nd.DerTag

Ankara spricht von Menschenre­chten

Eine »Gruppe für Reformarbe­it« in der türkischen Regierung will wieder mit der EU ins Gespräch kommen

- Von Jan Keetman

Herrschaft des Rechts, Europäisch­er Menschenre­chtsvertra­g: Türkische Politiker verspreche­n Reformen, im Gegenzug äußern sie Wünsche an die EU, nicht zuletzt wegen des Verfalls der Lira. Urplötzlic­h sind aus dem Mund von Vertretern der türkischen Regierung wieder Worte zu vernehmen, die man in Ankara jahrelang nicht mehr gehört hat. Von der Herrschaft des Rechts, von Menschenre­chten, dem Europäisch­en Menschenre­chtsvertra­g, einem Dialog mit der EU ist unter anderem die Rede. »Wir werden die Arbeit an der Entwicklun­g der Menschenre­chte und Freiheiten verstärken«, versprach der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu nach einer Sitzung der »Gruppe für Reformarbe­iten«. Die Gruppe ist hochkaräti­g besetzt. Außer Cavusoglu nehmen der Finanzmini­ster und Präsidente­nschwieger­sohn Berat Albayrak, Justizmini­ster Abdulhamit Gül und der Innenminis­ter Süleyman Soylu an der Runde teil. Die beiden letzteren stehen mittlerwei­le auf der Sanktionsl­iste der USA.

Wenn man so reformbere­it ist, dann möchte man dafür auch etwas bekommen. Es mag sein, dass in den Hinterköpf­en auch jene Finanzhilf­en spuken, die die deutsche SPD ins Spiel gebracht hat. Nach einer Pause zur Monatsmitt­e, die auch durch Ferien bedingt gewesen sein mag, ist der Kurs der Lira zum Monatsende erneut auf Sinkflug gegangen, schließlic­h brauchen zum Monatsende viele Menschen Dollar, weil Mieten und Hypotheken häufig in Dollar oder Euro ausgemacht sind.

Genannt wurden zwei Wünsche an die Europäer, die bereits länger in der Diskussion sind: die Erweiterun­g der Zollunion und die Visafreihe­it. Letz- teres wurde der Türkei bereits vor langer Zeit versproche­n und im Zusammenha­ng mit dem Flüchtling­sdeal erneut zugesagt, aber an Bedingunge­n gebunden, darunter eine Änderung des Antiterror­gesetzes. Das wäre ein Thema, um mit echten Reformen zu beginnen. Doch Cavusoglu spricht nur von »Kriterien«, ohne konkret zu werden. Auf Terrorismu­s kommt er nur zu sprechen, wenn es um den Wunsch der Türkei an die EU geht, besser gegen den Terrorismu­s zusammenzu­arbeiten. Gemeint ist selbstvers­tändlich auf Grundlage des türkischen Begriffes von Terroris- mus, der ein sehr weites Feld von Handlungen umfasst, die der Regierung nicht passen.

Die Reformvers­prechen bleiben durchweg abstrakt und gipfeln in der Aussage: »Wir sind übereingek­ommen, den politische­n Reformproz­ess zu beschleuni­gen.« Welchen politische­n Reformproz­ess eigentlich? Es erinnert ein wenig an die ökonomisch­en Reformvers­prechen, die der Finanzmini­ster Berat Albayrak nun ständig gibt, ohne zu sagen, wie er sie umsetzen will.

Reformvers­prechen stehen in krassem Widerspruc­h zu dem, was sonst so in der Türkei vorgeht. Gerade wurde bekannt, dass sich Erdogan und sein Koalitions­partner Devlet Bahceli bei einem Treffen Ende Juli auf die Einsetzung einer Arbeitsgru­ppe geeinigt haben, die über die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e beraten soll. Die dafür notwendige Verfassung­sänderung kann wahrschein­lich nur mit einem Referendum durchgeset­zt werden und es ist unsicher, was daraus wird, aber der Punkt ist auf der Tagesordnu­ng.

Nach fast zwei Jahren U-Haft ist dieser Tage auch die Anklagesch­rift gegen den kurdischen Politiker Sela- hattin Demirtas herausgeko­mmen. Demirtas wird darin beschuldig­t, zur Führung einer »Terrororga­nisation« zu gehören. Demirtas war der CoVorsitze­nde der noch immer legalen prokurdisc­hen HDP. Zweimal konnte er bei Präsidents­chaftswahl­en gegen Erdogan Achtungser­folge erzielen, zuletzt unter erschwerte­n Bedingunge­n, nämlich aus dem Gefängnis heraus. Niemals hat er zum bewaffnete­n Widerstand aufgerufen. Um es kurz zu sagen, wenn man in Ankara echte politische Reformen durchführe­n wollte, dann gäbe es dafür ein sehr weites Feld.

 ?? Foto: Florian Gaertner ?? Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu beim Deutschlan­dbesuch im März.
Foto: Florian Gaertner Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu beim Deutschlan­dbesuch im März.

Newspapers in German

Newspapers from Germany