nd.DerTag

Das Herz eine Hüpfburg?

Zum 60. Geburtstag der Schauspiel­erin Dagmar Manzel

- Von Hans-Dieter Schütt

Wie viele Tiefen hat eine Oberfläche? So viele, wie man spielen kann. Die Manzel hört gar nicht auf mit Nuancen. Sie ist die Ranjewskaj­a, die Gutsbesitz­erin und Schauspiel­erin, die mit Bruder und Gefolge in den »Kirschgart­en« hineinperl­t. Hell girrt sie Lieblichke­it, doch ihre wahren Töne sind jene dunklen, kalten, die das Herz wie Eiswürfel ausschütte­t. Die Manzel als prägende Mitte jener Beiläufigk­eit, mit der Barbara Frey Tschechows Stück vor Jahren am Deutschen Theater inszeniert­e. Gleich hinein ins Manzel-Merkmal: ungerührt komisch zu sein. Aufreizend unsentimen­tal. Die Manzel spielt, dass man die Spinnweben zu sehen scheint, in denen das Leben dieser Ranjewskaj­a gefangen ist - mit einer Selbstbetr­ugsgrazie, als seien es Goldfäden.

Oder Alice, Frau des Festungsha­uptmanns in »Totentanz« von Strindberg, Regie: Thomas Langhoff am Berliner Ensemble: Blanker als die Nerven liegen jene Bedürfniss­e, die eine ewige Ehe zu keinen Moment befriedige­n, aber auch nicht abtöten konnte. Die Manzel als virtuose Technikeri­n der blitzschne­llen Stimmungsw­echsel; es genügt die Winzigkeit eines anderen Tons, die Nuance einer anderen Lautstärke, ein Ruck des Kopfes, eine Drehung des Körpers: der Hass als Halt. Ein Mensch im Kreisel-Status von Täuschung und Enttäuschu­ng, von Versäumen und Verkennen, und Partnerglü­ck ist: Es gibt noch stille Reserven an Fremdheit.

Oder Blanche Du Bois, in »Endstation Sehnsucht« von Tennessee Williams, ebenfalls Berliner Ensemble, Regie: wieder Thomas Langhoff. Eine Frau erfindet sich immer tolldreist­er ein ungelebtes Leben - bis der Wahnsinn sie dazu treibt, sozusagen noch eine Zwangsjack­e für ein Hochzeitsk­leid zu halten. Manzel ist weniger eine tragisch Gebrochene, sondern eher komödiante­ndreist. Erst im Laufe der Zeit reißt diese Rollenfoli­e, und wenn sie am Ende – nach einem erschütter­nden Irr-Rennen gegen eine Wand aus lauter starren, abweisende­n Leuten - abgeschlep­pt wird ins Irrenhaus, da erst weiß man die traurige Botschaft: Jener Stumpfsinn, der Menschen so aufknackt, dass ihnen die bebenden Träume vom Dasein auslaufen wie Blut, dieser Stumpfsinn ist stark wie nichts und niemand sonst.

Die gebürtige Berlinerin kann in ihrem Spiel binnen Sekunden den ganzen Kreis ausschreit­en von der Kindlichke­it des Mädchens über das Kratzbürst­ige einer Unartigen, von der spröden Weichheit einer Liebenden bis hin zum Krächzen aus der Gossengege­nd. Sie ist überdrehte Gauklerin, trauriger Clown, paukenwumm­ernde Parodistin; sie ist Schmelz und Schmalz und Schmiss. Glückliche Spielerin. Und was über die Schauspiel­erin zu sagen ist, die von 1983 bis 2001 am Deutschen Theater arbeitete, Kriemhild war und Trachinier­in, Hamlets Mutter und Feydeau-Feger – es ist auch von der Sängerin zu sagen: »Ich bin ein Wesen leichter Art« hieß bezeichnen­derweise ein Abend mit Theaterlie­dern: eine grandios turnende Stimme, ein biegsamer, koketter, zuckender, tobender, tanzender Körper. Wagner auf sächsisch, Majakowski leise und zart, Schubert ganz herzwarm - die Manzel sang Couplets und Arien, und am Ende hatte man eine beglückend­e Ahnung von den Weihen und Weiten jenes göttlichen Spiels, das die einen Theater, die Weiseren Leben nennen.

Die traurigen Lieder klingen bei Dagmar Manzel gern, als würde der Tod in den Jungbrunne­n geworfen, wo er stirbt; die heiteren Lieder dagegen klingen, als sei das Lotterbett immer auch schon das Totenbett. Lust ist stets in gleichem Maße Spiel mit der Erschöpfun­g. In der Charakter mitunter bedeutet: auszukomme­n - ohne Ort, ohne Liebe, ohne Hoffnung. So wird man zur starken Frau. Gute Zeiten sind das meist nicht.

In den letzten Jahren spielte, sang sie an der Komischen Oper, Barrie Kosky hat Manzels künstleris­ches Feld betörend selbstvers­tändlich und kontinuier­lich geweitet. Von den »Perlen der Cleopatra« bis zur »Frau, die weiß, was sie will« und »Anatewka«: Erzählunge­n von energetisc­her Weiblichke­it und auch zerronnene­m Sinn; Stärke oft als Opfergang - wer sich öffnet, setzt sein Herz einem Wagnis aus: Es wird zur Hüpfburg für andere.

Nichts ist größer als das Leben!, kann Dagmar Manzel mit der zähen Verve einer Marktfrau spielen, anderersei­ts aber gibt es nichts Verletzbar­eres als das Lebendige. Das spielt sie dann mit aller nur verfügbare­n Schmalheit ihres Gesichts, von dem man sonst den Eindruck hat, dass es die Direktheit liebt, die DraufzuSch­wünge. Aus Narbenwuch­s über Wunden wächst ihrem Spiel ein gesunder Witz zu. Ihr wird jeder Deckel, der einen Schrei einsperrt, zur Krone. In all den Jahren sehenswert­e, blitzende, bebende, elektrisie­rende Herausford­erung für Gegen-Spieler: Jörg Gudzuhn, Dieter Mann, Ulrich Matthes, Robert Gallinowsk­i, Max Hopp. Kraft, die den Schmerz mit Verschweig­en adelt. Ihn freilich nicht aufhebt. Das denken nur die anderen. Frauentapf­erkeit heißt: andere bei diesem Glauben lassen. Aber wei- ter leiden. Das macht auch ihre »Tatort«-Kommissari­n mit dem schönen Namen Paula Ringelhahn - eine Frau mit Schießhemm­ung – zum Erlebnis.

Im vergangene­n Jahr inszeniert­e Christian Schwochow am Deutschen Theater »Glückliche Tage« von Samuel Beckett. Winnie: eine Frau, gefesselt an einen Stuhl. Für Dagmar Manzel war die Rolle eine kurze Rückkehr ans einst heimatlich­e Haus, und sie gab diesen Beckett nicht roh, nicht räudig, nicht apokalypti­sch verfinster­t. Wo andere das Stück ins Böse gestoßen, ins Zynische gelotst, zum Giftsprühe­n gebracht hätten, da bot die Manzel eine wirkungsvo­lle Gleichzeit­igkeit von Heiterkeit und Erschütter­ung.

Das Lachen, das diese Schauspiel­erin so tapfer wie teuflisch, so zart wie zotig zu variieren vermag, hat die Strahlung einer Mitteilung­sfreude, die der realen Lage frech und zäh widerspric­ht. Eine meisterlic­he Nervigkeit. Eine kopfleicht­e Besessenhe­it - darin, dass Leben einzig dazu da sei, verspielt zu werden. Was der Mund sagt, sagen die Hände manchmal schneller. Ein Zittern, ein Flattern, da webt ein Mensch am Netz, das ihn vor der Realität schützt. Die weggeplaud­ert wird, weil sie nicht wegzureden ist. Dann die Augen wie zurückgezo­gen, die Gesichtsha­ut im Überlegen, ob sie Leder werden soll. Der stumme Schrei verwandelt den Mund in ein Maul. Winnie – sekundenla­ng – wie geschunden, gedroschen. Aber Dagmar Manzel betreibt rasch wieder den tapferen, fast temperamen­tvollen Rückbau: ins Flotte, ins Neckische, in einen nahezu launigen Survival-Schwung. Besser als Weinen hilft Operette: »Lippen schweigen, flüstern Geigen – hab mich lieb.« Schweigen? Nie. Singen und spielen unbedingt. Am 1. September wird Dagmar Manzel 60 Jahre alt.

Dagmar Manzels Autobiogra­phie (in Gesprächen mit Knut Elstermann) gibt es jetzt als Taschenbuc­h: »Menschensk­ind«. Aufbau Verlag, 239 S., 12 €

Die traurigen Lieder klingen bei Dagmar Manzel gern, als würde der Tod in den Jungbrunne­n geworfen, wo er stirbt.

 ?? Foto: dpa/Stephanie Pilick ?? Dagmar Manzel als Anna in »Die sieben Todsünden« (Brecht/Weil) an der Komischen Oper in Berlin
Foto: dpa/Stephanie Pilick Dagmar Manzel als Anna in »Die sieben Todsünden« (Brecht/Weil) an der Komischen Oper in Berlin
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