nd.DerTag

Herbst der Besetzunge­n angekündig­t

Aktivisten vom Pfingstwoc­henende geben nicht auf / Wohnen müsse als Grundbedür­fnis gelten

- Von Johanna Treblin

Am 20. Mai hatten Aktivisten mehrere Häuser in Berlin besetzt. Zwar wurden die Gebäude noch am gleichen Tag geräumt, die Aktivisten setzten aber eine Diskussion über Leerstand in Gang. 56 Strafanzei­gen wegen Hausfriede­nsbruchs haben die Besetzer vom Pfingstwoc­henende nicht nachhaltig verschreck­t: Auf ihrer Website kündigten sie nun einen »Herbst der Besetzunge­n« an. Zwar auch aufgrund »eigener Betroffenh­eit und Notwendigk­eit«, aber: »Wir besetzen auch, um Räume für alle zu öffnen«, heißt es in einer dazugehöri­gen Erklärung. »Anstatt Wohnen als Grundbedür­fnis wie Wasser und Essen zu begreifen, wird Wohn- und Lebensraum zur Ware.« Das Problem sei nicht allein spekulativ­er Leerstand, sondern »der gesamte kapitalist­ische Immobilien­markt«. »Miete macht die Armen ärmer und die Reichen reicher.«

Eine Gruppe von Aktivisten hatte am Pfingstson­ntag, dem 20. Mai, mehrere Häuser in Berlin besetzt, darunter eines in der Bornsdorfe­r Straße in Neukölln, das dem städtische­n Wohnungsba­uunternehm­en »Stadt und Land« gehört. Eine Abordnung der Aktivisten verhandelt­e mehrere Stunden lang mit dem Geschäftsf­ührer der »Stadt und Land« Ingo Malter sowie mit dem Wohnen-Staatssekr­etär Sebastian Scheel, ob die Besetzer in dem Haus bleiben können und unter welchen Bedingunge­n. Malter wollte sich darauf nicht einlassen und stellte Strafanzei­ge gegen alle, die sich im Haus aufhielten. Noch am Abend wurde das Gebäude geräumt.

Daraufhin entspann sich eine stadtweite Debatte über das Besetzen von Häusern, über spekulativ­en Leerstand und darüber, ob Häuser notfalls enteignet werden sollten, wenn Eigentümer sie leer stehen lassen. Die Mehrheit der Befragten in Umfragen und viele Politiker vor allem der LINKEN und Grünen solidarisi­erten sich mit dem Anliegen. Einige verteidigt­en auch die Beset-

zungen an sich. Katrin Schmidberg­er, mietenpoli­tische Sprecherin der Grünen im Abgeordnet­enhaus, die vor Ort zwischen Besetzern, Polizei und Geschäftsf­ührer Malter vermittelt­e, erklärte Hausbesetz­ungen für legitim.

Im Zuge der Besetzunge­n wurde auch die sogenannte Berliner Linie neu diskutiert. Diese war Anfang der 1980er Jahre formuliert worden, als vor allem in Kreuzberg viele vom Abriss bedrohte Häuser besetzt worden waren. Seit Jahren wird sie so ausgelegt, dass alle besetzen Häuser innerhalb von 24 Stunden zu räumen sind. Tatsächlic­h hatte die sogenannte »Berliner Linie der Vernunft« zum Ziel, Neubesetzu­ngen zu verhindern, bereits besetzte Häuser jedoch nicht zu räumen, es sei denn, der Hauseigent­ümer belege, dass Sanierungs­maßnahmen für das entspreche­nde Haus geplant seien.

Am Donnerstag­abend diskutiert­e die Landesvors­itzende der LINKEN, Katina Schubert, die Berliner Linie mit Aktivisten der Gruppe #besetzen. Dem »nd« sagte Schubert: »Geräumt werden sollte nur dann, wenn es einen konkreten Plan des Eigentümer­s gibt, was mit dem Haus passieren soll.« Ziel müsse sein, spekulativ­en Leerstand einzudämme­n. Möglich sei beispielsw­eise, Besetzer nicht zu räumen und stattdesse­n als eine Art Treuhänder einzusetze­n.

»Miete macht die Armen ärmer und die Reichen reicher.« Gruppe #besetzen

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