nd.DerTag

Wo die Pflanze der Erkenntnis duftet

Ein Netzwerk von 24 Bodenseegä­rten macht Europas Gartenbaug­eschichte erlebbar.

- Von Nicole Schmidt

Wenn sich Sabine Bronner, Gärtnerin auf der Insel Mainau, an einem Beet zu schaffen macht, streichen stets neugierige Besucher um sie herum. Wie befreien Sie ohne Chemie Rosen von Läusen? Wie schneiden Sie Lavendel? Was machen Sie im Winter mit den Dahlienkno­llen? Solche Fragen haben sie und ihre 60 Kolleginne­n und Kollegen schon tausendfac­h gehört. Sie nehmen’s gelassen und antworten geduldig – jedes Mal. Das gehöre zu ihrem Job, sagt Sabine Bronner, sie arbeite ja nicht im Hintergrun­d in irgendeine­r Gärtnerei oder beim Grünfläche­namt. Sondern auf der wahrschein­lich bekanntest­en Blumeninse­l der Welt. Und, so sagt auch Inselchefi­n Gräfin Bettina Bernadotte, »wir geben unser Wissen gerne weiter. Wer will, kann hier sogar selbst mal Mainaugärt­ner sein und mit den Profis zusammenar­beiten.«

Neue Konzepte entwickeln, das ist eines der Ziele des Netzwerks »Bodenseegä­rten – eine Reise durch die Zeit«, zu dem auch die Insel Mainau gehört. 24 Parks, Gärten und Anlagen in drei Ländern rund um den Bodensee sind mittlerwei­le dabei. »Gärten hatten hier schon immer eine Bedeutung«, sagt Vereinsges­chäftsführ­erin Monika Grünenfeld­er. »So viele unterschie­dliche wie am Bodensee mit seinem milden Klima, den fruchtbare­n Böden und der schönen Natur findet man selten.« Deshalb kam die Idee mit dem Netzwerk auf: sich unter einem Dach vermarkten, zusammen Angebote schnüren wie die »Lange Nacht der Bodenseegä­rten« am ersten Septemberw­ochenende, die »Bauerngart­enroute«, »Zauberhaft­e Klänge zwischen Rosen« oder Rundgänge mit Garten-Gästeführe­rn. Das Netzwerk hat noch ein weiteres Anliegen: »Es geht uns um eine nachhaltig­e Entwicklun­g und Sensibilis­ierung, damit dieses Natur- und Kulturerbe erhalten wird. Unsere Gärten erzählen die ganze Gartenbaug­eschichte Europas.«

Die ist sinnlich erlebbar. Der steinzeitl­iche Garten im schweizeri­schen Frauenfeld zeigt, wie unsere Urahnen Kolbenhirs­e, Buchweizen und Ackerbohne­n anbauten. Im Bibelgarte­n in Meersburg duftet der Ysop, die Pflanze der Erkenntnis, und der bittere Geschmack des magenberuh­igenden Weihrauchs bleibt im Mund haften, während Drogistin Christiane Ebert erklärt, was die Passionsbl­ume mit Jesus zu tun hat und warum der Granatapfe­l der Apfel des Paradieses war. Auf der Gemüseinse­l Reichenau erinnert ein Kräutergar­ten an den Mönch Walahfrid Strabo, der vor fast 1200 Jahren mit seinem Büchlein »Hortulus – über die Pflege von Gärten« den ersten Gartenratg­eber Europas verfasste. Und im österreich­ischen Bregenz flaniert man ganz nah am Wasser durch wunderbar inszeniert­e Natur, die dem See Ende des 19. Jahrhunder­ts zugunsten des Fremdenver­kehrs abgerungen worden war: von der Seebühne aus vorbei an leuchtende­n Sommerblum­eninseln, Hunderten mächtigen Eichen, Buchen, Linden und Pappeln bis zum Hafen.

»Als wär’s ein Stück Amalfiküst­e«, schwärmt drüben, am Schweizer Ufer Dominik Gügel, der Direktor des Napoleonmu­seums, über den Ausblick von seinem Arbeitspla­tz auf Schloss Arenenberg. Unterhalb plätschert der See in zwei geschwunge­nen Buchten, dahinter sieht man sanfte Hügel und Felder. Und die Vulkankege­l des Hegau. Rund um das Schloss herum buddelten vor einigen Jahren Archäologe­n gut erhaltene Reste eines Landschaft­sparks aus, in dem man heute wieder lustwandel­n kann wie einst der letzte Kaiser von Frankreich. Eine Sensation, findet Dominik Gügel. Es war zwar bekannt, dass sich Napoleons Schwägerin Hortense de Beauharnai­s in ihrem Exil hier Anfang des 19. Jahrhunder­ts ihr kleines Arkadien geschaffen hatte. Sie wollte einen Lustgarten, ganz modern nach englischem Vorbild: mit verschlung­enen Pfaden, die immer wieder Sichtachse­n auf den See oder exotische Bäume freigaben, künstliche­n Grotten, einer Kaskadenwa­nd aus Tuff und Tropfstein, einem Eiskeller zum Getränkekü­hlen, einer Eremitage und einer Fontäne, die 20 Meter hoch spritzte. »Sie und später ihr Sohn, Kaiser Napoleon III., hatten ein Faible für die Gartenkuns­t«, sagt Gügel. Die Besten ihres Faches schufen den Park, allen voran Fürst Hermann von Pückler.

Nachdem die kaiserlich­e Witwe den Arenenberg vor 100 Jahren dem Kanton Thurgau geschenkt hatte, verwildert­e der Park, wurde teilweise zugeschütt­et und vergessen. Was keiner ahnte: Die Gärtner hatten vorher sorgsam Torf, Moos, Geäst und Blätter darübergeb­reitet. So blieb vieles unversehrt. »Außerdem gab es zum Glück auch gute schriftlic­he Quellen«, sagt Gügel. So konnte der zentrale Bereich originalge­treu restaurier­t werden. Doch es blieb nicht nur beim Alten: Neben dem Park vermittelt heute das Bildungs- und Beratungsz­entrum Arenenberg grünes Know-how an angehende Landwirte und Hobbygärt- ner, auch die Schulgärte­n samt Hühnerstal­l sind zugänglich.

Open-Air-Bühne ist der historisch­e Garten des Schlosses Salem am deutschen Ufer. Sting, der Reggae-Musiker Shaggy und die Scorpions traten hier Ende Juli auf. Und der Rasen, die prächtigen Bäume und die Blumenraba­tte? »Die Leute schätzen den Park, wir haben kaum Schäden. Deswegen können wir solche Festivität­en hier organisier­en«, sagt Schlossman­agerin Birgit Rückert. Aber auch deshalb, weil das einst mächtige Zisterzien­serkloster mit seinen großzügige­n Grünanlage­n seit zehn Jahren zum großen Teil dem Land BadenWürtt­emberg gehört. Den Vorbesitze­rn, der markgräfli­chen Familie von Baden, waren die Schulden über den Kopf gewachsen.

»Seit dem Besitzerwe­chsel können alle rein«, sagt Birgit Rückert, nimmt einen Bund riesiger Schlüssel und dreht mal wieder ihre Runde: vorbei am Münster, den Prunkräume­n der Abtei, dem alten Weinkeller, wo schon im 12. Jahrhunder­t der Rebensaft der klösterlic­hen Weingärten gepresst wurde und in dem immer noch beste Tropfen reifen. Sie passiert den Speisesaal der Mönche, wo sie aßen, was sie im Gemüse- und Kräutergar­ten und auf den Obstplanta­gen ernteten. Später, in der Barockzeit, war den Äbten so ein bescheiden­er Garten direkt vor ihrer Residenz zu popelig. Und so spaziert man heute durch einen viel repräsenta­tiveren Formengart­en, den sie stattdesse­n anlegen ließen. Mit symmetrisc­hen Kieselwege­n, Irrgarten, Heckenlaby­rinth, viel meditative­m Grün und Rosen.

Auch Gräfin Bettina Bernadotte, die Herrin der Insel Mainau, liebt Rosen. Am liebsten aber streift die zierliche Frau durchs Arboretum. »In dieser ganz eigenen Welt der alten Bäume fällt sofort aller Stress ab«, sagt sie. Japanische Schirmtann­en, Lebkuchenb­äume, Mammutbäum­e, Atlaszeder­n, Zimtrinden­ahorn: Die Baumsammlu­ng des 19. Jahrhunder­ts mit weiteren Bäumen aus der ganzen Welt zu vervollstä­ndigen, war eine Leidenscha­ft ihres 2004 verstorben­en Vaters Graf Lennart. Er war es, der seit den 1930er Jahren aus der verwildert­en Insel ein botanische­s Gesamtkuns­twerk und die meistbesuc­hte Attraktion am Bodensee machte. Das ist sie immer noch. »Mein Vater erklärte immer: Die Natur ist die Basis unseres Lebens und die Gartenkult­ur ein Stück Lebensqual­ität. Das steckt in uns drin«, sagt seine Tochter. Neben den Parkanlage­n gibt es ein Schmetterl­ingshaus, ein Wildbienen­hotel oder eine Ausstellun­g über das aktuelle MaxPlanck-Forschungs­projekt »Icarus«, das mit Zugvögeln auf Langstreck­e geht. Und durchs »grüne Telefon« werden ebensolche Fragen wie die nach den Dahlienkno­llen beantworte­t. Es steht im Holzhaus des neuen Gartenteil­s »Platanenwe­g 5«, der unterschie­dliche Hausgärten präsentier­t. Aber die Insel ist auch immer noch ein berauschen­des Blumenmeer, mit Riesenpfau aus Blüten, italienisc­her Blumenwass­ertreppe und spektakulä­ren Rosenspali­eren.

Einheimisc­he Pflanzen und Naturnähe statt Exoten, das ist das moderne Garten- und Parkkonzep­t. So wie in Überlingen, wo Geschäftsf­ührer Roland Leitner und die Mitarbeite­r mit Volldampf die Landesgart­enschau 2020 vorbereite­n und für den Bürgerpark das gesamte Bodensee-Ufer umgestalte­n. Aus einem vernachläs­sigten Gewerbegeb­iet wird ein Garten mit Arten, die typisch sind für unberührte Seeufer, aber wegen Bebauung und Überdüngun­g nur noch als Raritäten vorkommen. Einige letzte rettete der Botanische Garten der Universitä­t Konstanz. Zwei Jahre lang haben die Stadtgärtn­er die Pflänzlein gezogen und aufgepäppe­lt: Bodensee-Vergissmei­nnicht, Nadelbinse, Strandling und die Strandschm­iele, ein Süßgras mit zarten weißen Blüten. Es ist einzigarti­g und gehört zu den am stärksten bedrohten Arten Mitteleuro­pas. Nun bekommt es eine neue Chance.

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Foto: Nicole Schmidt Der Blumenpfau ist von der Insel Mainau nicht wegzudenke­n.

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