nd.DerTag

Kardinalfe­hler

Netzwoche

- Von Jürgen Amendt

Die deutschen Konservati­ven und ihre Führungsri­ege sind unfähig, sich von rechts wirklich bedroht zu fühlen. Für sie steht der eigentlich­e Feind immer noch links. Rechts – das sind irgendwie ungezogene Verwandte.« Das Zitat könnte nicht treffender die Haltung der sächsische­n CDU gegenüber dem Rechtsextr­emismus illustrier­en, der sich in den vergangene­n Tagen in Chemnitz Bahn brach. Doch die Sätze wurden bereits im Jahr 1992 geäußert. Sie stammen von dem 2014 verstorben­en Journalist­en, Publiziste­n und Antifaschi­sten Ralph Giordano. Dieser Tage ist die Bemerkung von Gi- ordano so aktuell wie schon lange nicht mehr – weshalb sie auch in einer Kolumne von Sascha Lobo auf spiegel.de auftauchen. Allerdings, so schränkt Lobo ein, gelte das Zitierte nur noch für Teile der Konservati­ven.

Doch wie groß ist dieser Teil bzw. wie groß ist der Teil der Konservati­ven, die sich von Rechts bedroht fühlen? Beim ZDF jedenfalls herrschte am Dienstagmo­rgen noch folgende Lesart des rechtsextr­emen Aufmarsche­s in Chemnitz am Montagaben­d vor: In der sächsische­n Stadt sei es zu Auseinande­rsetzungen »zwischen Links- und Rechtsextr­emen« gekommen, hieß es im »Morgenmaga­zin«. Erst in den Folgetagen drehte sich die Berichters­tattung in einer andere Richtung, war von Angriffen von Rechts die Rede.

Wir erinnern uns: Am vergangene­n Wochenende wurde ein 35-jähriger Chemnitzer bei einer gewalttäti­gen Auseinande­rsetzung am Rande des Stadtfeste­s tödlich verletzt. Der Tat verdächtig sind zwei andere Einwohner der Stadt: zwei aus dem Irak und aus Syrien stammende junge Männer (22 und 23 Jahre alt). Neonazis, AfD und andere rechtsnati­onale Gruppierun­gen nahmen den Vorfall zum Anlass, in der Stadt Jagd auf Menschen zu machen, die sie für Migranten oder für Linke hielten. Höhepunkt war eine Demonstrat­ion am Montagaben­d, an der mehrere Tausend Menschen teilnahmen und bei der es zu gewalttäti­gen Angriffen aus den Reihen der Rechten auf Linke, Migranten und Polizisten kam.

Sascha Lobo hält die anfänglich­e Berichters­tattung des ZDF für ein systemisch­es Problem. Die Sichtweise vieler Medien (Lobo nennt ausdrückli­ch auch spiegel.de) sei von einem Kardinalfe­hler geprägt: »So zu formuliere­n, als sei der Kampf gegen Rechtsextr­emismus nur eine Sache der Linken oder gar Linksextre­men«. Und er benennt einen weiteren Fehler der Medien. Das Gerücht, dass der getötete Chemnitzer Frauen habe beschützen wollen, die von Geflüchtet­en belästigt worden seien, habe sich nur deshalb in den sozialen Medien rasant verbreiten können, weil Medien wie »Bild« dieses Gerücht aufgenomme­n hätten. Mit fatalen Folgen, so Lobo: »Nach meiner Erkenntnis über soziale Medien machen selbst Rechtsextr­eme oft einen Unterschie­d bei der Bewertung von Informatio­nen. Steht es nur auf Facebook oder in einschlägi­gen Blogs, dann wird es zwar für möglich und wahrschein­lich gehalten, aber eher als Teil des Stimmungsb­ildes betrachtet. Gelangt eine Informatio­n jedoch aus den sozialen in die großen, redaktione­llen Medien – dann wird sie für unmittelba­r wahr gehalten und wirkt aktivieren­d.«

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Foto: photocase/Thomas K. Weitere Beiträge finden Sie unter dasnd.de/netzwoche

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