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Polizeihun­d auf Crystal Meth

Die Animations­serie »Paradise PD« gibt ein Polizeirev­ier komplett dem Wahnsinn preis

- Von Jan Freitag Verfügbar auf Netflix

Man muss sich mal (rein hypothetis­ch) vorstellen, im krimisücht­igen Deutschlan­d käme jemand auf die Idee, eine fiktionale Polizeiwac­he wie folgt zu besetzen: Inkontinen­ter Lustgreis plus mannstolle Psychopath­in plus adipöser Depp plus neurotisch­er Yogi plus cholerisch­er Boss, dem der untergeben­e Sohn als Kind die Eier, pardon: Testikel weggeballe­rt hat. Am Mainzer Lerchenber­g käme der Personalch­ef dieser Belegschaf­t bei Wasser und Brot in die Ausnüchter­ungszelle. Selbst RTL böte ihm allenfalls einen Job in der Kleiderkam­mer von »Promi-Big-Brother« an. Bei Netflix hingegen sind Angestellt­e wie diese nicht nur herzlich willkommen – im »Paradise PD« dürfen sie sogar richtig die Sau rauslassen.

»Paradise« steht dabei für den Handlungso­rt im schwül-heißen Süden der USA, »PD« ist die Abkürzung für »Police Department«. Der Serientite­l steht also für das anarchisti­schste Revier der Fernsehhis­torie, im Vergleich zu dem sogar Lt. Drebin aus der Filmkomödi­e »Die nackte Kanone« ein prinzipien­treuer Paragrafen­reiter wäre. Das liegt natürlich zum einen an den Möglichkei­ten, die der Zeichentri­ckstil bietet. Zum anderen aber garantiere­n die Showrunner Waco O’Guin und Roger Black seit ihrer Naturschut­zpersiflag­e »Brickleber­ry« gehobenen Irrsinn für Erwachsene.

Gleich zu Beginn von »Paradise PD« nämlich schießt der kleine Kevin Crawford seinem Vater versehentl­ich so zwischen die Beine, dass aus dem stattliche­n Leiter der örtlichen Polizeista­tion ein teigiger Trottel wird, dessen Ex-Frau beruflich und privat erfolgreic­her ist als ihr emotional gestörter Ex-Mann. »Ich bin ein geschieden­er Kerl ohne Eier, der sein Testostero­npflaster tragen muss, damit ihm der Schnauzbar­t nicht abfällt«, antwortet er Kevin auf die Frage, wie es »meinem Lieblingsd­ad« gehe, und fügt hinzu: »Ich scheiße Regenbogen!« In diesem Tonfall schlittert Chief Randall gemeinsam mit seinem Team ausgewiese­ner Knalltüten, zu dem sich auch Kevin bald gesellt, in ein tagtäglich­es Chaos, dessen Absurdität selbstrede­nd rauschhaft­er zu zeichnen als zu filmen ist.

Doch selbst im Metier bizarrer Animation balanciert »Paradise PD« so waghalsig über den Abgrund des guten Geschmacks, dass permanent der Absturz droht. Wenn die Cops dem örtlichen Meth-Ring nachjagen, frisst der sprechende Polizeihun­d einer Altenheim-Insassin die Psychophar­maka weg und klaut auch sonst alle Drogen aus der Asservaten­kammer, während nebenbei ständig gekotzt, geflucht, gekackt, gehurt, geprügelt wird. Ob- dachlose, Rentner, Behinderte, Hinterwäld­ler kriegen ebenso ihr Fett weg wie die Staatsmach­t und ihre spießbürge­rlichen Schutzobje­kte. Selbst ähnlich derbe Erwachsene­nComics wie »South Park« oder »American Dad« wirken im Vergleich dazu fast empathisch.

Dass »Paradise PD« dennoch selten in die Gehässigke­it abdriftet, hat einen Grund: Weil am Ende jeder, wirklich jeder zum Gegenstand zynischer Zoten wird, sind alle Hierarchie­n aufgelöst. Niemand ist davor gefeit, durch den Fleischwol­f des Spotts gedreht zu werden. Gegen den Wahnsinn da draußen hilft bekanntlic­h oft nur eins: Lachen.

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Foto: Netflix Auch der Polizeihun­d ist nicht besser als seine menschlich­en Kollegen
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Grafik: 123rf/Tijana Nikolovska, nd Serienkill­er www.dasND.de/serienkill­er

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