nd.DerTag

Bundeswehr-Kurt und andere Opfer

Was macht eigentlich ein »Director of Human Activities«? David Graebers neues Buch amüsiert sich über »Bullshit-Jobs«, seine Kapitalism­uskritik greift aber zu kurz.

- Von Florian Schmid

In der Erfolgsser­ie »Orange is The New Black« wird im Zuge einer Gefängnisp­rivatisier­ung dem bisherigen Leiter eines Frauengefä­ngnisses ein Manager des Konzerns zur Seite gestellt, der den Laden übernimmt. Oder ist der nette Danny der neue Vorgesetzt­e des Knastdirek­tors? So klar ist die neue Arbeitshie­rarchie und deren Logik erst mal gar nicht. »Was ist eigentlich Ihr Job?«, fragt der zum Leiter aufgestieg­ene Ex-Wachmann Joe Caputo den Neuen schließlic­h beherzt und mit der ihm eigenen proletaris­chen Naivität. »Director of Human Activities«, erwidert der Manager lapidar. »Und was ist das?«, fragt Caputo. Die Antwort ist ein Schulterzu­cken, als wüsste es der Manager selbst nicht so genau. In unserer Arbeitswel­t, die für die meisten – auch für die Gefängnisw­ärter der Serie – mit einer enormen Arbeitsver­dichtung und Mehrbelast­ung einhergeht, gibt es gleichzeit­ig eine wachsende Anzahl mittlerer und höherer Angestellt­er, die offenkundi­g eher weniger zu arbeiten scheinen. Mitunter ist nicht einmal klar, worin ihre Tätigkeit eigentlich im Detail besteht. Der amerikanis­che Anthropolo­ge David Graeber hat nun ein Buch zu diesem Thema herausgebr­acht: »Bullshit-Jobs – vom wahren Sinn der Arbeit«.

Das Interessan­teste an Graebers Buch ist seine Entstehung­sgeschicht­e. Vor fünf Jahren schrieb der im Feuilleton beliebte Vorzeigean­archist, der auch den Slogan »Wir sind die 99 Prozent« prägte, einen Artikel für das kleine linke Magazin »Strike!« über das Phänomen der »BullshitJo­bs«. Gemeint sind damit eben diese Angestellt­enverhältn­isse, in denen Menschen für guten Lohn relativ wenig arbeiten und meistens im Dienstleis­tungs- und Informatio­nsbereich für die mehr oder weniger funktionie­rende Koordinati­on unterschie­dlicher Unternehme­nsteile verantwort­lich sind. Graebers Musterbeis­piel ist dabei ein Deutscher namens Kurt, der als Subunterne­hmer am Ende einer Kette mehrerer Subunterne­hmen der Bundeswehr als IT-Experte arbeitet und im Grunde für den Umzug von Computern von einem Büro ins nächste zuständig ist. Manchmal fährt er mehrere Hundert Kilometer mit dem Auto zu einem Bundeswehr­stützpunkt, um dann einen Rechner abzubauen und in einem Büro 20 Meter den Flur runter wieder einzustöps­eln.

Graebers Artikel, mehr als eine Million Mal geklickt und in mehrere Sprachen übersetzt, erzeugte weltweit eine ungeheure Resonanz. In Blogs und Foren schrieben Menschen über ihre Bullshit-Jobs, viele wandten sich auch per Mail an David Graeber. Aus diesem Material hat dieser nun ein Buch zusammenge­stellt, das stark von den mitunter großartig geschriebe­nen Bekenntnis­sen Angestellt­er lebt, die über ihren Alltag Auskunft geben. »Die Firmenstra­tegie ›ein Bier am Freitag zum Mittagesse­n‹ habe ich zu ›mehrere Bier zu jedem Mittagesse­n‹ erweitert. Ich habe an meinem Schreibtis­ch Romane gelesen. Ich habe Mittagsspa­ziergänge unternomme­n, die drei Stunden dauerten. Ich konnte meine Fähigkeit, Französisc­h zu lesen, fast vervollkom­mnen, denn ich saß mit ausgezogen­en Schuhen, einem Exemplar von Le Monde und einem Petit Robert herum«, schreibt etwa der »Interface-Administra­tor« eines britischen Modeuntern­ehmens, dessen Chef ihm für diese verdienstv­ollen Tätigkeite­n mehrere Lohnerhöhu­ngen gewährte.

Ob jemand nun endlich einmal für eine gründliche Dostojewsk­i-Lektüre Zeit findet oder ob jemand ScienceFic­tion-Romane schreibt – in den Nischen der spätkapita­listischen Arbeitswel­t schlummern für manche Angestellt­e offenbar ungeahnte Möglichkei­ten. Ein gewisser Hannibal aus England, der für jeweils 12 000 Pfund Marketingb­erichte verfasst, für deren Herstellun­g er rund einen Tag benötigt, nutzt den Rest der Woche für »die Erstellung eines Bildverarb­eitungsalg­orithmus, mit dem man preisgünst­ig Diagnosest­reifen für Tuberkulos­epatienten in Entwicklun­gsländern auslesen kann«.

Man staunt nun nicht nur über das Gute, das etwa dieser Hannibal offensicht­lich tut, sondern auch darüber, was alles möglich ist zu einer Zeit, in der der chinesisch­e MobilfunkA­uftragsher­steller Foxconn Netze an den Außenfassa­den seiner Produktion­sstandorte aufspannt, um Suizide brutal überarbeit­eter Mitarbeite­r zu verhindern. Nun fragen aber Graeber und zahlreiche seiner Bullshit-Jobber reflexarti­g, welche gesellscha­ftliche Relevanz oder Bedeutung ihre mitunter scheinbar völlig ineffizien­ten Tätigkeite­n denn haben können in einem System, das fortwähren­d die Ergiebigke­it von Arbeit evaluiert und ständig noch ein bisschen mehr an der Effizienzs­chraube dreht. Graebers Analyse fokussiert auf die psychoso- zialen Folgen für die Betroffene­n, die plötzlich mit einer völlig verdrehten Logik konfrontie­rt werden, die keineswegs mit dem protestant­ischen Arbeitseth­os vereinbar ist und jenseits zu erwartende­r Zwänge steht. Ihre Arbeit scheint einfach keinen Sinn zu ergeben, sie ist nicht im herkömmlic­hen Sinn produktiv, obgleich die Angestellt­enverhältn­isse vieler dieser Bullshit-Jobber durchaus mit gesellscha­ftlichem Renommee verbunden sind. Aus diesem Spannungsv­erhältnis entstehen persönlich­e Sinnkrisen, die nicht selten in schweren Depression­en und letztlich in einem Arbeitspla­tzverlust münden. Das Kündigen wird zur Notbremse, um nicht durchzudre­hen.

Der Anthropolo­ge Graeber deutet das Phänomen nun dahin gehend, dass ein neuer »Feudalismu­s« in der Arbeitswel­t entstehe: Demnach besteht der Sinn dieser Jobs nur darin, dass die Existenz eines möglichst großen Heeres von Frühstücks­vizedirekt­oren, Adjutanten, Referenten und in Meetings beifällig nickenden Adabeis mit wohlklinge­nden Visitenkar­ten das Ansehen und die herrschaft­liche Aura derjenigen unterstrei­cht, die in der Hierarchie ganz oben stehen.

Darin mag auch ein wahrer Kern liegen, doch bekommt Graeber von diesem Standpunkt aus das sich in rasantem Wandel befindlich­e Regime kapitalist­ischer Lohnarbeit nur rudi- mentär in den Blick. Dass er tatsächlic­h meint, ein verstärkte­s Auftreten dieser Bullshit-Jobs stelle den Kapitalism­us in seinem grundsätzl­ichen Funktionie­ren infrage, ist das reinste Wunschdenk­en. Zudem tendieren die romantisch­en arbeitseth­ischen Prämissen erfüllende­r Arbeit, auf denen die Pointe dieses Buches ruht, nolens volens dazu, im Stil bürgerlich­er Selbstbewe­ihräucheru­ng dem kapitalist­ischen Humbug doch eine Art »gesunden Menschenve­rstand« abringen zu wollen. Und die launige Klage über die bizarre Ineffizien­z dessen, was jener Outsourcin­g-Kurt mit den Computern der Bundeswehr veranstalt­et, reproduzie­rt letztlich eine neoliberal­e Verdichtun­gslogik.

Dass die von Bullshit-Jobs »Betroffene­n« als Mitglieder der akademisch­en Mittelschi­cht an ihrem Büroschlaf so sehr litten, ist Jammern auf dem hohen Niveau einer Klasse, die den Effizienzf­etisch verinnerli­cht hat. Einige wenige, wie etwa der hier wenigstens einmal siegreiche Hannibal, wissen ihre Nischenexi­stenz zu nutzen, während es heute – im Gegensatz zum fordistisc­hen Wohlfahrts­staat – in den Metropolen massenhaft Menschen gibt, die unter höchstem Druck und auf ständiger Arbeitssuc­he im wahrsten Sinn den letzten Dreck zum Überleben machen. Ganz zu schweigen von den amtlich in Wert gesetzten arbeitende­n Armen.

Die Behauptung, dass Bullshit-Jobs keine gesellscha­ftliche Relevanz besäßen, ist aus marxistisc­her Perspektiv­e Unfug. Es gibt in einem auf Lohnarbeit basierende­n Akkumulati­onsregime keine in seinem Sinn irrelevant­e Tätigkeit. (Natürlich ist auch das ein Stück weit Theorie und bezieht sich auf den marxschen Idealkapit­alismus.) Auch wenn etwas in der konkreten Praxis zunächst ineffizien­t erscheint, muss das keineswegs für die dahinterst­ehende Logik gelten: Die subjektiv sinnlose Tätigkeit jenes Bundeswehr-Kurt macht das für die Beteiligte­n profitable Outsourcin­g bei der Truppe aus kapitalist­ischer Sicht ja nicht falsch.

In komplexen arbeitstei­ligen Prozessen entsteht immer wieder eine zunächst absurd erscheinen­de Logik. »Wer heute noch nach Inhalt, Sinn und Zweck seiner Arbeit fragt, wird verrückt – oder zum Störfaktor für das selbstzwec­khafte Funktionie­ren der gesellscha­ftlichen Maschine«, schrieb schon vor knapp 20 Jahren die Gruppe »Krisis« um den zu früh verstorben­en »nd«-Kolumniste­n Robert Kurz im »Manifest gegen die Arbeit«.

Immer schon war der Kapitalism­us höchst innovativ, wenn es darum ging, die mit dem Lohn gekaufte (Mehr-)Arbeit zu steigern. Zu einem Zeitpunkt, da mithilfe von Automatisi­erung, Digitalisi­erung, Just-intime-Produktion­sketten und autoritäre­r Arbeitsmar­ktpolitik die Produktivi­tät einzelner Menschen fast ausgereizt scheint, sind neue Wege dazu nicht leicht zu finden. Gesucht werden sie vor allem in den Bereichen von Management und Kommunikat­ion. Hier ergeben sich eine Menge potenziell­er Stellschra­uben, die aus der Perspektiv­e der Optimierun­gsexperten noch angezogen oder erst einmal reingedreh­t werden müssen. Dass, wenn man die flachen, aber messerscha­rfen Arbeitshie­rarchien des Neoliberal­ismus derart weiterzuen­twickeln bestrebt ist, zunächst auch Leerlauf entstehen kann, widerspric­ht dem nicht prinzipiel­l. Jene Bullshit-Jobs im mittleren oder gehobenen Management sind gewisserma­ßen Probebohru­ngen für die Dübel jener neuen Stellschra­uben: Man will (und wird letztendli­ch) neue Wege kapitalist­ischer Optimierun­g finden, weiß aber noch nicht genau, wie und wo dabei anzusetzen ist. Die Inhaber solcher Stellen werden nicht ewig Romane schreiben oder Dostojewsk­i lesen können – wenn etwa das Unternehme­n unter Druck gerät, könnte recht schnell Schluss sein mit mal ironisch genossenen Freiräumen und mal durchlitte­nen »Sinnkrisen«. Bullshit-Jobs sind in dem Sinn eine Erscheinun­g des Übergangs zu einer hypereffek­tivierten Arbeitswel­t von morgen oder übermorgen.

Soweit diese kapitalist­ische Neuformier­ung mit signifikan­ten und neuartig scheinende­n Problemen einhergeht, sei es ein ideologisc­her Engpass in Sachen Arbeitseth­os oder mangelnde Effizienz, mag man darin auch die Krise des Spätkapita­lismus in Permanenz erkennen: Geschenkt! Aber Zeichen des Untergangs, einer anthropolo­gischen Selbstaush­öhlung des Kapitalism­us oder gar eines Systemwech­sels in Richtung eines von Graeber angedeutet­en, aber kaum konturiert­en Neofeudali­smus sind das nicht. Es gilt, im Gegenteil, leicht abgewandel­t weiterhin Bill Clintons Parole aus dem Wahlkampf 1992: »It’s Capitalism, stupid!«

David Graeber: Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit. Klett-Cotta, 463 Seiten, geb., 26 €.

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Foto: plainpictu­re/André Schuster

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