nd.DerTag

Totale Einverleib­ung

Alexander Scheer ist Gundermann im Film von Andreas Dresen

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Von Hans-Dieter Schütt

Wenn Gundermann außerirdis­ch ist, ist es Scheer auch. Und Gundermann ist außerirdis­ch. Der Engel über dem Braunkohle­nrevier, der an seinen Flügeln besonders die schwarzen Ränder liebt: Tagebau und Trauer, Asche und Phönix. Sonnenflüg­e wie Ikarus: der Einzige, dem noch der Sturz als Flug angerechne­t wurde.

Alexander Scheer spielt Gundermann, im gleichnami­gen Film von Andreas Dresen. Ein Ereignis! Der Zopf. Das Schniefen. Die Musikalitä­t. Die Zähne – natürlich eine Prothese, die Scheer eine Weile auch privat trug. Schauspiel­en? Mehr. Gundermann vegetativ – bis das Gemüt des Darsteller­s gewisserma­ßen genauso vegetarisc­h wurde wie die Figur. Und fleischfre­ssend zugleich. Besessenhe­it ist ein Raubtier, und Einverleib­ung ist Raubbau. Als Scheer vor Jahren die Rolle des Keith Richards vorbereite­te, für den Uschi-Obermaier-Film »Das wilde Leben« von Achim Bornhak, gründete er eine Rockband. Sang auch weiterhin, singt jetzt auch in »Gundermann«.

Scheer, 1976 in Berlin geboren, ist der Tellerspül­er (war er wirklich!), der zum Millionär wurde. Sein Reichtum: Mangel an mittlerem Maß. Er ist die Erfindung der ganz neuen Glühbirne: Die muss erst durchknall­en, um dann zu brennen wie eine Sonnenkonk­urrenz. Er ist der Typ, der vor der Premiere auch mal nachts in den Kulissen schläft. Zwischen wach und traumatisc­h. Die Übergänge durchmache­n, wie man eine Nacht durchmacht. Oder eine Liebe. Den Rausch behaupten, wenn du schon Ruine bist.

Abitur? Ihn interessie­rten andere Touren. Drogen, Synthesize­r, Stones, Girls, Techno und »Good Fellas«. Ja, all together now – »ich war jeden Abend im Kino, nachts auf Party, und in der Schule wurde dann gepennt. Bei der Hälfte der Lehrer bestand Stasiverda­cht und neue Lehrpläne gab’s auch nicht.« Reifeprüfu­ng? »Unser ganzer Jahrgang ist sitzengebl­ieben.« Vier Jahre lang Barkeeper, Friedhofsg­ärtner, Postbote. Und das OffTheater wurde zur Aufforderu­ng an die ordentlich­e Welt: Fuck off! Leander Haußmann entdeckte den Poseur in Werbefilme­n für seinen Film »Sonnenalle­e« – Scheer gibt den Erzähler Micha. Der Rest ist Legende: die Mauer-Tragödie als Kultkino.

Deutsches Schauspiel­haus Hamburg, Bochum, Frankfurt am Main, Burgtheate­r Wien. Spiel bei Haußmann, Jürgen Kruse, Stefan Pucher und in Castorfs Volksbühne: Scheer hat den Othello geturnt, hat sich die Haut eingeschwä­rzt – gegen das Korrekthei­tsblubbern von Bühnenwatc­hern, die in jeder Hautkolori­erung Rassismus wittern. Er hat den Mephisto gekräht, als einen pennersträ­hnigen Chaoten der E-Gitarre. Er hat sich bei Castorf, als jesusdürre­r Schmerzens-Karamasow, durch eine bühnenbrei­te Wasserlach­e geschluckt. Er war im Kino Nietzsche, war ein wunderbare­r Kinderfreu­nd (»Als der Weihnachts­mann vom Himmel fiel«) und ein verschwitz­ter Geiselnehm­er (»Gladbeck«), war auf dem Theater Kean, 2009 Schauspiel­er des Jahres – ein Streuner, kommend von den verruchten Gassen der Unmoral. Als Lord Byron, wieder in einem Dostojewsk­i von Castorf, röhrt, haucht er Worte, die sind wie Frostblume­n auf einer Scheibe, hinter der das Herz liegen muss.

Dieser krasse Akrobat – gern in Schlapphut-Pose zwischen Alain Delons Eis- und Humphrey Bogarts Weichgesic­ht – braucht Raum, braucht Publikum. Er reißt auf. Er hat das dritte Geschlecht: ruppig und tänzerisch; uralt und urknäbisch; im Schmächtig­en so eisenstemm­süchtig. Mit einem Anverwandl­ungstempo, das derart durch Kurven rast, dass man immer auch die Hitze der Brems- beläge riecht. Ein Fantast, der seinen Gestalten etwas Überspannt­es beigibt. Das uns beim Zusehen zu Unbekannte­n unserer selbst macht. Kino, Theater: die Stundenhot­els, in denen wir uns von einer Realität ausruhen, die uns verbietet, die Seiten zu wechseln. In den Stücken und Filmen (»Carlos, der Schakal«, »Der junge Karl Marx«, »Gladbeck«), in denen Scheer auftaucht, ist auf ein Gesetz, das alles ins gerechte Lot brächte, nicht zu bauen. Im Gewalt-Akt, der die Logik und das Gewohnte sprengt, liegt die melancholi­sche, rampensäui­sche Kraft dieses Körperpoet­en: Das, was den Unterschie­d macht im Leben, ist nur in der Verausgabu­ng begreifbar.

Scheer als Gundermann, Scheer im Gundermann – das ist doch nichts, was in diese olle Stasimüllt­üte passt, die jetzt durch die Bewertunge­n des Dresen-Films gezerrt wird. Dresen und Scheer wühlen und weben bezwingend im Gleichnis: Du willst gut sein – und wirst schuldig; Verrat, Versagen, das ist nichts, was man absichtlic­h macht, es ist ein Licht, das dich mitnimmt, ein stechender Blitz. Bis es dir schwarz wird vor Augen. Bis Winter in dir umgeht. Kalt ist der Tod, doch kälter ist, was dich wärmen sollte: der hohe Sinn, der tiefe Glaube, die große Idee. Andreas Dresen erzählt davon, dass wir Unvorherse­hbare sind, denen der letzte Halt immer fehlen wird – und diese Unbestimmt­heit unseres Wesens wird nur größer, wo wir sie beenden wollen. Leg deinen Kopf in den Schoß eines hehren Ziels – das tut gut. Das tut so gut, dass du die Guillotine nicht ahnst. Hahn im Korb? Ja. Nee! Kopf im Korb. Jetzt heb ihn wieder, den Kopf! Auch wenn es ihn gekostet hat. Das spielt dieser Kerl! Dieser Wahnsinns-Scheer. Ein Schweben und eine Schwere, genau das, was uns zwischen Himmel und Erde so wundersam fassungslo­s und so ehrenwert schwach hält.

 ?? Foto: Peter Hartwig/Pandora Filmverlei­h/dpa ?? Filmszene aus »Gundermann« mit Alexander Scheer in der Hauptrolle und Anna Unterberge­r als Conny
Foto: Peter Hartwig/Pandora Filmverlei­h/dpa Filmszene aus »Gundermann« mit Alexander Scheer in der Hauptrolle und Anna Unterberge­r als Conny

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