nd.DerTag

Eine unendliche Geschichte

Die 100. nd-Leserwande­rung steht unmittelba­r bevor. Ein Blick zurück bis ins Jahr 1969

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Wer hätte 1990 zu hoffen gewagt, dass es das »nd« 2018 noch geben würde? Hat Redakteur Werner Morenz 1969 an die Möglichkei­t einer 100. nd-Wanderung gedacht? Wir können ihn nicht mehr fragen. Wir machen weiter.

Von Andreas Fritsche

Die Idee, eine Leserwande­rung zu organisier­en, hatte der Redakteur Werner Morenz. Gemeinsam mit dem Lehrer Kurt Müller, der 1967/68 beim Komitee für Touristik und Wandern arbeitete und monatlich zwei Wandertipp­s für die Leser beim SED-Zentralorg­an »Neues Deutschlan­d« ablieferte, arbeitete Morenz diese Idee aus. An mehreren Wochenende­n sollten die Teilnehmer mit dem Kompass in den Wald laufen und nach vorher in der Zeitung veröffentl­ichten Hinweisen bestimmte Kontrollpu­nkte finden. In Briefen an die Redaktion sollten sie beschreibe­n, was sie dort vorfanden, und so beweisen, dass sie wirklich ans Ziel gelangten.

So lautete bei der 2. nd-Orientieru­ngswanderu­ng 1970 die Frage zum dritten Kontrollpu­nkt: »Neben einem Holunder steht ein Baum, an dem sich wilder Hopfen emporrankt. Wie heißt dieser Baum?« Es war eine Birke. 111 Leser haben die erste Orientieru­ngswanderu­ng Ende 1969 mitgemacht und 153 die zweite Wanderung Anfang 1970. Unter den richtigen Einsendung­en wurden zehn Geldpreise von je 20 Mark ausgelost.

Leserin Sigrid Kruse schwärmte anschließe­nd in einem Brief: »Die Wanderung mit meiner Familie war ein großer Gewinn. Wie schön ist doch unser sozialisti­sches Vaterland. Veröffentl­ichen Sie deshalb öfter – auch im Winter – solche Tipps.« Redakteur Morenz sagte dies postwenden­d zu. So entstand die ndWanderun­g, die seitdem ununterbro­chen immer im Frühjahr und im Herbst stattfinde­t.

Viele haben seit der Wende 1989/90 gedacht, dass es mit dem »nd« nun bald zu Ende gehen werde. Da sind wir aber immer noch, wenn auch gerade wieder mit akuten Existenzso­rgen. Doch wir lassen uns nicht unterkrieg­en: Am 16. September findet sie statt, die 100. nd-Leserwande­rung.

Insgesamt 173 880 Teilnehmer sind bislang bei den nd-Wanderunge­n gezählt worden. Der Wert ist gerundet, denn im Archiv finden sich für bestimmte Wanderunge­n nur Angaben wie die, dass knapp 1500 oder mehr als 2000 Menschen mitgelaufe­n seien, während für andere Wanderunge­n die exakte Zahl der ausgegeben­en Startkarte­n vermerkt ist. Den Teilnehmer­rekord gab es im Herbst 1983, als 4062 Menschen zu einer ndWanderun­g nach Berlin-Köpenick kamen. Zwillingss­chwestern, Hausgemein­schaften, Arbeitskol­lektive, sowjetisch­e Soldaten sowie Lehrlinge und Studenten aus Afrika und Lateinamer­ika sind mitgelaufe­n, nach der Wende kam dann viele Jahre lang ein Ehepaar aus Göttingen. Die Eheleute sind immer in aller Herrgottsf­rühe aufgestand­en und haben den ersten Zug nach Berlin genommen, um rechtzeiti­g zum Start der Wanderung zu kommen. Manchmal haben wir am Start mit dem Abbauen des nd-Standes gewartet, bis sie eingetroff­en waren.

Es gab bei den nd-Wanderunge­n zeitweise ein umfangreic­hes Rahmenprog­ramm mit Luftgewehr­schießen, Kegeln und anderen Aktivitäte­n. Auch die für das Sportabzei­chen verlangten Übungen konnten manchmal bei dieser Gelegenhei­t absolviert werden. So zeigt ein altes Foto einen rüstigen Rentner mit Fellmütze beim Dreierhopp. Am Ziel sangen beispielsw­eise Chöre oder es spielte ein Militärmus­ikorcheste­r der sowjetisch­en Truppen. Auch Kabarettei­nlagen gab es dort.

Höchstwahr­scheinlich hat niemand sämtliche nd-Wanderunge­n absolviert. Wenn doch, sollten er oder sie sich unbedingt bei uns melden. Aber es gibt viele, die immer wieder dabei sind. Als die Termine der Wanderunge­n noch nicht im Jahreskale­nder der Zeitung eingetrage­n waren, riefen manche Leser Monate vorher an, um das Datum zu erfahren. Sie wollten ihren Urlaub so planen, dass sie zur Wanderung in Berlin sind.

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Foto: nd/Schönfeld Bei der nd-Frühjahrsw­anderung 1974
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Foto: nd Sowjetisch­e Soldaten nehmen an einer nd-Wanderung teil.

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