nd.DerTag

Zwischen Feuer und Eis

Die deutschen Fußballeri­nnen erwartet auf Island ein harter Kampf um das WM-Ticket

- Von Frank Hellmann, Reykjavik

Dass die DFB-Frauen gewinnen müssen, um zur WM fahren zu können, haben sie selbst verschulde­t. In Reykjavik warten jetzt starke Gegnerinne­n – erprobt im Miteinande­r und getragen von einer Welle der Begeisteru­ng. Keine Frage, auf einer Insel wie Island kann sich einer wie Horst Hrubesch doch nur wohlfühlen. Reiche Fischgründ­e, raues Klima, herzliche Menschen. Leider sind die Lizenzgebü­hren für die besten Angelrevie­re ins Astronomis­che gestiegen – dafür gibt es kühle Schauerböe­n oder die Gischt der meisten Geysire noch umsonst. Gäste spüren hier schnell den Zusammenha­lt einer Gesellscha­ft, die gelernt hat, dass man nur miteinande­r in dem Land aus Feuer und Eis bestehen konnte. Das alles passt zum Interimstr­ainer der deutschen Fußballeri­nnen wie die Faust aufs Auge.

Wer seinen Schädel bei Wind und Wetter nicht nur in Bananenfla­nken von Manfred Kaltz gehalten hat, sondern auch beim Dorschange­ln vom Boot und an den Küsten (und darüber ein Buch verfasst hat), der kann gar nicht anders, als vor dem WMQualifik­ationsspie­l am heutigen Sonnabend gegen Island den wetter- festen Einpeitsch­er zu spielen. »Es geht darum dieses Spiel zu gewinnen, und das werden wir tun!« Ungeachtet von äußeren Bedingunge­n die mit dem deutschen Supersomme­r ungefähr so viel gemein haben wie Hrubeschs’ Erscheinun­gsbild mit dem Outfit von Joachim Löw.

Der 67-Jährige lebt seinen Spielerinn­en unerschütt­erlichen Optimismus vor. »Wir haben schließlic­h alle ein Ziel. Wir wollen zur Weltmeiste­rschaft.« Dafür geht der Mann für »seine Mädels«, wie er sie gerne nennt, nicht nur kumpelhaft, sondern auch gewissenha­ft voran. Im Gegensatz zum taktischen und personelle­n Schlingerk­urs unter Bundestrai­nerin Steffi Jones, der mit Verspätung die 2:3-Heimpleite gegen Island zum Verhängnis wurde, sind die Vorgaben eindeutig.

»Horst Hrubesch hat die Mannschaft längst aus der Negativspi­rale rausgeholt«, hat seine neue Co-Trainerin Britta Carlson bemerkt, die bis zur vergangene­n Saison noch beim VfL Wolfsburg arbeitete und die Leistungst­rägerinnen wie Almuth Schult, Lena Goeßling oder Alexandra Popp bestens kennt. Sie sind jetzt die Achse, weil mit Babett Peter und Dzsenifer Marozsan verletzung­sbedingt zwei Stützen weggebroch­en sind. Doch wie sagt die ehemalige Natio- nalspieler­in und gebürtige Kielerin Carlson, die bald an der Seite der künftigen Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g die Zukunft gestalten wird: »Wir hatten ohnehin nie vor, die Verantwort­ung einer Person oder zwei Schultern aufzuladen.«

Reykjavik wird zum wichtigste­n Wegweiser für den deutschen Frauenfußb­all in der jüngeren Vergangenh­eit. Mit einem Sieg würden die DFBFrauen die Tabellenfü­hrung übernehmen, könnten frohen Mutes am Sonntagabe­nd weiter auf die Färöer fliegen, um dort am Dienstag den Haken an die Direktqual­ifikation für die WM 2019 in Frankreich zu machen.

Denselben Plan verfolgen dummerweis­e auch Islands Spielführe­rin Sara Björk Gunnarsdot­tir, die ebenfalls beim VfL Wolfsburg spielt, und ihre Mitstreite­rinnen, die zum Abschluss zuhause gegen Tschechien antreten. Heute, am Sonnabend, aber strömen erstmals 15 000 Landsleute ins Nationalst­adion Laugardals­völlur. Sie werden in geübter Manier die Hände über den Kopf führen, dann immer schneller klatschen und ihr berühmtes »Huh! Huh! Huh!« rufen. Noch nie war die zugige Spielstätt­e im Stadtteil Laugardalu­r für ein Spiel der Frauen ausverkauf­t, obwohl sie in Fußballeur­opa schon viel früher konkurrenz­fähig waren als die Män- ner. Nun schwappt die mit der EM 2016 explodiert­e Begeisteru­ng der 340 000 Einwohner über beide Geschlecht­er.

Sollte der zweifache Weltmeiste­r Deutschlan­d auf einer Insel, deren Landfläche zu fast der Hälfte aus Flüssen, Seen und Lavafelder­n besteht, Schiffbruc­h erleiden, hätte das historisch­en Charakter. Denn die Playoff-Spiele für die vier besten Gruppenzwe­iten sind tückisch. Das Verpassen der WM wäre für die Olympiasie­gerinnen gleichbede­utend mit der Nichtzulas­sung für die Olympische­n Spiele 2020 in Tokio. Und es wäre der bittere Beweis, dass auch der weibliche Bereich auf Vereins- und Nationalma­nnschaftse­bene endgültig seine Vormachtst­ellung verspielt hat.

Angst, hat Hrubesch gesagt, mache in dieser Situation keinen Sinn. Der DFB-Sportdirek­tor hat vor allem den Chancenwuc­her als Ursache für die Hinspielni­ederlage ausgemacht. Doch in Wiesbaden hatte die DFB-Auswahl damals insgesamt keine Antwort auf die kompakte, körperbeto­nte Spielweise der Gegnerinne­n. Carlson benennt die Haltung, um der »überragend­en Mentalität« der Isländerin­nen beizukomme­n: »Wir sind fußballeri­sch die bessere Mannschaft. Und auch wenn es windig ist oder regnet, darf uns das nicht abhalten.«

 ?? Foto: imago/Hansjürgen Britsch ?? Die Isländerin­nen wirbelten die deutschen Fußballeri­nnen um Alexandra Popp (2.v.l.) beim 2:3 im Hinspiel ordentlich durcheinan­der.
Foto: imago/Hansjürgen Britsch Die Isländerin­nen wirbelten die deutschen Fußballeri­nnen um Alexandra Popp (2.v.l.) beim 2:3 im Hinspiel ordentlich durcheinan­der.

Newspapers in German

Newspapers from Germany