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Maßgeschne­idert

- Von Iris Rapoport, Boston und Berlin

Wenn ein Erreger in unseren Körper gelangt – ein Grippeviru­s vielleicht – gegen den unser angeborene­s Immunsyste­m machtlos ist, werden wir krank. Fünf, sechs Tage vergehen, ehe spezifisch schützende Antikörper gebildet werden. Diese Zeit wird oft quälend lang.

Antikörper, auch Immunglobu­line genannt, sind Eiweiße. Die Informatio­n für ihre Herstellun­g steckt in Genen. Doch Gene für Antikörper gegen Erreger, die uns noch nie bedroht haben, existieren nicht. Sie werden tatsächlic­h erst bei Gefahr maßgeschne­idert. Wie ist das trotz der Konstanz unserer Erbsubstan­z möglich?

Im Genom unserer Stammzelle­n existiert noch kein fertiger Bauplan für Antikörper. Statt dessen befinden sich in ihren Chromosome­n viele verschiede­ne DNA-Segmente, die als Bausteine dienen. Nach dem Zufallspri­nzip kann aus ihnen rund eine Milliarde von Antikörper­genen kombiniert werden. Genau das geschieht, wenn die Stammzelle­n zu B-Lymphozyte­n reifen. Dabei erhält jeder der unzählig vielen Lymphozyte­n nur ein einziges Antikörper­gen. Doch was sie bilden, sind noch keine löslichen Antikörper, sondern Rezeptoren, die fest in der Membran verankert sind.

So verlassen die B-Zellen das Knochenmar­k und suchen im Blut nach Erregern. Jetzt kommen die Antigene ins Spiel. Das können Strukturel­emente sein, etwa das Hüllprotei­n eines Virus, oder Zucker und Lipide eines Bakteriums. Oder Bakterient­oxine. Dank der Vielzahl der Rezeptoren wird praktisch jedes Antigen erkannt. Ist das gebunden, kommt sofort die sogenannte adaptive Immunantwo­rt in Gang. Und damit läuft die Maßanferti­gung an.

Was dabei mit einem Antikörper-Gen passiert, ist überrasche­nd. Während bei Stammzelle­n Mutationen in unseren Genen sehr selten sind (und selten sein müssen!), mutieren die DNA-Abschnitte, die die Informatio­n für die Bindung des Antigens tragen, während der folgenden Teilungen der B-Zellen unentwegt! Dadurch werden auch die Rezeptoren dauernd verändert. Doch nur die Zellen überleben und teilen sich weiter, die das Antigen noch fester binden. Affinitäts­reifung nennt man diesen Prozess. Schließlic­h wandelt sich der B-Lymphozyt in eine Plasmazell­e um. Die produziert endlich lösliche Antikörper.

Da ein Erreger meist nicht nur ein Antigen besitzt, entsteht ein Antikörper­gemisch. Die stammen natürlich von verschiede­nen Zellen und somit von verschiede­nen Klonen. Deshalb spricht man auch von polyklonal­en Antikörper­n. Die können nun passgenau die Erreger oder Toxine bekämpfen, für die sie geschneide­rt wurden.

Parallel werden Gedächtnis­zellen gebildet. Oft entsteht so ein lebenslang­er Schutz. Leider funktionie­rt das, wie bekannt, bei Grippevire­n nicht, weil deren Strukturen sich ständig verändern.

Fünf, sechs Tage warten ist lang. Doch verglichen mit dem Zeitbedarf genetische­r Veränderun­gen in der Evolution sind sie sehr kurz. Aber beim Erwerb der spezifisch­en Immunität werden keine Keimzellen verändert. Deren Gene bleiben konstant. Deshalb ist die erworbene Immunität leider auch nicht vererbbar.

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Zeichnung: Ekkehard Müller

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