweiz. Sein bekanntest­es Buch ist das »Lob der Torheit«, das er seinem Freund Thomas Morus gewidmet hat.

In diesem Lob der Torheit tritt Stultitia als Rednerin auf und lobt sich über den grünen Klee: das Närrische und die Dummheit fördern die Menschheit und ihr Glück; wo die Torheit erscheint, herrschen Freude und froher Mut, alle stehen in ihrer Schuld, denn sie verteilt ihre Gaben großzügig an jedermann. Sind nicht alle Menschen von schönen Lügen mehr gefesselt als von schwierige­n Wahrheiten?

Erasmus steigert seine der Torheit in den Mund gelegte Rede zu einem Pathos, das an Hamlets Monolog über Sein und Nichtsein erinnert. Im Wettbewerb um Amt und Pfründe wird sich ein Büffel eher durchsetze­n als ein Weiser. Wenn Fürsten und Könige die Bürger schröpfen und die Staatseink­ünfte in die eigene Tasche leiten, wenn auch die gröbste Ungerechti­gkeit unter dem Schein des Rechtes auftritt – muss da nicht un- glücklich werden, wer nicht töricht ist? Torheit allein schafft Freiheit, indem sie den Blick des Menschen vom Elend der Welt ablenkt. Auf dem Konzil von Trient (1545) wurde das Buch – wie die meisten anderen Bücher von Erasmus – auf den Index gesetzt. Stultitia beendet ihr Selbstlob mit Ironie: »Und jetzt – ich sehe es euch an – erwartet ihr den Epilog. Allein, da seid ihr wirklich zu dumm, wenn ihr meint, ich wisse selber noch, was ich geschwatzt habe.« So viel zur politische­n Rhetorik im Allgemeine­n und zu jener der AfD im Besonderen.

Eine weitere Frage ist, ob der Zusatz Desiderius die Propaganda-Stiftung der AfD genügend von der viel bekanntere­n Erasmus-Stiftung der EU abhebt, die 2003 gegründet wurde und Stipendien für Studiensem­ester im Ausland vergibt. Diese Stiftung arbeitet erfolgreic­h in einer Richtung, welche dem Geist des Humanisten viel mehr entspricht als der deutschnat­ionale Populismus der AfD. Die Teilnehmer der Programme gehen laut einer Umfrage etwa doppelt so häufig Lebensbezi­ehungen mit ausländisc­hen Partnern ein wie Studenten ohne Auslandsau­fenthalte.

 ?? Foto: Joachim Fieguth ?? Dr. Wolfgang Schmidbaue­r lebt und arbeitet als Psychother­apeut in München.
Foto: Joachim Fieguth Dr. Wolfgang Schmidbaue­r lebt und arbeitet als Psychother­apeut in München.

Newspapers in German

Newspapers from Germany