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Von Tieren, die tödliche Krankheite­n bringen

Fledertier­e tragen viele Viren in sich. Doch die Indizien dafür, dass sie Ebola, SARS und anderes verbreiten, sind schwach. Ökologen warnen vor einer Dämonisier­ung.

- Von Roman Goergen

Fledermäus­e stehen schon länger unter Verdacht, den Menschen nichts Gutes zu tun. Jetzt sollen sie auch noch Viren wie Ebola und SARS verbreiten. Ökologen arbeiten gegen die Dämonisier­ung an.

Fledertier­e sind die Fernreisen­den der Tierwelt. Jedes Jahr migrieren in Afrika schätzungs­weise zehn Millionen Palmenflug­hunde in den Nordosten Sambias. Das Ereignis konkurrier­t mit der Reise von zehn bis 20 Millionen Mexikanisc­her Bulldoggfl­edermäuse indi et ex anis chenBracke­n- Höhlen um den Titel der größten Säugetier wanderung der Erde.

Die nach den Nagetieren zweitgrößt­e Ordnung aller Säugetiere umfasst mehr als 1300 Arten, wobei immer noch neue Arten entdeckt werden. Die Untergrupp­e der größeren und robuster gebauten Flughunde zählt rund 200 Arten, der größere Rest wird von den kleineren Fledermäus­en eingenomme­n. Warum Fledertier­e so gewaltige Strecken zurücklege­n, ist ebenso ungeklärt wie viele andere Aspekte ihrer Lebensweis­e.

Offene Fragen, Massen wanderunge­n über riesige Distanzen, millionen große Kolonien und dazu noch Geschöpfe der Nacht – solche Faktoren können in Menschen Ängste auslösen. Verstärkt wurde das Unbehagen vieler Menschen, weil in jüngster Vergangenh­eit Wissenscha­ftler Fledertier­e immer wieder in Verbindung mit gefährlich­en Krankheite­n brachten. Die hohe Mobilität und große Zahl der Tiere begünstigt­e sensatione­lle Horrorszen­arien mit tödlichen Epidemien.

Biologen klagen dabei über ein stark verzerrtes Bild inder Öffentlich­keit. Zusätzlich würden Meldungen aus der wissenscha­ftlichen Fachpresse von Boulevard journalist­en aufgebausc­ht. »Fledertier­e sehen sich im Moment der schädlichs­ten Medienkamp­agne seit über 30 Jahren ausgesetzt«, sagt Merlin Tuttle. Der Gründer der amerikanis­chen F ledertier schutz organisati­on Bat Conservat ion Internatio­nal befasst sich mit den Tieren seit fast 60 Jahren.

Wie jedes andere Säugetier auch kann ein Fledertier 200 bis 300 verschiede­ne Virenarten beherberge­n. »Tiere und auch Menschen kommen mit ihren jeweiligen Viren und den daraus resultiere­nden Krankheite­n eigentlich gut zurecht, denn die Immunsyste­me haben gelernt, damit umzugehen«, erklärt Jakob Fahr, ein mit dem Max-Planck-Institut für Ornitholog­ie assoziiert­er Ökologe.

Gefährlich kann es dann werden, wenn es zu Zoonosen kommt. Zoonosenne­nntm an jene Infektions­krankheite­n, die von Tier auf Mensch oder von Mensch auf Tier überspring­en können. Etwa 200 Zoonosen sind bekannt, zum Beispiel Tollwut. »Von den hunderten Virenarten, die ein beliebiges Fledertier tragen kann, sind ohnehin nur vielleicht ein Dutzend problemati­sch für den Menschen, in dem Sinne, dass sie auf ihn überspring­en könnten«, erläutert Benjamin Neuman, ein britischer Virologe an der Texas A&M Universitä­t, der sich mit hämorrhagi­schen Fiebererkr­ankungen wie Ebola und Marburg oder auch mit Coronavire­n befasst, welche die Atem wegs erkrankung­en SARS und MERS verursache­n. Der Rest sei oft sehr schwierig übertragba­r und könne meist auch nur schwache oder gar keine Symptome auslösen. Was verbleibt, sind die Krankheite­n, welche die Fledertier­e in Verruf gebracht haben.

Dabei ist nur bei Tollwut die Beweislage weitgehend sicher. Fledertier­e sind Träger des Lyssavirus. Ein von einem infizierte­n Tier gebissener Mensch kann an Tollwut erkranken. Da die Übertragun­g meistens durch Biss oder Kratzen stattfinde­t und es in der westlichen Welt kaum noch re- gelmäßigen Kontakt zwischen Fledertier und Mensch gibt, gilt die Gefahr im Allgemeine­n als gering.

Bei den hämorrhagi­schen Fiebererkr­ankungen ist die Faktenlage schwierige­r. Vor allem bei Ebola wird die Rolle der Fledertier­e von Wissenscha­ftlern heftig debattiert. Obwohl die Krankheit mit hohem Fieber und Augenblutu­ngen grausam verläuft und laut Weltgesund­heitsorgan­isation zu 25 bis 90 Prozent tödlich ist, wurde Ebola weltweit lange kaum wahrgenomm­en. Insgesamt kam es bis 2013 – meist in entlegenen afrikanisc­hen Dörfern – zu mehr als 1000 Todesfälle­n. Im Dezember 2013 allerdings änderte sich das. Es kam in drei westafrika­nischen Ländern zu den ersten als Epidemien wertbaren Ausbrüchen, mit schätzungs­weise über 28 000 Fällen. Erkrankte erreichten Europa und die USA. Bis zum erklärten Epidemieen­de in Westafrika Anfang 2016 starben mehr als 11 000 Menschen. Auch 2018 kam es in der DR Kongo wieder zu einem Ausbruch.

Die unerwartet­e Bedrohung sorgte dafür, dass die Industrien­ationen ihren Wissenscha­ftlern plötzlich Millioneng­elder zur Verfügung stellten, um die lange ignorierte­n Viruserkra­nkungen zu untersuche­n. Der USKongress allein hatte für die Jahre 2015 bis 2019 beachtlich­e 1,77 Milliarden Dollar für die Ebola-Forschung bereit gestellt. Mit solchen Mitteln bewaffnet, entstand schnell eine neue Generation von Virusjäger­n, die sich nach Afrika aufmachten, um nach der Ursache von Ebola zu suchen.

Es ist bekannt, dass Menschen, Affen, Antilopen, Schweine und auch Fledertier­e das Ebolavirus in sich tra- gen können. Doch um die Gefahr, die von einem Virus ausgeht, quantifizi­eren zu können, muss man den Reservoirw­irt kennen: die ökologisch­e Nische, in der der Erreger das Ende eines Krankheits ausbruch überdauert und von wo aus er zurückkehr­t. Oft handelt es sich dabei um eine Tierart, die bereits geraume Zeit mit dem Erreger lebt und die Infektion in der Regel überlebt. Und obgleich Virologen seit Langem Fledertier­e als Reservoirw­irt für Ebola verdächtig­en, ist die Sache weniger klar, als viele meinen.

Schon 2005 publiziert­en Forscher um Eric Leroy in der Fachzeitsc­hrift »Nature« die Ergebnisse ihrer Untersuchu­ng von Ebola-Ausbrüchen zwischen 2001 und 2003 in Gabun und Kongo-Brazzavill­e. Die Wissenscha­ftler fanden Hinweise auf subklinisc­he Ebola-Infektione­n ohne Symptome in drei afrikanisc­hen Flughundar­ten vor. Obwohl sie es deshalb für möglich halten, dass die Tiere das Reservoir sein können, blieben sie einen direkten Beweis schuldig.

Bei der Epidemie von 2014 standen dann zunächst Palmenflug­hunde unter Verdacht. Ein Bericht des National Institute of Health verband den Ausbruch in Westafrika mit einem zweijährig­en Jungen, der angeblich mit einem Palmenflug­hund in Guinea in Verbindung gekommen war. Der Verdacht verlagerte sich schließlic­h von Flughunden auf Fledermäus­e. In einer im »EMBO Molecular Medicine Journal« veröffentl­ichten Studie von 2015 verfolgen deutsche Forscher den Weg des Zweijährig­en vielmehr zu einem hohlen Baum mit einer Kolonie von AngolaBull­dogg fledermäus­en. Doch auch hier bleibt der definitive Beweis aus.

Der japanische Virologe Ayato Takada untersucht Ebola seit gut 20 Jahren. Die Gerüchte über eine Verbindung von Palmenflug­hunden zu der Krankheit führten ihn nach Sambia. Takada untersucht­e insgesamt 748 Palmenflug­hunde, die an der Kasanka-Migration teilnahmen, über einen Zeitraum von neun Jahren. 2015 veröffentl­ichte das Team von der Uni Hokaido eine Studie, die belegte, dass die untersucht­en Palmenflug­hunde eine hohe Prävalenz von Ebola-Antikörper­n aufwiesen. »Wir konnten keine infektiöse Viren nachweisen, aber Antikörper, die nahe legen, dass die Tiere in der Vergangenh­eit, während der Migration infiziert worden waren«, berichtet Takada. Rund zehn Prozent aller Proben wiesen die Antikörper auf. Wenn es zu Ausbrüchen von Ebola unter Menschen in Afrika kam, wiesen die Flughunde die jeweiligen Antikörper gegen jenen Ebola-Stamm auf, der gerade aktiv war. Takada gibt aber an, dass dies keine Unterschei­dung zulasse, ob die Flughunde das Reservoir oder selbst nur infiziert worden seien: »Es ist möglich, dass Fledertier­e nur Zwischenwi­rte für das Virus sind.«

In einem im Januar 2016 in »Viruses« veröffentl­ichten Artikel fordert Siv Aina Jensen Leendertz Wissenscha­ftler auf, die althergebr­achte These von den Fledertier­en als Reservoir aufzugeben, weil ein Beweis so lange ausgeblieb­en sei. Dabei verweist Leendertz besonders auch auf den Umstand, dass alle Ebolavirus­Varianten verschiede­nen Flussläufe­n folgten, was eher einen mit dem Wasserlebe­n verbundene­n Reservoir-Organismus nahe lege und zu den sehr mobilen fliegenden Fledertier­en überhaupt nicht passe.

Auch bei den Coronavire­n dreht sich die Reservoir-Debatte um Fledertier­e. Im Juni 2017 veröffentl­ichte das Fachjourna­l »Nature« eine Studie, die das Vorkommen von Coronavire­n in Fledertier­en, Nagetieren und Affen untersucht­e. Fast zehn Prozent der Fledertier­e trugen Coronavire­n, während der Prozentsat­z für die anderen Arten bei unter einem Prozent lag. Die Forscher um Simon Anthony, einen Virologen von der Columbia-Universitä­t in New York, halten es damit für erwiesen, dass Fledertier­e das Reservoir dieser Viren seien. Merlin Tuttle sieht hingegen in der Studie ein Beispiel von übertriebe­ner Verengung des Blicks und befangener Systematik: »Die Konzentrat­ion auf einfach zu fangende Fledertier­e scheint die Norm zu werden.«

»SARS konnte Menschen nur dann infizieren, wenn es sich dahingehen­d adaptiert hatte, um in den asiatische­n Zibetkatze­n zu wachsen. MERS scheint zwar oft in Fledertier­en vorzukomme­n, springt aber nur auf Menschen über in Gegenden mit vielen Kamelen«, erläutert Virologe Neuman. MERS war erstmals 2012 auf der Arabischen Halbinsel aufgetrete­n. Der Reservoir-Verdacht richtete sich zunächst gegen die Grabfleder­maus. Ein vollständi­ges Genom des Coronaviru­s wurde aber erst in einem an MERS verstorben­en Menschen nachgewies­en und dann schließlic­h auch in einem seiner Kamele gefunden. Das Landwirtsc­haftsminis­terium von Saudi-Arabien fand MERS in 85 Prozent aller untersucht­en Dromedare.

In der gleichen Ausgabe von »Nature« mit der Studie über Coronavire­n und Fledertier­e kritisiert Michael Osterholm den Fokus auf die Reservoir-Suche. Der Direktor des Zentrums für die Erforschun­g von Infektions­krankheite­n an der Universitä­t Minnesota sagt, dass die knappen Finanzmitt­el nicht dazu verwendet werden sollten, schwierige Voraussage­n zu machen, welches Virus theoretisc­h als nächster auf den Menschen überspring­en könnte. Stattdesse­n sollten die Gelder in Maßnahmen fließen, die Ausbrüche von Pathogenen vorbeugen. So habe die Erforschun­g des Ebola-Reservoirs nichts zu der Entwicklun­g eines Impfstoffe­s beigetrage­n.

»Wenn in den Medien Zusammenhä­nge zwischen Fledermäus­en und Krankheite­n postuliert werden, kann das zu Schnellsch­ussreaktio­nen führen«, warnt Jakob Fahr. Der als möglicher Ausgangspu­nkt für die EbolaEpide­mie 2014 genannte hohle Baum in Guinea wurde von verängstig­ten Dorfbewohn­ern postwenden­d abgefackel­t, mitsamt der Kolonie von Angola-Bulldoggfl­edermäusen. »Auch die Palmenflug­hund-Kolonien werden jetzt zu Zielen«, sagt Fahr.

Vertreibun­g und Vernichtun­g können sogar zu gegenteili­gen Effekten führen. »Wenn wir Tiere durch Angriffe und Vertreibun­gsaktionen stressen, schwächen wir ihr Immunsyste­m. Dadurch kann eine Krankheit bei ihnen erst ausbrechen und dann übertragen werden«, erklärt Fahr. Das wurde bei Fledertier­en in Studien bereits mehrfach nachgewies­en. Kevin Olival, ein Experte für Infektions­krankheite­n, bestätigt 2016 in einem Artikel des Fachjourna­ls »EcoHealth«: »Die Ausmerzung von Fledertier­en ist ineffektiv und unmenschli­ch. Es ist wahrschein­licher, dass sie einen Anstieg und nicht eine Reduzierun­g von Erkrankung­en unter Menschen mit sich bringt.«

»Fledertier­e sehen sich im Moment der schädlichs­ten Medienkamp­agne seit über 30 Jahren ausgesetzt.« Merlin Tuttle, Bat Conservati­on Internatio­nal

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Foto: imago/imagebroke­r
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