Bundeswehr-Kurt und andere Opfer
Was macht eigentlich ein »Director of Human Activities«? David Graebers neues Buch amüsiert sich über »Bullshit-Jobs«, seine Kapitalismuskritik greift aber zu kurz.
In der Erfolgsserie »Orange is The New Black« wird im Zuge einer Gefängnisprivatisierung dem bisherigen Leiter eines Frauengefängnisses ein Manager des Konzerns zur Seite gestellt, der den Laden übernimmt. Oder ist der nette Danny der neue Vorgesetzte des Knastdirektors? So klar ist die neue Arbeitshierarchie und deren Logik erst mal gar nicht. »Was ist eigentlich Ihr Job?«, fragt der zum Leiter aufgestiegene Ex-Wachmann Joe Caputo den Neuen schließlich beherzt und mit der ihm eigenen proletarischen Naivität. »Director of Human Activities«, erwidert der Manager lapidar. »Und was ist das?«, fragt Caputo. Die Antwort ist ein Schulterzucken, als wüsste es der Manager selbst nicht so genau. In unserer Arbeitswelt, die für die meisten – auch für die Gefängniswärter der Serie – mit einer enormen Arbeitsverdichtung und Mehrbelastung einhergeht, gibt es gleichzeitig eine wachsende Anzahl mittlerer und höherer Angestellter, die offenkundig eher weniger zu arbeiten scheinen. Mitunter ist nicht einmal klar, worin ihre Tätigkeit eigentlich im Detail besteht. Der amerikanische Anthropologe David Graeber hat nun ein Buch zu diesem Thema herausgebracht: »Bullshit-Jobs – vom wahren Sinn der Arbeit«.
Das Interessanteste an Graebers Buch ist seine Entstehungsgeschichte. Vor fünf Jahren schrieb der im Feuilleton beliebte Vorzeigeanarchist, der auch den Slogan »Wir sind die 99 Prozent« prägte, einen Artikel für das kleine linke Magazin »Strike!« über das Phänomen der »BullshitJobs«. Gemeint sind damit eben diese Angestelltenverhältnisse, in denen Menschen für guten Lohn relativ wenig arbeiten und meistens im Dienstleistungs- und Informationsbereich für die mehr oder weniger funktionierende Koordination unterschiedlicher Unternehmensteile verantwortlich sind. Graebers Musterbeispiel ist dabei ein Deutscher namens Kurt, der als Subunternehmer am Ende einer Kette mehrerer Subunternehmen der Bundeswehr als IT-Experte arbeitet und im Grunde für den Umzug von Computern von einem Büro ins nächste zuständig ist. Manchmal fährt er mehrere Hundert Kilometer mit dem Auto zu einem Bundeswehrstützpunkt, um dann einen Rechner abzubauen und in einem Büro 20 Meter den Flur runter wieder einzustöpseln.
Graebers Artikel, mehr als eine Million Mal geklickt und in mehrere Sprachen übersetzt, erzeugte weltweit eine ungeheure Resonanz. In Blogs und Foren schrieben Menschen über ihre Bullshit-Jobs, viele wandten sich auch per Mail an David Graeber. Aus diesem Material hat dieser nun ein Buch zusammengestellt, das stark von den mitunter großartig geschriebenen Bekenntnissen Angestellter lebt, die über ihren Alltag Auskunft geben. »Die Firmenstrategie ›ein Bier am Freitag zum Mittagessen‹ habe ich zu ›mehrere Bier zu jedem Mittagessen‹ erweitert. Ich habe an meinem Schreibtisch Romane gelesen. Ich habe Mittagsspaziergänge unternommen, die drei Stunden dauerten. Ich konnte meine Fähigkeit, Französisch zu lesen, fast vervollkommnen, denn ich saß mit ausgezogenen Schuhen, einem Exemplar von Le Monde und einem Petit Robert herum«, schreibt etwa der »Interface-Administrator« eines britischen Modeunternehmens, dessen Chef ihm für diese verdienstvollen Tätigkeiten mehrere Lohnerhöhungen gewährte.
Ob jemand nun endlich einmal für eine gründliche Dostojewski-Lektüre Zeit findet oder ob jemand ScienceFiction-Romane schreibt – in den Nischen der spätkapitalistischen Arbeitswelt schlummern für manche Angestellte offenbar ungeahnte Möglichkeiten. Ein gewisser Hannibal aus England, der für jeweils 12 000 Pfund Marketingberichte verfasst, für deren Herstellung er rund einen Tag benötigt, nutzt den Rest der Woche für »die Erstellung eines Bildverarbeitungsalgorithmus, mit dem man preisgünstig Diagnosestreifen für Tuberkulosepatienten in Entwicklungsländern auslesen kann«.
Man staunt nun nicht nur über das Gute, das etwa dieser Hannibal offensichtlich tut, sondern auch darüber, was alles möglich ist zu einer Zeit, in der der chinesische MobilfunkAuftragshersteller Foxconn Netze an den Außenfassaden seiner Produktionsstandorte aufspannt, um Suizide brutal überarbeiteter Mitarbeiter zu verhindern. Nun fragen aber Graeber und zahlreiche seiner Bullshit-Jobber reflexartig, welche gesellschaftliche Relevanz oder Bedeutung ihre mitunter scheinbar völlig ineffizienten Tätigkeiten denn haben können in einem System, das fortwährend die Ergiebigkeit von Arbeit evaluiert und ständig noch ein bisschen mehr an der Effizienzschraube dreht. Graebers Analyse fokussiert auf die psychoso- zialen Folgen für die Betroffenen, die plötzlich mit einer völlig verdrehten Logik konfrontiert werden, die keineswegs mit dem protestantischen Arbeitsethos vereinbar ist und jenseits zu erwartender Zwänge steht. Ihre Arbeit scheint einfach keinen Sinn zu ergeben, sie ist nicht im herkömmlichen Sinn produktiv, obgleich die Angestelltenverhältnisse vieler dieser Bullshit-Jobber durchaus mit gesellschaftlichem Renommee verbunden sind. Aus diesem Spannungsverhältnis entstehen persönliche Sinnkrisen, die nicht selten in schweren Depressionen und letztlich in einem Arbeitsplatzverlust münden. Das Kündigen wird zur Notbremse, um nicht durchzudrehen.
Der Anthropologe Graeber deutet das Phänomen nun dahin gehend, dass ein neuer »Feudalismus« in der Arbeitswelt entstehe: Demnach besteht der Sinn dieser Jobs nur darin, dass die Existenz eines möglichst großen Heeres von Frühstücksvizedirektoren, Adjutanten, Referenten und in Meetings beifällig nickenden Adabeis mit wohlklingenden Visitenkarten das Ansehen und die herrschaftliche Aura derjenigen unterstreicht, die in der Hierarchie ganz oben stehen.
Darin mag auch ein wahrer Kern liegen, doch bekommt Graeber von diesem Standpunkt aus das sich in rasantem Wandel befindliche Regime kapitalistischer Lohnarbeit nur rudi- mentär in den Blick. Dass er tatsächlich meint, ein verstärktes Auftreten dieser Bullshit-Jobs stelle den Kapitalismus in seinem grundsätzlichen Funktionieren infrage, ist das reinste Wunschdenken. Zudem tendieren die romantischen arbeitsethischen Prämissen erfüllender Arbeit, auf denen die Pointe dieses Buches ruht, nolens volens dazu, im Stil bürgerlicher Selbstbeweihräucherung dem kapitalistischen Humbug doch eine Art »gesunden Menschenverstand« abringen zu wollen. Und die launige Klage über die bizarre Ineffizienz dessen, was jener Outsourcing-Kurt mit den Computern der Bundeswehr veranstaltet, reproduziert letztlich eine neoliberale Verdichtungslogik.
Dass die von Bullshit-Jobs »Betroffenen« als Mitglieder der akademischen Mittelschicht an ihrem Büroschlaf so sehr litten, ist Jammern auf dem hohen Niveau einer Klasse, die den Effizienzfetisch verinnerlicht hat. Einige wenige, wie etwa der hier wenigstens einmal siegreiche Hannibal, wissen ihre Nischenexistenz zu nutzen, während es heute – im Gegensatz zum fordistischen Wohlfahrtsstaat – in den Metropolen massenhaft Menschen gibt, die unter höchstem Druck und auf ständiger Arbeitssuche im wahrsten Sinn den letzten Dreck zum Überleben machen. Ganz zu schweigen von den amtlich in Wert gesetzten arbeitenden Armen.
Die Behauptung, dass Bullshit-Jobs keine gesellschaftliche Relevanz besäßen, ist aus marxistischer Perspektive Unfug. Es gibt in einem auf Lohnarbeit basierenden Akkumulationsregime keine in seinem Sinn irrelevante Tätigkeit. (Natürlich ist auch das ein Stück weit Theorie und bezieht sich auf den marxschen Idealkapitalismus.) Auch wenn etwas in der konkreten Praxis zunächst ineffizient erscheint, muss das keineswegs für die dahinterstehende Logik gelten: Die subjektiv sinnlose Tätigkeit jenes Bundeswehr-Kurt macht das für die Beteiligten profitable Outsourcing bei der Truppe aus kapitalistischer Sicht ja nicht falsch.
In komplexen arbeitsteiligen Prozessen entsteht immer wieder eine zunächst absurd erscheinende Logik. »Wer heute noch nach Inhalt, Sinn und Zweck seiner Arbeit fragt, wird verrückt – oder zum Störfaktor für das selbstzweckhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Maschine«, schrieb schon vor knapp 20 Jahren die Gruppe »Krisis« um den zu früh verstorbenen »nd«-Kolumnisten Robert Kurz im »Manifest gegen die Arbeit«.
Immer schon war der Kapitalismus höchst innovativ, wenn es darum ging, die mit dem Lohn gekaufte (Mehr-)Arbeit zu steigern. Zu einem Zeitpunkt, da mithilfe von Automatisierung, Digitalisierung, Just-intime-Produktionsketten und autoritärer Arbeitsmarktpolitik die Produktivität einzelner Menschen fast ausgereizt scheint, sind neue Wege dazu nicht leicht zu finden. Gesucht werden sie vor allem in den Bereichen von Management und Kommunikation. Hier ergeben sich eine Menge potenzieller Stellschrauben, die aus der Perspektive der Optimierungsexperten noch angezogen oder erst einmal reingedreht werden müssen. Dass, wenn man die flachen, aber messerscharfen Arbeitshierarchien des Neoliberalismus derart weiterzuentwickeln bestrebt ist, zunächst auch Leerlauf entstehen kann, widerspricht dem nicht prinzipiell. Jene Bullshit-Jobs im mittleren oder gehobenen Management sind gewissermaßen Probebohrungen für die Dübel jener neuen Stellschrauben: Man will (und wird letztendlich) neue Wege kapitalistischer Optimierung finden, weiß aber noch nicht genau, wie und wo dabei anzusetzen ist. Die Inhaber solcher Stellen werden nicht ewig Romane schreiben oder Dostojewski lesen können – wenn etwa das Unternehmen unter Druck gerät, könnte recht schnell Schluss sein mit mal ironisch genossenen Freiräumen und mal durchlittenen »Sinnkrisen«. Bullshit-Jobs sind in dem Sinn eine Erscheinung des Übergangs zu einer hypereffektivierten Arbeitswelt von morgen oder übermorgen.
Soweit diese kapitalistische Neuformierung mit signifikanten und neuartig scheinenden Problemen einhergeht, sei es ein ideologischer Engpass in Sachen Arbeitsethos oder mangelnde Effizienz, mag man darin auch die Krise des Spätkapitalismus in Permanenz erkennen: Geschenkt! Aber Zeichen des Untergangs, einer anthropologischen Selbstaushöhlung des Kapitalismus oder gar eines Systemwechsels in Richtung eines von Graeber angedeuteten, aber kaum konturierten Neofeudalismus sind das nicht. Es gilt, im Gegenteil, leicht abgewandelt weiterhin Bill Clintons Parole aus dem Wahlkampf 1992: »It’s Capitalism, stupid!«
David Graeber: Bullshit-Jobs. Vom wahren Sinn der Arbeit. Klett-Cotta, 463 Seiten, geb., 26 €.