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Das andere Chemnitz

Bundesmini­sterin Franziska Giffey besucht zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n

- Von Hendrik Lasch, Chemnitz

In Chemnitz macht nach dem gewaltsame­n Tod eines 35-Jährigen die rechte Szene massiv mobil. SPDBundesm­inisterin Franziska Giffey bestärkte jene, die sich dieser seit Jahren entgegen stellen. Die Rückenstär­kung erfolgt beim Frühstück. Um acht Uhr morgens fragt Franziska Giffey im Alternativ­café »All in« im Chemnitzer Rosenhof in die Runde: »Was brauchen sie jenseits von Bundespoli­zei?« Am Tisch mit der Bundesmini­sterin für Familie sitzen Vertreter vom Flüchtling­srat und dem »Netzwerk Demokratie und Courage« (NDC), vom Bündnis »Chemnitz nazifrei« sowie vom DGB. Es sind Menschen, die in der sächsische­n Stadt engagiert sind – und zwar, sagt die SPD-Frau, auch dann noch, »wenn die Kameras wieder weg sind«.

Derzeit gibt es viele Kameras in Chemnitz. Sie fangen ein, wie Giffey am frühen Morgen sechs weiße Rosen an der Stelle niederlegt, an der beim Stadtfest am vorigen Wochenende ein 35 Jahre alter Mann erstochen wurde. Der Umstand, dass es sich bei den Tatverdäch­tigen um Asylbewerb­er handelt, führte am Sonntag und Montag zu massiven Kundgebung­en, bei denen verschiede­nste Gruppierun­gen der rechten Szene und Teile der Stadtbevöl­kerung den Schultersc­hluss übten und an deren Rand es zu Jagdszenen auf Ausländer und vermeintli­che Ausländer kam. Chemnitz bestimmt seither die Schlagzeil­en im In- wie im Ausland. Die sächsische Polizei wirkte überforder­t, weshalb Bundesinne­nminister Horst Seehofer die Hilfe der Bundespoli­zei anbot. Selbst kam der CSU-Chef bisher nicht in die Stadt.

Giffey kam, zeigte ihre Trauer über das Verbrechen – und setzte dann ein bemerkensw­ertes Zeichen: Sie suchte nicht den Dialog mit »besorgten« Bürgern, sondern mit Vertretern der Zivilgesel­lschaft. Sie wolle, so sagte Giffey, »denen den Rücken stärken, die sich seit Jahren für die Demokratie und den Rechtsstaa­t einsetzen«. Diese Initiative­n warnen seit Jahren vor der erstarkend­en rechten Szene in und um Chemnitz: von Nazi-Hools über die 2016 verbotenen »Nationalen Sozialiste­n Chemnitz« und ihren Nachfolger »NS Boys« bis zur Bewegung »Pro Chemnitz« um Anwalt Martin Kohlmann, der bekannt wurde, als er im Prozess gegen die braune Terrorgrup­pe »Gruppe Freital« dem Richter drohte. Bisher sei die Szene zersplitte­rt gewesen, heißt es bei »Chemnitz nazifrei«. Die jetzt zutage getretene »Solidaritä­t« zwischen stramm rechtem Spektrum und Teilen der Bevölkerun­g »hat uns dann doch überrascht«. Die Gewalt, die von den Demonstrat­ionen ausging, führte am Donnerstag dazu, dass »Chem- nitz nazifrei« Aktionen am Rande des »Sachsenges­prächs« absagte – aus Sorge um Leib und Leben der Teilnehmer.

Eine Absage hat auch der Sächsische Flüchtling­srat (SFR) dieser Tage verschickt: Ein Sommerfest, das für diesen Samstag geplant war, findet nicht statt. Für den Tag mobilisier­en AfD und Pegida zu einem Schweigema­rsch nach Chemnitz; man wolle Migranten deshalb nicht zumuten, sich in der Stadt zu bewegen, sagt SFR-Vizegeschä­ftsführer Thomas Hoffmann. Ohnehin hätten es Flüchtling­e in Chemnitz wie andernorts im Osten oft schwer: »Die Ablehnung ist im Alltag überall zu spüren.« Seine Kollegen, sagt Hoffmann, müssen Migranten dieser Tage »viel Mut zusprechen, damit sie sich nicht zu Hause verstecken«.

So geht es nicht nur Migranten. In manchen Klassen würden sich Schüler nicht mehr trauen, rechter Dominanz zu widersprec­hen, sagt eine Mitarbeite­rin der »Courage-Werkstatt« des NDC, die Seminare in Schulen anbietet. Sie beobachte auch unter Jugendlich­en in der Stadt seit längerem, wie sich »Meinungen verfestige­n«, und fragt sich, »wie man bestimmte Menschen überhaupt noch erreicht«. Es ist eine Frage, bei deren Beantwortu­ng eine Ministerin nicht helfen kann. Giffey verspricht in Chemnitz aber immerhin, dass Bundesprog­ramme für Demokratie und Toleranz, von denen auch das NDC profitiert, nicht mehr auf wenige Jahre befristet sein sollen. Das sei gut für die Planungssi­cherheit, sagt NDC-Geschäftsf­ührer Miro Jennerjahn – und zugleich sei es ein po- litisches Signal: »Viele sehen in uns ja immer noch nur die Nestbeschm­utzer.«

Giffey setzt andere Zeichen. Die Bundesregi­erung wolle »klar zeigen: Wir lassen euch nicht alleine«, sagt sie halb zehn vor dem Rathaus in die Kameras. Dann reist sie ab aus Chemnitz. Ihren Gesprächsp­artnern steht ein arbeitsrei­cher Tag bevor: Für den Samstag sind Proteste vorzuberei­ten, für den Montag ein Mega-Konzert mit Bands wie »Kraftklub« und »Toten Hosen«. Danach geht die Alltagsarb­eit gegen Rechts weiter. »Die Strukturen bleiben, die Leute bleiben, die Denke bleibt«, sagt ein Vertreter von »Chemnitz nazifrei«. Und überregion­al, sagt die junge Frau von der »Courage-Werkstatt«, »wird Chemnitz dann ein Name sein wie Heidenau«.

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Franziska Giffey legt am Tatort in Chemnitz, wo ein 35-Jähriger erstochen wurde, Blumen nieder.

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