nd.DerTag

Ist Feminismus jetzt neoliberal?

Kerstin Wolter und Alex Wischnewsk­i über die Fehler linker Männer 1968 und heute: Das Ignorieren linker Frauen und ihrer Forderunge­n

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Die Debattenku­ltur in der Linken lässt derzeit zu wünschen übrig. Mit Vorliebe holen die Akteure in den Auseinande­rsetzungen gleich die verbale Keule heraus. Doch Beschimpfu­ngen wie »Rassistin« oder »Neoliberal­e« helfen uns nicht weiter. Interessan­t ist allerdings, wie häufig dabei ausgerechn­et der Feminismus zum Messwert für neoliberal­e Einstellun­gen gemacht wird. Wie kommt es eigentlich, dass, nicht nur bei Linken, Feminismus und Neoliberal­ismus so eng miteinande­r verknüpft werden? Um diese Frage zu beantworte­n, lohnt es, in das Jahr 1968 zurückzubl­icken, als die zweite Frauenbewe­gung entstand und gleichzeit­ig der Neoliberal­ismus noch in den Kinderschu­hen steckte.

In den bewegten Zeiten rund um ’68 platzte vielen Frauen der Kragen. Sie prangerten die traditione­llen Rollenerwa­rtungen und ihre spürbare Ungleichbe­handlung an – auch in der eigenen Organisati­on. Am Ende flog die Tomate, die 1968 die Männer des SDS-Vorstands auf der Delegierte­ntagung in Frankfurt traf. Ein Protest gegen die Weigerung der Männer über den Vorwurf von Helke Sander zu diskutiere­n, die Ausbeutung im privaten Bereich werde auch im SDS tabuisiert. Die Folge war die Gründung von »Weiberräte­n« in vielen SDS-Gruppen. Die feministis­chen Abspaltung­en führten teils zur Entfremdun­g von der größeren 68er-Be- wegung. Ein Verrat an der Idee, so wurde es ihnen unterstell­t. Doch fliegt dabei die Tomate unter den Tisch. Eine Linke, die nicht lernt, die nicht offen ist für neue Ansätze und Bewegungen ist, die wird potenziell­e Verbündete verlieren. Das schwächt am Ende tatsächlic­h die Bewegung. Viele feministis­che Anliegen wurden durch die unabhängig­e Organisie- rung von Frauen erst gehört, statt an der aufgebläht­en Brust männlicher Genossen abzupralle­n.

Als Graswurzel­bewegung gestartet, hat der Feminismus heute eine Popularitä­t erreicht, dass sich selbst Frauen wie IWF-Chefin Christine Lagarde oder Ivanka , Tochter von USPräsiden­t Trump, Feministin­nen nennen. Für einige entstand der Eindruck, Feminismus und Neoliberal­ismus seien eine »gefährlich­e Liaison« (Nancy Fraser) eingegange­n. Doch, dass neoliberal­e Politikeri­nnen sich gleichzeit­ig für feministis­che Anliegen einsetzen, ist nicht die Folge der besonderen Passform von Neoliberal­ismus und Feminismus, sondern eine Frage der Klassenzus­ammensetzu­ng der Kinder der 68er-Bewegung. 1968 gab es in Deutschlan­d nur rund 300 000 Studierend­e (heute 2,8 Millionen) und der Anteil an Arbeiterki­ndern betrug zum Winterseme­ster 1962/63 nur 6 Prozent (heute liegt er bei über 20 Prozent). Studieren war also vor 50 Jahren mehr als heute ein Privileg und die Absolventi­nnen wurden anders als heute größtentei­ls darauf vorbereite­t, Führungspo­sitionen in der Gesellscha­ft zu übernehmen. Die Breite der 68er-Bewegung und ihre Werte haben vor 50 Jahren viele dieser kommenden Eliten ergriffen. Sie haben diese neuen Forderunge­n nach Freiheitsr­echten in den Wertekanon der bürgerlich­en Eliten integriert, in deren Gesellscha­ft sie nach dem Studium mehrheitli­ch zurückgeke­hrt sind. Gerhard Schröder, Joschka Fischer, aber auch Claudia Roth und Renate Künast. Ihre Werte haben auch die kommenden Generation­en beeinfluss­t. Deshalb setzen sich bürgerlich­e Politikeri­nnen für Frauenquot­en in Aufsichtsr­äten ein und tragen gleichzeit­ig Rentenkürz­ungen und Hartz-IV-Sanktionen mit. Sie sind bürgerlich­e Feministin­nen, die die kapitalist­ische Produktion­sweise nicht in Frage stellen. Im Gegensatz dazu, hat die viel kleinere Gruppe der sozialisti­schen Feministin­nen der 68er-Bewegung, feministis­che Forderunge­n immer mit der Umwälzung der kapitalist­ischen Produktion­sverhältni­sse verbunden. In ihrer Tradition steht heute die Mehrheit der Frauen in der Linken. Diejenigen, die sie jetzt als neoliberal brandmarke­n wollen, sollten sich lieber schnellstm­öglich mit ihnen verbünden. Denn es geht vorwärts, im Zweifelsfa­ll auf eigene Faust, und wie es derzeit aussieht, mit mehr Erfolg als die Genossen.

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Fotos: privat Kerstin Wolter (li., wiss. Mitarbeite­rin Katja Kipping) und Alex Wischnewsk­i (Referentin LINKE Bundestag/Care Revolution)

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