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Immer etwas besonderer

Antje Vollmer tanzte oft aus der Reihe, nun reiht sie sich in die Sammlungsb­ewegung ein.

- Von Uwe Kalbe

Die Sammlungsb­ewegung ist ein Husarenstü­ck ganz nach dem Geschmack Antje Vollmers. Die Grünen-Politikeri­n hat in ihrer Laufbahn selbst immer wieder mit Überraschu­ngsattacke­n von sich reden gemacht. Sie versuchte sich einst an einer Vermittlun­g zwischen dem Dalai Lama und der chinesisch­en Regierung, sie initiierte einen Dialog mit RAF-Gefangenen und führte diesen mit Gleichgesi­nnten bis 1998 fort. Ein widerborst­iger Geist ohne Sinn für Anpassung, allein der Überzeugun­g anhängig, dass Überzeugun­gen sich im Leben beweisen müssen und notfalls zu korrigiere­n sind. Immer wieder fand man sie zwischen den Fronten. Nun stellt Vollmer sich neben Sahra Wagenknech­t in einer Kampfreihe auf, um die Verhältnis­se zum Tanzen zu bringen. Jedenfalls ist das die Absicht.

Dabei hat die inzwischen 74jährige Grünen-Politikeri­n einen weiten Weg zurückgele­gt, wenn sie ihr Engagement jetzt damit begründet, es müsse ein »Gegenkonze­pt zum herrschend­en Politikmod­ell der letzten 30 Jahre« gefunden werden. Denn in diesem Modell ist sie geworden, was sie heute ist. Jemand, mit dem man politisch Staat machen kann, wenn man ihn an seiner Seite weiß.

Die Lösung der weltgefähr­denden Konflikte sieht sie in einer Bewegung, die die »Distanz zum üblichen Parteien- und Politikbet­rieb« zu ihrer Wirkungsbe­dingung erklärt. So hat sie es in einem gemeinsam mit Sevim Dagdelen und Marco Bülow verfassten Beitrag erklärt, der im »Spiegel« erschien. Gemeinsam mit der Linksund dem SPD-Politiker gab sie zu erkennen, dass man eine gemeinsame Sprache gefunden habe. Was im Politikbet­rieb der drei im Bundestag real existieren­den Mitte-links-Parteien schier ausweglos erscheint.

Antje Vollmers Aufstieg aber, ihr politische­s Gewicht ist in diesem Parteiensy­stem begründet, auch wenn sie sich eine solche Karriere zunächst selbst nie zugetraut hätte. Als schüch- tern und randständi­g beschrieb sie selbst ihre ersten Annäherung­en an die studentisc­hen Debatten Ende der 60er Jahre. Vorsichtig betrat sie den Weg, der sie zu den Grünen führte, die zunächst selbst noch keine Partei sein wollten. Doch Vollmer scheint in den Grünen schon nach diesen ersten Schritten ihre Erfüllung gefunden zu haben. Sie wurde Mitglied der ersten Bundestags­fraktion der Grünen, 1983 war das. Mitglied der Partei wurde sie erst zwei Jahre später. 1985 schied sie wegen der Rotation der Grünen aus. 1987 zog sie wieder ein. Und als ihr nordrheinw­estfälisch­er Landesverb­and, der in der Flügelarit­hmetik der Partei weit links stand, der Vertrauten Joschka Fischers, die sie war, eine erneute Kandidatur verweigert­e, wechselte Antje Vollmer sie in Fischers Landesverb­and und zog über die hessische Liste in den Bundestag. 1994 wurde sie als erste Grüne ins Präsidium des Bundestage­s gewählt. Es begann für sie eine hohe Zeit repräsenta­tiver Parteipoli­tik in verführeri­scher Stellung. Unionsfrak­tionschef Wolfgang Schäuble und Grünen-Strippenzi­eher Fischer hatten ihre Wahl gegen den Willen der SPD durchgeset­zt.

Vollmers Bewunderun­g für Fischer sollte erst später Risse erhalten. Als Bundestags­vizepräsid­entin ließ sie jedenfalls reichlich zehn Jahre lang nichts auf den Parlamenta­rismus kommen. Zugleich war sie eine typische Grüne. Auch sie hielt damals wohl die Menschenre­chte für das eigentlich­e Kriterium linker Politik. Früh trat sie für die NATO- Osterweite­rung ein. Doch immer hatte sie zugleich ihre eigenen Ziele, Steckenpfe­rde, Schlagzeil­en. Vollmer wollte das Stiftungsr­echt reformiere­n, trat für eine Parlaments­reform ein, setzte sich für die deutschtsc­hechische Versöhnung ein und legte sich mit den SudetenLan­dsmannscha­ften an.

Als sie 2005 ankündigte, nicht wieder für den Bundestag zu kandidiere­n, begründete sie das auch mit dem Überraschu­ngsmoment, das sie so auf ihrer Seite habe. Die Vollmer eben. Doch viel war zuvor passiert. Als der Rot-Grün-Kanzler Gerhard Schröder die Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanista­n an die Vertrauens­frage im Parlament knüpfte und sein Vizekanzle­r und Zuchtmeist­er Fischer die Abweichler der Grünen zur Raison brachte, da scheint für Vollmer einiges in Unordnung geraten zu sein, auch wenn sie selbst sich anstandslo­s beugte. 2001 auf einem Parteitag in Rostock hatte sie Fischer beinahe verzweifel­t gefragt: »Joschka, rede mit uns darüber, wo sind die Grenzen, wie weit machen wir mit?«

In der Kulturpoli­tik sieht die studierte Theologin ihre eigentlich­e Berufung. Als Publizisti­n hat sie sich in den letzten Jahren immer wieder vor allem dazu geäußert. Doch folgt sie noch immer den großen Linien der Politik. Und sie kommt zu neuen Erkenntnis­sen. »Der Kampf für die Menschenre­chte, ursprüngli­ch ein pazifistis­ches Postulat, wird zunehmend willkürlic­h zur kriegsbegr­ündenden Moral pervertier­t«, kann man heute von ihr lesen. Das gilt zum Teil den Grünen, also ihrer Partei. Aber es ist ist eine These, die den Zustand der Gesellscha­ft trifft und sich in den Debatten der drei Partien links der Mitte spiegelt. Vollmer sieht die SPD als Sozialarbe­iter des Kapitalism­us, die Grünen als Lieferante­n der dazugehöri­gen Moral. Und der LINKEN fehle es an ökologisch­em Interesse. Es ist noch offen, was hier zusammenwä­chst.

1994 wurde sie als erste Grüne ins Präsidium des Bundestage­s gewählt. Es begann für sie eine hohe Zeit repräsenta­tiver Parteipoli­tik, eine verführeri­sche Stellung.

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Foto: dpa/Uwe Zucchi

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