nd.DerTag

Übersetzun­g

»Right and left trouble-makers« in Chemnitz? Leo Fischer über richtige Begriffe und das Herumtänze­ln deutscher Medien

-

Für Journalist­en gibt es derzeit einen einfachen Test, sich zu versichern, ob man noch bei Sinnen ist: Ergibt das, was ich zu einem politische­n Thema schreibe, noch Sinn, wenn man es ins Englische übersetzt? Könnte ich einer Kollegin aus den Staaten vermitteln, was in Chemnitz passiert ist, ohne in langatmige Spezialbeg­ründungen, Erklärunge­n deutscher Sonderwege und kulturelle­r Eigenheite­n der politische­n Landschaft zu verfallen? Es ist ein von ausländisc­hen Journalist­en dann gern mit Augenrolle­n quittierte­s Phänomen: Je länger die Begründung­en und Erklärunge­n werden, um so sicherer ist der deutsche Journalist gerade dabei, das Unhaltbare zu verteidige­n, sich um Kopf und Kragen zu reden – ob er es bewusst will oder nicht.

Vokabeln, die der deutsche Journalist in der zurücklieg­enden Woche konsequent vermieden hat, die aber in der internatio­nalen Berichters­tattung völlig selbstvers­tändlich benutzt werden: »Nazis«, »Rassismus«, »rechtsextr­em«. Das Herumtänze­ln um diese Begriffe, der Interpreta­tionsspiel­raum, den man sich selbst und den Verhältnis­sen zugesteht, ist schon eine Verteidigu­ngshaltung, schon gelebter Patriotism­us, letztlich Einverstän­dnis. Hitlergrüß­e und die Jagd auf alle, die nicht weiß genug sind, werden dann zwingend als »Exzess« dekodiert. Logischerw­eise war das meistgeles­ene Wort in der Berichters­tattung Anfang der Woche »Selbstjust­iz«, die natürlich abzulehnen sei. Damit hat man letztlich schon die Lüge unterschri­eben, die Eroberung einer Stadt durch 6000 Nazis, deren Besoffenhe­it von der eigenen Macht, habe etwas mit Gerechtigk­eit, habe irgendetwa­s mit dem Mord am Sonntag zu tun, sei im letzten eine verständli­che Reaktion. Von selbst wären die Leute ja keine Nazis. Sie sind fehlgeleit­et, sie sind desinformi­ert. Schuld hat die politische Kultur in Sachsen, Schuld haben mangelnde Perspektiv­en, Schuld hat nur der Bossa nova. Nein, wer am Sonntag mitmarschi­ert ist, wollte da sein. Er sollte entspreche­nd behandelt werden.

Stattdesse­n war am Montag und am Dienstag ein eisiges Schweigen in den Redaktione­n. Selbstvers­tändlich wussten da alle schon, was vorgefalle­n war. Alle sind sie ja auf Twitter. Sie haben dieselben Kanäle abonniert wie ich. Am Montag verkündete hingegen das Dudelradio Hessischer Rundfunk zuallerers­t, in Chemnitz habe eine Auseinande­rsetzung zwischen Linken und Rechten stattgefun­den. Dazu gab es ein Statement von Rainer Wendt. Warum nicht gleich von Thilo Sarrazin? Auch die »Bild«-Zeitung spekuliert­e zunächst von rechten und »linken Chaoten«. Auf dieser Abstraktio­nsebene, wo man nur mehr »Vorfälle« zählt, aber keine Motive mehr sieht, wird zwingend jede Berichters­tattung zum Abnicken des Unrechts. Man würde lachen, wollte uns die »New York Times« die Ausschreit­ungen als »right and left trouble-makers« verkaufen – vom Hessischen Rundfunk lässt man es sich aber verkaufen. Es war in dem Zusammenha­ng dann auch interessan­t, das englischsp­rachige Angebot beispielsw­eise der Deutschen Welle zu studieren: Hier war die Einordnung eindeutig, hier trauten sie sich plötzlich, »far-right« zu schreiben. Das Ausland hat ein langes Gedächtnis für deutsche Sonderwege; dementspre­chend hatte man den Argwohn schon antizipier­t. Intern läuft die Kommunikat­ion anders: Während in Sachsen rassistisc­he Menschenja­gden stattfande­n, fragte »Hart aber fair«: »Steckt in jedem von uns ein kleiner Rassist?«, und ließ einen Psychiater verkünden, dass das alles letztlich in den Genen verankert sei, also unabänderl­ich und gut verständli­ch.

Es ist diese Art des fürsorglic­hen Umgangs mit dem Nationalso­zialismus, den man einfach nicht abschaffen will, die sich historisch wiederholt: Er wird verständni­svoll scheinther­apiert. Unvergesse­n die Bilder einer jungen Familienmi­nisterin Angela Merkel, die in den Neunzigern Projekte begleitete, in denen man rechtsradi­kalen Teenagern Jugendclub­s und Sozialprog­ramme sponserte – weil diese Jugendlich­en ja nicht rechts seien, sondern nur einsam und verängstig­t. In solchen Jugendclub­s ist Beate Zschäpe groß geworden. Von Jugend an wurde sie für ihre Einstellun­gen belohnt – die Gefälligke­iten von Verfassung­sschutz, Sicherheit­sbehörden und von »Dönermorde­n« fabulieren­den Medien waren der logische Abschluss.

Versuchen sie mal, das alles auf Englisch zu beschreibe­n. Sie werden scheitern. Es sind letztlich unübersetz­bare Zustände.

 ?? Foto: privat ?? Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.
Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

Newspapers in German

Newspapers from Germany