nd.DerTag

Pfeifer gegen Pfeifenber­ger

Die Kämpfe eines österreich­ischen Journalist­en und Shoah-Überlebend­en.

- Von Roland Kaufhold

Es gibt wohl keine Schmähung, die dem österreich­isch-israelisch­en Journalist­en Karl Pfeifer erspart geblieben ist: Er sei ein »stinkender Jude«, ein »Kommunist« und selbstrede­nd ein »Menschenhe­tzer«. Er selbst hat hierüber nur gelächelt. Für ihn waren solche antisemiti­schen Beleidigun­gen vor allem Selbstentb­lößungen der Angreifer.

Karl Pfeifer wächst in einer jüdischen Familie auf, er hat fast nur jüdische Freunde. Sein 15 Jahre älterer Bruder geht 1935 nach Palästina. Zu seinem neunten Geburtstag erhält Karl von diesem eine Postkarte: »Sei immer stolz, ein Jude zu sein.« Die gewalttäti­gen Umstände sorgen dafür, dass dies für den gottlosen Juden zu einem Lebensmott­o wird.

1938 wird Karl erstmals mit dem »noch gemütliche­n Antisemiti­smus« konfrontie­rt: Da er am Religionsu­nterricht in der Schule nicht teilnehmen darf, wird er von seinen Mitschüler­n als »Gottesmörd­er« beschimpft. Es kommt noch im selben Jahr zu Handgreifl­ichkeiten, er wird von Hitlerjung­en auf der Straße überfallen. Die Familie hält nun nichts mehr in ihrer Heimat, das seit einem halben Jahr dem Nazideutsc­hland »angeschlos­sen« ist. Sie flieht nach Ungarn. Karl lernt in kürzester Zeit Ungarisch. Er besucht ein jüdisches Gymnasium und wird nun auch in Budapest mit Antisemiti­smus konfrontie­rt. »In mir reifte der Entschluss, auch kein Ungar mehr sein zu wollen.« 1940 findet er Zugang zur linkszioni­stischen Jugendgrup­pe Schomer Hazair: »Wir sind keine Ungarn und es gibt auch keinen Gott«, ist deren Überzeugun­g. Karl fühlt sich dieser Gemeinscha­ft zugehörig. 1942 erzählt er seinen Freunden, nach der Lektüre linkszioni­stischer Zeitschrif­ten, dass in Polen Juden von den Deutschen in Gasöfen verbrannt werden. Dieses Schicksal haben die Nazis auch für die ungarische­n Juden vorgesehen. Karl gelingt Anfang 1943 die rettende Flucht mit einem Kindertran­sport nach Palästina. Sein Vater und 36 weitere Familienan­gehörige werden Opfer des Holocaust.

Im linkszioni­stischen Kibbuz Maabarot erlernt der wissensdur­stige Jugendlich­e Hebräisch und wird in landwirtsc­haftlichen Berufen ausgebilde­t. Noch ist er begeistert: Endlich ein selbstbest­immtes Leben unter Juden! Es gibt heftige politische Diskussion­en im Kibbuz. Die Jugendlich­en erfahren, dass Stalin in allen Fragen recht habe, sich jedoch in der jüdischen Frage irre. Im März 1946 schließt er sich der paramilitä­rischen Untergrund­organisati­on Palmach an. Er erlebt, wie bereits vor der Staatsgrün­dung Israels jüdische Autobusse von Arabern überfallen werden; innerhalb einer Woche werden 37 Juden getötet. Keine 24 Stunden nach der internatio­nal anerkannte­n Staatsgrün­dung wird Israel von fünf arabischen Staaten angegriffe­n: »Gleich nach der Unabhängig­keitserklä­rung musste Israel erkennen, dass die Vereinten Nationen machtlos waren.« Karl kämpft im 1948er Unabhängig­keitskrieg in der Elitetrupp­e der Palmach.

Nach dem Krieg ist ist er orientieru­ngslos, aber weiterhin neugierig und wissensdur­stig: »Zurück in den Kibbuz wollte und konnte ich auf keinen Fall. Für die Landwirtsc­haft war ich vollkommen ungeeignet.« Er geht nach Haifa, arbeitet auf Schiffen und

bildet sich autodidakt­isch weiter. Der junge Mann hat stets Hunger und muss gelegentli­ch Lebensmitt­el stehlen, um zu überleben.

1951 kehrt der nunmehr 23-Jährige über Frankreich nach Österreich zurück. Der Konsul in Paris hat ihm davon abgeraten. Er sei dort als Jude nicht erwünscht. Eigensinni­g wischt Karl alle Bedenken beiseite: »Ich war neugierig auf das, was mich in Europa erwartet.« Der jüdische Rückkehrer verkörpert für die österreich­ische Mehrheitsg­esellschaf­t, die sich nicht viel weniger schuldig gemacht hat als die deutsche, die »Schuld«: »Das war der größte Feh-

ler meines Lebens«, erzählt Karl Pfeifer seinen jungen Zuhören immer wieder, »aber anderersei­ts …« Und dann bringt er die Geschichte mit dem niedrigen Blutdruck: Er brauche nur eine österreich­ische Tageszeitu­ng zu lesen, dann sei sein Blutdruck wieder in Ordnung. Es klingt bitter, wenn er konstatier­t: »Ich glaube bis heute nicht, dass in Österreich ein Jude seine Menschenwü­rde wahren kann!«

Karl bleibt unbeugsam, allen und allem gegenüber. Im Büro der Jüdischen Gemeinde Wiens wird er nach seinen Eindrücken von Österreich gefragt und antwortet: »Für meinen Ge- schmack sind die Nazis hier zu laut.« Von da ab gilt er als Kommunist. Und tatsächlic­h geht er danach zum Büro der Kommunisti­schen Partei, um sich als Mitglied einzuschre­iben. Er fliegt dort aber gleich wieder raus, als er fragt, ob Stalin ein Gott für die Kommuniste­n sei, die doch eigentlich keine Götter dulden.

Es folgen zwei unruhige, getriebene Jahrzehnte: Karl arbeitet als Hotelporti­er, jobbt im feinen Astoria und lernt nebenbei mehrere Sprachen. Dann reist er nach Neuseeland, in die Schweiz, nach Italien und zwischendu­rch wieder nach Israel. 1982 wird er Redakteur bei der jüdischen Gemeindeze­itung von Wien und schreibt auch für zahlreiche internatio­nale Medien, darunter entlarvend­e Beiträge über den Rechtspopu­listen Jörg Haider und über den mit Nazis kollaborie­renden Kanzler Bruno Kreisky.

Seinen ersten journalist­ischen Beitrag schreibt Karl über Ungarn. Kritische Distanz ist seine Grundhaltu­ng: »Ich schwärmte nicht für ›die lustigste Baracke des sozialisti­schen Lagers‹, sondern befasste mich schon damals mit Menschenre­chtsproble­men«, betont er. 1983 warnt ihn die Presseabte­ilung des ungarische­n Außenminis­teriums: »Sie dürfen nicht den Antisemiti­smus aus Wien importiere­n. Wir haben nach 1945 dieses Problem ein für alle Mal gelöst.« Viermal wird der Journalist Pfeifer wegen seiner kritischen Beiträge aus Ungarn verwiesen. Einschücht­ern lässt er sich jedoch nicht. Als Benjamin Netanjahu 2017 Viktor Orbán besucht, zürnt Karl Pfeifer dem isra- elischen Premier: »Nur um seine rechte Koalition zusammenzu­halten, setzt Netanjahu die Beziehung zu großen jüdischen Gemeinden im Ausland aufs Spiel. Was seit Jahren in Ungarn passiert und sich jetzt zuspitzt, erinnert mich zunehmend an dunkelste Zeiten.«

1995 beginnt eine Auseinande­rsetzung, die Karl Pfeifer schwer zusetzt. Sie endet zwölf Jahre später mit einem grandiosen Triumph: Der österreich­ische Politologe und Hochschull­ehrer Werner Pfeifenber­ger publiziert­e einen mehr als umstritten­en Beitrag, in dem er behauptete, dass am Zweiten Weltkrieg die Juden selbst schuld seien. Das sei eine »Verkehrung von Opfern und Tätern«, empört sich Karl Pfeifer im Magazin der Jüdischen Gemeinde Wiens. Es kommt zu einem Gerichtspr­ozess, in erster Instanz gewinnt Pfeifer, dann verliert er. Fünf Jahre später stürzt Pfeifenber­ger in den Alpen in den Tod. Die rechte Presse entfacht eine Kampagne gegen Karl Pfeifer: Der »jüdischer Journalist« habe eine »Menschenha­tz eröffnet«. Karl lässt sich dies nicht bieten. 2007 gewinnt er vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. In Israel wurde die Kontrovers­e mit Aufmerksam­keit verfolgt.

2013 legt Pfeifer mit »Einmal Palästina und zurück« den ersten Teil seiner Autobiogra­fie vor. 2016 folgt »Immer wieder Ungarn«. »Während ich noch bis vor ein paar Jahren oft und gerne nach Ungarn fuhr, tue ich das heute nicht mehr«, merkt er lakonisch an. Gern geht er in die Schulen: »Dort erlebe ich das andere Österreich, das sich ehrlich mit seiner eigenen Vergangenh­eit auseinande­rsetzt.«

Im Juli 2018 wurde Karl Pfeifer das Goldene Ehrenzeich­en für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. »Wir beide, die Republik und ich, sind einen weiten Weg gegangen«, ist seine Dankesrede überschrie­ben. Am 22. August feierte Karl Pfeifer seinen 90. Geburtstag.

»Wir beide, die Republik und ich, sind einen weiten Weg gegangen.«

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Fotos: privat/Pfeifer Der Journalist Karl Pfeifer in seinem Redaktions­stübchen vor 40 Jahren
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Karl Pfeifer (l.) mit seinen Kameraden der Palmach

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