Fern von Frieden
Aktivisten protestieren zum Antikriegstag gegen deutsche Beteiligung an Konflikten
Berlin. Der Überfall auf Polen begann in den frühen Morgenstunden. Am 1. September 1939 teilte Adolf Hitler mit, dass seit 5.45 Uhr »zurückgeschossen« werde. Mit dieser Lüge begann ein Krieg, dem Millionen Menschen weltweit zum Opfer fielen. Daran wird alljährlich am Weltfriedenstag, der auch Antikriegstag genannt wird, erinnert.
Zwar wurde die Naziherrschaft in Deutschland beendet, aber es wurden nicht alle notwendigen Lehren aus der Vergangenheit gezogen. Die Bundesrepublik beteiligt sich an diversen Kriegen – entweder mit eigenen Soldaten oder mit Waffenlieferungen. Nicht sel- ten werden dabei menschenverachtende Diktaturen unterstützt. Die Bundesregierung hat nun in ihrer Antwort auf einer Anfrage von Linksfraktionsvize Sevim Dagdelen dargelegt, dass sie keinen generellen Stopp von Rüstungsexporten in die am Krieg in Jemen beteiligten Monarchien wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate möchte.
In der Antwort heißt es, die Regierung entscheide »über die Erteilung von Genehmigungen im Einzelfall und im Lichte der jeweiligen Situation nach sorgfältiger Prüfung«. »Der Export von Komponenten für saudische Eurofighter und Tornados soll offenkundig möglich bleiben«, so Dagdelen. »Damit macht sich Schwarz-Rot mitschuldig an Luftangriffen auf Schulbusse wie zuletzt am 9. August, bei dem in der Provinz Saada 51 Menschen getötet worden sind, darunter 40 Kinder.«
Gegen die deutsche Militär- und Außenpolitik regt sich Widerstand. Im niedersächsischen Unterlüß protestieren derzeit Aktivisten mit einem Camp gegen die Waffenschmiede Rheinmetall, die auch mit Bombenlieferungen nach Saudi-Arabien Profit macht. Dazu aufgerufen haben unter anderem Friedensinitiativen und Gewerkschaften, die sich zuletzt nähergekommen waren.
Die Bundesregierung will ihre Militärausgaben massiv steigern. Immer mehr Menschen wollen das verhindern und fordern, das Geld für Pflege, Wohnungsbau und Verkehrswende einzusetzen. Bei den widersprüchlichen Kriegen in Syrien und der Ukraine gingen die Auffassungen zuweilen auseinander, in der Empörung über die massive Aufrüstung der Bundeswehr 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs haben Gewerkschaften und Friedensgruppen einen neuen gemeinsamen Punkt gefunden. Selten gab es für den Antikriegstag so viele gemeinsame Erklärungen von Gewerkschaften und Friedensbewegung wie in diesem Jahr. Abrüstung steht dabei im Mittelpunkt.
Mit einem engagierten Aufruf wendet sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gegen »eine neue Aufrüstungsspirale«. Dies sei die falsche Antwort auf die veränderte Weltlage. Doch die globalen Rüstungsausgaben sind mit über 1,7 Billionen US-Dollar so hoch wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. »Wahnsinn«, nennt das der DGB. Unmissverständlich lehnen er und seine Mitgliedsgewerkschaften das NATOZiel ab, »die Rüstungsausgaben der Bündnispartner auf zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung zu erhöhen«. Was auch Umwelt- und Entwicklungsszene auf die Barrikaden ruft, ist die enorme Summe, die die Bundesregierung in den nächsten Jahren in ihren Verteidigungshaushalt pumpen will, statt damit bessere Kitas, zusätzliche Pflegekräfte und Verkehrswende zu finanzieren.
Der DGB rechnet vor: »Zwei Prozent des BIP für den Rüstungsetat – das wären alleine in Deutschland weitere 30 Milliarden Euro, die im zivilen Bereich fehlen würden: für Investitionen in Bildung, Hochschulen, Schulen und Kitas, für den sozialen Wohnungsbau, für kommunale und digitale Infrastruktur, für eine gerechte und ökologische Gestaltung der Verkehrs- und Energiewende, für eine bessere Alterssicherung und mehr soziale Sicherheit.«
Zwar greifen andere Organisationen die amtierende Bundesregierung und ihren SPD-Finanzminister Olaf Scholz für diebe reitsge plante Steigerung des Verteidigungs etats deutlicher an, als die Gewerkschaften es tun. In seiner Erklärung zum Antikriegstag fordert der DGB dennoch explizit, den Aufruf der friedens politischen Initiative» Abrüsten statt Aufrüsten« gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Bundesregierung zu unterzeichnen und stärkt damit jenen Kräften in den Gewerkschaften den Rücken, die sich ein stärkeres und eindeutigeres Engagement wünschen.
Das hat es schon seit Jahren nicht mehr gegeben, dass der DGB eine zentrale Kampagne der Friedensbewegung so aktiv unterstützt. Oftmals beschränkten sich die Friedens bemühungen der Gewerkschaften auf Reden an» hohen Feiertagen der Arbeiterbewegung «, wie auch ein IG- Metall- Vorstand im Dezember bei einer Friedenskonferenz einräumte. Mit »Abrüsten« ist das anders. Da arbeiten DGB und ver.di seit Monaten in einem Lenkungs ausschuss mit, der die Kampagne koordiniert. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehörten der DGB-Chef Reiner Hoffmann und die Vorsitzenden der Gewerkschaften ver.di, NGG und GEW.
Beim DGB-Kongress im Mai wurde dieses Engagement von den Delegierten legitimiert, die unter großem Beifall einen Antrag verabschiedeten, der das Zwei-Prozent-Ziel kritisiert und die Abrüstungs initiative unterstützt. Ein Selbstläufer war das nicht. Aber Einwände aus den Reihen der IG BCE und von Teilen der IG Metall, die als zuständige Branchen gewerkschaft auch Beschäftigte in Rüstungsbetrieben vertritt, konnten im Vorfeld abgeräumt werden, sodass die Unterstützung des Aufrufs inder letzten Antragsfassung enthalten war.
Nun ist die Verhinderung von Aufrüstung noch keine Abrüstung. Die Friedensbewegung wünscht sich seit Langem einRevivald er Rüstungskon vers ions debatte, die zuletzt in den 1980er Jahren intensiver geführt wurde. Erwähnt wird dieser Anspruch im DGB-Aufruf zum Antikriegstag durchaus, in einzelnen Betrieben soll es auch Gesprächskreise geben, ist bei der IG Metall zu erfahren. In Niedersachsen hat sich kurz vor dem diesjährigen Antikriegstag die »Gewerkschaftliche Initiative für aktive Friedenspolitik und Militärund Rüstungskonversion« gegründet – aber insgesamt kommt die Debatte bei den Gewerkschaften nur langsam voran. Sie stehen bei dem Thema vor demselben Dilemma, das auch von Atomkraft, Kohle oder Dieseltechnologie bekannt ist. Arbeitsplätze hängen davon ab und zuweilen auch ganze Regionen. Bundesregierung und IG Metall setzen auf »Diversifikation«. Der Ansatz ist jedoch schwierig, weil viele Rüstungskonzerne ohnehin Mischkonzerne sind. So baut Rheinmetall nicht nur Panzer, sondern auch Autoteile. Beides macht das Unter- nehmen sehr erfolgreich. Die zivile Produktion ist Ergänzung, nicht Alternative zur Waffenproduktion.
Solange man an Kriegsgerät prächtig verdienen kann, weil die Bundesregierung ihre Nachfrage steigert, kommt allerdings wenig Druck in das Thema. Inzwischen stellen sich mehr als 85 000 Menschen, die seit dem Start im November den Aufruf gegen das Zwei-Prozent-Ziel unterzeichnet haben, gegen diesen Kurs. Die Zahl kann sich sehen lassen, zumal die meisten Unterschriften »offline«, also durch persönlichen Kontakt zustande kamen. Das spricht für ein großes Engagement an der Basis. Zum Auftakt der Beratungen im Bundestag über den Haushalt für das Jahr 2019 Mitte September wollen Friedensbewegte das Gespräch mit Bundestagsfraktionen suchen. Für Anfang November, wenn der Etat beschlossen werden soll, bereiten sie dezentrale Demonstrationen vor. Dann sollen es 100 000 Unterschriften sein. Eine wichtige Etappe sind die bundesweit mehr als 160 Veranstaltungen zum Antikriegstag.