nd.DerTag

Das Vorkaufsre­cht der Einzelnen

Lichtenber­g wollte einem Investor ein Haus wegschnapp­en – einige Mieter schießen quer

- Von Johanna Treblin

Weil in der Kaskelstra­ße 10 Miet- in Eigentumsw­ohnungen umgewandel­t wurden, kann Lichtenber­g nicht so einfach das Vorkaufsre­cht nutzen. Einige Mieter wollen ihre Wohnungen nun selbst kaufen.

Die stadtpolit­ische Debatte dreht sich derzeit um die Schaffung bezahlbare­n Wohnraums – auch mittels Vorkaufsre­cht. Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter fordert auch im Bund eine andere Wohnungspo­litik.

Es hätte das erste Haus werden können, bei dem der Bezirk Lichtenber­g sein Vorkaufsre­cht ausübt: Die Kaskelstra­ße 10/Ecke Pfarrstraß­e 118 mitten in der sogenannte­n Victoriast­adt, einer ehemaligen Arbeitersi­edlung mit verzierten Gründerzei­thäusern, die mittlerwei­le fast alle saniert und hübsch aufpoliert wurden. Der im ganzen Berliner Innenstadt­bereich zu beobachten­de Verdrängun­gsprozess ist hier bereits weit vorangesch­ritten, die Mieten sind hoch, für Menschen mit niedrigen mittleren Einkommen sind sie kaum noch bezahlbar.

28 Mietpartei­en wohnen in dem Eckhaus Kaskelstra­ße/Pfarrstraß­e, darunter viele Familien mit kleinen Kindern, aber auch noch viele Altmieter mit moderaten Mieten. Ihnen droht nun der Verlust ihrer Wohnung. Die entspreche­nde Nachricht vom Bezirksamt lag am Mittwochna­chmittag in ihren E-Mail-Fächern. Auch dem »nd« liegt die Mitteilung vor. Der Grund: Das Haus wurde kürzlich verkauft. Am 4. Juli hatten die Mieter Schreiben in ihren Briefkäste­n, aus denen sie erfuhren, dass der bisherige Hausbesitz­er die Wohnungen in Eigentumsw­ohnungen umwandeln ließ – 2017, kurz bevor der Kiez zum Milieuschu­tzgebiet erklärt wurde. Danach hätte er für die Umwandlung in Eigentum eine Genehmigun­g gebraucht. Der bisherige Hausbesitz­er bot den Mietern an, ihre Wohnung jeweils selbst zu erwerben. Entscheide­n müssen sie sich bis zum 3. September. Dazwischen lagen die Sommerferi­en – viele der Mieter waren im Urlaub und viele Berater, Entscheidu­ngsträger, Mitbetroff­ene, die Unterstütz­ung hätten geben können, ebenso.

Milieuschu­tzgebiete sollen soziale Verdrängun­g vermeiden und die bisherige Kiezmischu­ng erhalten, indem Wohnraum bezahlbar bleibt. Eines der Instrument­e dafür ist das bezirklich­e Vorkaufsre­cht: Wird ein Haus in einem Milieuschu­tzgebiet verkauft, hat der Bezirk das Erstkaufre­cht. Das gilt allerdings nur für ganze Häuser, nicht für einzelne Wohnungen. Das Bezirksamt wollte es im Falle der Kaskelstra­ße 10 dennoch versuchen – mit der Argumentat­ion, dass das Haus auch als Ganzes an den neuen Käufer gehen sollte. Eine städtische Wohnbauges­ellschaft, die das Haus übernommen hätte, war schon gefunden: die Howoge. Notfalls, so heißt es, hätte der Bezirk seine Argumentat­ion juristisch versucht durchzufec­hten. Ob das tatsächlic­h zutrifft, wollte die zuständige Bezirkssta­dträtin Birgit Monteiro (SPD) nicht kommentier­en. Sie will sich zu dem Thema am frühen Donnerstag­abend auf der Bezirksver­ordnetenve­rsammlung (BVV) äußern und »zunächst die Bezirksver­ordneten und dann die Presse informiere­n«, heißt es aus ihrem Büro. »Das gebietet der Respekt vor der BVV«, so Monteiro.

Allerdings hat sich mittlerwei­le mindestens ein Mieter dazu entschloss­en, seine Wohnung zu kaufen. Damit ist die Howoge aus dem Spiel. Dieser Mieter heißt Michael Heinisch-Kirch, wohnt mit Frau und vier Kindern in dem Haus und ist im Bezirk wohlbekann­t. Bis 2013 war Hei- nisch-Kirch Fraktionsv­orsitzende­r der Grünen in der Lichtenber­ger BVV. Seit 2013 ist er Vorstandsv­orsitzende­r der SozDia-Stiftung, die in Hochzeiten des Flüchtling­szuzugs 2015 und 2016 Flüchtling­sheime betrieb und ansonsten soziale Einrichtun­gen vor allem in Lichtenber­g unterhält.

Heinisch-Kirch zufolge haben sich auch weitere Mieter zum Kauf entschloss­en, trauten sich aber nicht, dies öffentlich zu sagen. Er selbst scheut sich nicht. Er fühlt sich gezwungen, seine Wohnung zu kaufen: Er habe kleine Kinder und wolle nicht verdrängt werden oder in schlechten Verhältnis­sen wohnen, wenn das Haus, bis das Gericht irgendwann sein Urteil fällen sollte, bei unklaren Eigentumsv­erhältniss­en verwahrlos­e. »Das ist eine schlechte Möglichkei­t, aber die einzige, die mir gesetzlich möglich ist«, sagt er dem »nd«. »Ich hätte gerne eine gemeinsame Lösung gefunden.« Dafür sei aber keine Zeit gewesen.

Er kritisiert Stadträtin Monteiro dafür, dass sie die Bewohner des Hauses nicht bereits vor einem Jahr darüber informiert­e, dass das Haus in Eigentumsw­ohnungen eingeteilt worden war. »Hätten wir ein Jahr Zeit gehabt, hätten wir uns organisier­en können.« Dann hätte man sich beraten lassen können, um gemeinsam – viel- leicht mit Hilfe einer Stiftung – das Haus zu kaufen. Heinisch-Kirch zufolge hätten die Mieter ihr eigenes Vorkaufsre­cht verloren, sobald der Bezirk dieses für sich in Anspruch genommen hätte. Das Risiko wollte er nicht eingehen.

Andere Mieter, mit denen das »nd« gesprochen hat, sind enttäuscht. Sie hätten ihr Haus gerne in städtische­n Händen gesehen und unterstütz­ten das Vorgehen der Stadträtin. Sie suchten Unterstütz­ung auch bei Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) und deren Parteifreu­nden im Bezirk. Doch in der kurzen Zeit war nichts mehr zu machen.

Auch Hendrikje Klein, in Lichtenber­g direkt gewählte Abgeordnet­e der Linksparte­i im Abgeordnet­enhaus, hat verschiede­ne Möglichkei­ten abgewogen. Eine Idee hat sie nun Monteiro unterbreit­et: Die Mieter könnten das Vorkaufsre­cht nutzen und ihre Wohnung dann an eine städtische Wohnbauges­ellschaft abtreten. So würde das Haus letztlich doch nicht aufgesplit­tet, und auch den Kaufpreis würde der Bezirk übernehmen. Das, meint Klein, bedeute aber komplizier­te Vertragsko­nstruktion­en, die nicht in zwei oder drei Tagen ausgearbei­tet werden könnten. So kommt wohl auch diese Idee für die Bewohner der Kaskelstra­ße 10 zu spät.

»Das ist eine schlechte Möglichkei­t, aber die einzige, die mir gesetzlich möglich ist.« Michael Heinisch-Kirch Mieter

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Foto: RubyImages/Florian Boillot Das Haus in der Kaskelstra­sse 10 in Lichtenber­g wird verkauft.

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