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Über die Sammlungsbewegung, Kleiderfragen und linke Medien
Meine Mutter war 18, als Krieg, Naziherrschaft und Holocaust vorbei waren. Trotzdem hatte sie zeitlebens ein schlechtes Gewissen gegenüber allen (!) Juden; mit ihr konnte ich über fast alles reden, nicht aber darüber, dass dieses schlechte Gewissen auch missbraucht wurde, von den USA (alle Botschafter bis einschließlich Kornblum; eine Nachama, gebürtige US-Amerikanerin, steht einem Berliner College vor, das US-amerikanische Werte vertritt), vom Zentralrat der Juden (s. die Kritik von Ruth Galinski, der zweiten Ehefrau von Heinz Galinski, den ich in seiner Zeit als ersten Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Berlins sehr geachtet habe).
Auch in den USA gab es einen merklichen Antisemitismus – bis die Gräuelnachrichten über den Holocaust Allgemeingut wurden. Als ich 1995/96 an der University of Illinois at Urbana-Champaign weilte, sagte mir ein Kollege, dass es bereits wieder einen Antisemitismus gäbe, allerdings sehr verhalten. Von alledem ist bei Volker Beck keine Rede.
»Zu den Klassikern des modernen Antisemitismus gehören Verschwörungstheorien: Hinter den Mächtigen in Staat und Wirtschaft stehen demnach die angeblich eigentlich Mächtigen. Die Rothschilds, Rockefellers, Soros’ werden als Machtinhaber fantasiert. Sie seien die Puppenspieler, die Merkels, Macrons und Mays nur ihre Marionetten.« Hier ist Beck offensichtlich Opfer des Tabus der Politischen Ökonomie in (West-)Deutschland.
»Linke wie rechte Antisemiten raunen gern von einer jüdisch imaginierten kapitalistischen Übermacht und von einer vermeintlichen jüdischen Weltherrschaft.« Richtig ist, dass die Ausgrenzung der Juden aus den Zünften diese in die Geldwirtschaft gedrängt hat und die wohlhabenden Juden in den USA dafür sorgen, dass Israel lebensfähig bleibt, un- abhängig von der menschenrechtswidrigen Siedlungspolitik Israels. Auch das wird von Beck nicht thematisiert.
Becks Zitate von Gerichtsurteilen lassen mich nicht nachvollziehen, ob der Antisemitismus-Vorwurf schwerwiegender ist als der Antisemitismus selbst. »Er beginnt nicht mit der massenhaften Ermordung der europäischen Juden. Der Holocaust war der verbrecherische Höhepunkt der abendländischen Geschichte des Antisemitismus, nicht ihr Anfang.« Das stimmt mit meinem Schulwissen überein. Es ist trotzdem nicht der versuchte Genozid, der alle anderen Genozide überragt und somit die Juden als ausgezeichnetes Volk (ein Schelm, der Parallelen zum Nazi-Rassismus zieht!) und Israel als Staat der Juden rechtfertigt. Die Erfindung des Holocaust als Rechtfertigung der Existenz Israels im Jahre 1979 ist genauso fragwürdig wie die Erfindung des Sowjetmenschen im Jahre 1977 als Sinnstiftung, weil die Berufung auf den Sieg im 2. Weltkrieg nicht länger fruchtete. Weder die Deutschen noch die Juden: Kein Volk ist ein »auserwähltes« oder »Herrenvolk«, das sollte Beck deutlich artikulieren.
Peter Enders, Königs Wusterhausen
Zu »Antisemiten, die keine sein wollen«, 25.7., S. 4; online: dasND.de/1095343
Zu »Wagenknechts Projekt nimmt Gestalt an«, 4.8., S. 4, online: dasND.de/1096320
Heidrun Hahn, Coswig
Zu »So sammelt Wagenknecht«, 9.8., S. 1; online: dasND.de/1096811
Die Diskussion um S. Wagenknechts Sammlungsbewegung ist in vollem Gange, und das ist gut so. Ich möchte das Ergebnis meiner Gedankengänge als Geschäftsfrau einbringen. In manchen Berufen ist man gut beraten, parteipolitische Neutralität zu wahren, dazu gehört nach meiner Erfahrung aus über 25-jähriger Berufspraxis auch der Beruf der Gastwirtin. Nichtsdestotrotz stehe ich zu meiner linken Weltanschauung und höre aus vielen Gesprächen mit Gästen, dass sie so oder ähnlich denken. Über Idee und Gedanken einer linken Sammlungsbewegung zu reden, solidarisch zu diskutieren, politisch links gemeinsam, achtungsvoll zu streiten, was hindert eine politische Linke daran? Was könnte sie daran hindern, wenn sie das ist, was sie sein will, Vertreter der Interessen der Ausgebeuteten, Erniedrigten, Betrogenen und Orientierungslosen?
Unterschiedliche Meinungen, wo wäre es nicht normal, diese auszutauschen? Die Frage ist nur, wie das geschieht, wie persönlich feindselig das geführt wird, wie wenig offenbar einige der Sache, dem Ziel verbunden sind. In einer Linken solidarische Diskussion vorauszusetzen, gehörte bisher zu meinem elementaren Verständnis. Wenn das Bild heute ein anderes ist und alle Medien des Klassengegners, der Kapitalvertreter, der Reichenlobby , der bürgerlichen Demagogen, was es sehr wohl gibt, ein leichtes Spiel wie