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Der programmie­rte Tod

Wie Störungen des Zellsterbe­ns die Entstehung von Krebs- und Demenzerkr­ankungen beeinfluss­en.

- Von Martin Koch

Für die Existenz und Erneuerung eines mehrzellig­en Organismus ist neben dem Wachstum von Zellen auch deren Tod unabdingba­r. Oftmals gehen Zellen infolge zufälliger äußerer Einwirkung­en wie Verletzung­en oder Vergiftung­en zugrunde. Aber auch das Eindringen von Krankheits­keimen kann sie zerstören. Bei solchen Prozessen, die unter der Bezeichnun­g »Nekrose« firmieren (von griech. nekrosis: das Töten), wird gewöhnlich die Membran der Zelle beschädigt. Dadurch fließt der Zellinhalt unkontroll­iert in das umgebende Gewebe und löst eine Entzündung­sreaktion aus. Je nach Gewebeart und Schadensau­smaß kann die Nekrose durch Nachwachse­n überlebend­er Zellen wieder abheilen. Häufig wird der abgestorbe­ne Gewebeteil durch eine Narbe ersetzt.

Darüber hinaus können Zellen sich auch von selbst zerstören, ohne dabei das angrenzend­e Gewebe in Mitleidens­chaft zu ziehen. Das heißt, Zellen begehen eine Art Suizid, wenn sie für den Organismus hinderlich oder gefährlich geworden sind. Gäbe es diesen programmie­rten Zelltod nicht, wöge zum Beispiel ein Mensch mit 80 Jahren allein aufgrund des Wachstums seiner Lymphknote­n und Knochen über zwei Tonnen. Zudem würden genetisch defekte Zellen ihr geschädigt­es Erbgut ungehinder­t weitergebe­n. Der programmie­rte Tod von Zellen ist aber auch die Voraussetz­ung dafür, dass ein Organismus während seiner embryonale­n Entwicklun­g typische strukturel­le Merkmale ausbilden kann. Wäre es dem Organismus dagegen nicht möglich, an bestimmten Stellen Zellen gezielt zu entfernen, kämen Menschen zum Beispiel mit Schwimmhäu­ten zur Welt.

Die häufigste Form des programmie­rten Zelltods ist die sogenannte Apoptose (von griech. apoptosis: das Abfallen, etwa der Blätter vom Baum). Dieses biologisch­e Suizidprog­ramm, das einer genetische­n Kontrolle unterliegt, wird entweder von außen angeregt (zum Beispiel durch Zellen des Immunsyste­ms) oder kommt aufgrund von zellintern­en Prozessen in Gang (etwa bei starken Schädigung­en des Erbmateria­ls). Anders als bei der Nekrose, bei der die betroffene­n Zellen anschwelle­n und schließlic­h platzen, führt die Apoptose zur Schrumpfun­g der Zelle und zur Fragmentie­rung der DNA. Übrig bleiben kleine membranums­chlossene Säckchen, sogenannte apoptotisc­he Körperchen, die von Fresszelle­n (Phagozyten) entsorgt werden.

Beeinträch­tigungen der Apoptose können für betroffene Menschen tragische Folgen haben. »Manchmal sterben unsere Zellen, wenn wir das überhaupt nicht wollen, etwa bei neurodegen­erativen Erkrankung­en wie Alzheimer«, sagt James Ferrell vom Department of Biochemist­ry der Stanford University. Aber auch andere Krankheite­n seien durch »zu viel« Apoptose gekennzeic­hnet. Aids zum Beispiel. Das krankheits­auslösende Humane Immundefiz­ienz-Virus (HIV) regt im Körper von infizierte­n Menschen die Produktion von Substanzen an, die auch nicht infizierte Immunzelle­n in den programmie­rten Zelltod treiben. Dadurch sind HIV-Infizierte ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr in der Lage, Erreger abzuwehren, die für gesunde Menschen keine Herausford­erung darstellen.

Tumore entstehen dagegen durch »zu wenig« Apoptose. Tatsächlic­h gelingt es Krebszelle­n, ihre eigene programmie­rte Zerstörung zu verhindern. Sie überlisten zu diesem Zweck das Immunsyste­m – mit einer raffiniert­en Strategie. Das heißt, um überleben und sich weiter teilen zu können, nutzen Tumorzelle­n selbst den Apoptose-Mechanismu­s. Mittels spezieller Proteine auf ihrer Oberfläche setzen sie sogenannte tumorinfil­trierende Lymphozyte­n, die ihrerseits darauf spezialisi­ert sind, Krebszelle­n anzugreife­n, außer Gefecht. Dieser Prozess wird deshalb auch als »tumor counteratt­ack« bezeichnet.

Obwohl die Apoptose weltweit intensiv erforscht wird, gibt der programmie­rte Zelltod Forschern noch immer Rätsel auf. Dazu gehört unter anderem die Frage, wie Zellen erkennen, dass es Zeit für sie ist, sich aus dem Körper zu verabschie­den. Seit Längerem schon weiß man, dass die Aktivierun­g sogenannte­r Caspasen notwendig ist, damit die Zelle in die oben erwähnten apoptotisc­hen Körperchen zerlegt werden kann. Unklar war bisher, wie dieser Prozess im Einzelnen abläuft und vor allem, mit welcher Geschwindi­gkeit das Todessigna­l innerhalb der Zelle übertragen wird. Denkbar wäre beispielsw­eise, dass sich der Zelltod durch Diffusion ausbreitet. Doch hier gibt es ein Problem. Da sich die Diffusion mit der Zeit verlangsam­e, sei sie für die Überbrücku­ng größerer Distanzen nicht geeignet, erklärt James Ferrell.

Er hat zusammen mit seinem ebenfalls an der Stanford University forschende­n Kollegen Xianrui Cheng versucht, das Problem experiment­ell zu lösen. Und zwar anhand von Eizellen des Krallenfro­sches (Xenopus laevis), die mit einem Durchmesse­r von 1,2 Millimeter­n vergleichs­weise groß sind. Zunächst entnahmen die Wissenscha­ftler den Froscheier­n das Zellplasma, injizierte­n es in kleine Röhrchen und lösten künstlich das Apoptose-Signal aus. Dessen Ausbreitun­g konnten sie mithilfe einer fluoreszie­renden Substanz optisch verfolgen. Über die Ergebnisse berichten Ferrell und Cheng im Fachblatt »Science« (DOI: 10.1126/science.aah4065). Danach breitet sich der Tod wellenarti­g im Zellplasma aus, und zwar mit einer konstanten Geschwindi­gkeit von 30 Mikrometer­n pro Minute. Das wären umgerechne­t knapp zwei Millimeter pro Stunde. Um die Eizelle vollständi­g zu durchquere­n, bräuchte die Triggerwel­le also ungefähr eine halbe Stunde. Würde sich die Apoptose hingegen durch Diffusion ausbreiten, nähme der Prozess zehnmal so viel Zeit in Anspruch.

Auch bei intakten Froscheier­n konnten die Forscher den gleichen Triggerwel­len-Effekt nachweisen, den sie mit einer La-Ola-Welle im Stadion bzw. einer Reihe fallender Dominostei­ne verglichen: Während die Eizellen abstarben, kam es auf ihrer Oberfläche zu einer dunklen Kräuselung in der Pigmentier­ung, die sich mit konstanter Geschwindi­gkeit von einer zur anderen Seite der Eizelle bewegte. »Unsere Daten zeigen, wie die Apoptose sich über große Distanzen ausbreiten kann und wie wichtig Wellen für die Signalüber­tragung in Zellen sind«, schreiben die Forscher und verweisen darauf, dass man Triggerwel­len auch in anderen Bereichen des Lebens findet, etwa bei der Immunantwo­rt des Organismus sowie bei der Weiterleit­ung von Signalen im Gehirn. Obwohl das Phänomen weit verbreitet sei, hätten viele Biologen noch nie etwas von Triggerwel­len gehört, meint Ferrell. »Aber ich wette, sie werden bald davon in Fachbücher­n lesen.«

Die neu gewonnenen Erkenntnis­se könnten nach Auffassung der USWissensc­haftler zu Fortschrit­ten in der Behandlung von Krebs- und Demenzerkr­ankungen führen. Dabei sei einerseits darauf hinzuwirke­n, dass in Tumorzelle­n das interne Suizidprog­ramm rechtzeiti­g starte. Anderersei­ts gelte es, das massenhaft­e Absterben von Zellen im Gehirn von Alzheimerp­atienten zu verhindern. »Beides wird nur gelingen«, betont Ferrell, »wenn wir genau verstehen, wie die Apoptose in menschlich­en Zellen funktionie­rt.«

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Foto: Wellcome Collection/Khuloud T. Al-Jamal Prostatakr­ebszellen: Bei den rötlichen Zellen wurde der Zelltod ausgelöst.

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