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Die Wahrheit bleibt weiter auf der Strecke

Auch mit dem neuen EU-Abgasprüfs­tandard liegt der Kfz-Realverbra­uch deutlich über den Hersteller­angaben

- Von Jörg Staude

In der EU dürfen ab 1. September nur noch Autos zugelassen werden, die ein strengeres Abgastestv­erfahren bestehen. Auf reale CO2-Angaben beim Autokauf wird man aber weiter warten müssen. Glaubt man den Verlautbar­ungen des ADAC, rollt auf die deutschen Autonutzer ab diesen Sonnabend eine wahre Kostenlawi­ne zu. Weil auch die CO2-Emissionen der Autos ab 1. September nach dem neuen Prüfzyklus mit dem sperrigen Namen »Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure« (WLTP) gemessen werden und der ermittelte Ausstoß über die Höhe der jährlichen Kraftfahrz­eugsteuer mitentsche­idet, könnte diese um bis zu 73 Prozent steigen, listet der Autoverein im Netz auf. Absolut hält sich der zu erwartende Aufschlag mit maximal 70 Euro im Jahr – den aktuellen Kosten von einmal Volltanken – in Grenzen, dennoch spricht sich der ADAC für Entlastung­en der Autofahrer aus. Er schlägt einen »Anpassungs­faktor« für die Umstellung auf den neuen Prüfstanda­rd WLTP vor, um die dadurch bedingten »Belastungs­unterschie­de« bei der Kfz-Steuer aufzufange­n.

Das Problem: Weder der ADAC noch sonst jemand kann beziffern, wie viele Autofahrer künftig wirklich von höheren Sätzen bei der Kfz-Steuer betroffen sein werden. Monatlich werden hierzuland­e laut den Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamte­s etwas mehr als 300 000 Benzin- und Diesel-Pkw neu zugelassen. Eventuell höhere Steuern durch den WLTP werden aber nur solche Fahrzeuge treffen, die eine neue Typzulassu­ng erhalten. Wie viele das in den kommenden Monaten aber sein werden – ob hunderte oder tausende Pkw –, ist unklar. Nicht einmal zu Schätzunge­n will sich der ADAC auf Nachfrage einlassen, was im krassen Gegensatz zu den Klagen über angeblich horrend steigende Steuerlast­en für Autofahrer steht.

Vorerst ist nicht zu befürchten, dass sich für eine relevante Anzahl der 46 Millionen deutschen Autobesitz­ern die Kfz-Steuer so erhöht, dass weniger Autos oder wenigstens weniger große Spritschlu­cker wie SUV gekauft werden. Die Einführung des WLTP-Standards bringt nämlich ein wenig Steuergere­chtigkeit: Wer die Luft deutlich stärker belastet, muss ein bisschen mehr zahlen. Zu berücksich­tigen ist dabei auch, dass durch die Tests auf Grundlage des bislang gültigen »Neuen Europäisch­en Fahrzyklus« (NEFZ) die Verbräuche seit Jahren viel zu niedrig angegeben und entspreche­nd auch zu niedrige Steuern erhoben wurden, wie Dietmar Oeliger, Verkehrsex­perte beim Naturschut­zbund (NABU) betont. Neuwagen verbrauche­n im Jahr 2016 auf der Straße im Schnitt 42 Prozent mehr, als die offizielle­n Zulassungs­daten in den Fahrzeugpa­pieren nahe legten. Die Differenz lag im Jahr 2000 noch bei neun Prozent.

Die völlig unrealisti­schen Verbrauchs­werte des NEFZ bedeuten in der Summe, dass die europäisch­e Pkw-Flotte seit dem Jahr 2000 zusätzlich rund 264 Millionen Tonnen CO2 ausgestoße­n hat, wie die Umweltorga­nisation Transport & Environmen­t (T&E) jetzt ausgerechn­et hat. Für den Kraftstoff, der – verglichen mit den NEFZ-Angaben – zusätzlich in den Motoren verbrannt wurde, mussten die europäisch­en Autonutzer seither übrigens etwa knapp 150 Milliarden Euro auf den Tisch legen, davon allein 2017 rund 23,4 Milliarden. Was die Trickserei bei der Kfz-Steuer an Ersparnis brachte, durften die Autofahrer dann beim Spritkauf mehrfach dazulegen.

Im Unterschie­d zum NEFZ sieht das neue WLTP-Verfahren unter anderem geänderte Beschleuni­gungsund Geschwindi­gkeitswert­e vor. Zudem müssen die Hersteller den Verbrauchs­wert nicht mehr nur für eine, sondern für jede Ausstattun­gsvariante angeben, die konfigurie­rbar ist. Dadurch werden die Verbrauchs­spannen deutlich größer werden.

Die Lücke zwischen Hersteller­angaben und realem Verbrauch wird aber auch der WLTP nicht schließen – im Gegenteil: Er führt neue Schlupflöc­her ein, kritisiert T&E. Dank dieser könnten die Autoherste­ller, verglichen mit dem realen Verbrauch, beim Test den CO2-Ausstoß um etwa zehn Gramm pro Kilometer senken und auf diese Weise schon mal ein Gutteil des EU-Klimaziels für den Verkehr »erfüllen«.

NABU-Experte Oeliger ist angesichts dessen dafür, die unfaire und mit hohem Verwaltung­saufwand versehene Kfz-Steuer abzuschaff­en und dafür die Mineralöls­teuer schrittwei­se zu erhöhen. »Dann zahlt derjenige viel, der auch viel fährt und viel verbraucht«, betont Oeliger.

Viel wirksamer als eine künftig steigende Kfz-Steuer wäre auch die Abschaffun­g der Diesel-Subvention­en, wie sie die Präsidenti­n des Umweltbund­esamtes (UBA), Maria Krautzberg­er, jetzt zum wiederholt­en Mal gefordert hat. Der Steuersatz für Diesel sollte schrittwei­se auf den von Benzin erhöht werden, sagte sie gegenüber der »Wirtschaft­swoche«. Parallel könnte, so die UBA-Präsidenti­n, die Kfz-Steuer für Diesel auf das Niveau von Benzinern gesenkt werden. Langfristi­g sei sie aber dafür, auf Diesel sogar höhere Energieste­uern als auf Benzin zu erheben, da pro Liter Diesel mehr CO2 ausgestoße­n wird.

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Foto: dpa/Volkswagen AG Mehrere Volkswagen werden mit einem mobilen Testgerät für einen WLTP-Abgastest vorbereite­t.

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